Der blinde Fleck

HANS KLAUS TECHT / APA / picturedesk.com

Es gibt einen Zusammenhang zwischen schlecht bezahlter Arbeit, unsicheren Lebensverhältnissen und dem Risiko an Covid-19 zu erkranken. Das ist ein gesellschaftlicher blinder Fleck. Er betrifft auch die Gewerkschaften.

Viel wurde in den vergangenen Monaten schon geschrieben über jene KollegInnen die sich – oft für wenig Geld – dem Risiko einer Corona-Infektion aussetzen um wichtige gesellschaftliche Infrastruktur am Laufen zu halten. Im Mai befanden sich für kurze Zeit zwei Verteilzentren der Post in Hagenbrunn und Inzersdorf im Licht der Aufmerksamkeit. Dutzende Beschäftigte hatten sich infiziert, das Bundesheer rückte ein. Berichtet wurde darüber, dass einige der Betroffenen über Leiharbeitsfirmen angestellt waren, auch ein Zusammenhang zu einer Flüchtlingsunterkunft in Wien Erdberg wurde hergestellt.

Doch die Berichterstattung über die Vorfälle blieb bemerkenswert oberflächlich. Wer waren die Betroffenen? Unter welchen Bedingungen arbeiteten sie dort? Welche Leiharbeitsfirmen kamen zum Einsatz? Nach welchen Kriterien werden sie ausgewählt? Bei der Post sagte man auf Anfrage, dass man bei der Beauftragung von Personalfirmen „mit größter Sorgfalt“ vorgehe. So müssten sich die ausgewählten Firmen unter anderem verpflichten, den „Kollektivvertrag einzuhalten und Löhne sowie Gehälter korrekt abzurechnen.“ Um welche Firmen es sich dabei genau handelt wollte man aber nicht sagen.

Auch der Zentralbetriebsrat der Post wird darüber nicht informiert. „LeiharbeiterInnen sind bei uns seit Jahrzehnten im Einsatz“ sagt Martin Palensky vom Zentralbetriebsrat. „Wer die Firmen sind, das ist ein großes Staatsgeheimnis. Wir haben auch noch keinen einzigen Dienstvertrag gesehen und wissen nicht, wie die ausschauen. Bei der Personalaufnahme sind wir als Betriebsrat nicht dabei.“ In den letzten Jahren habe die Leiharbeit überhand genommen. „Ich halte aber nichts davon, gegen Leiharbeiter als Personen vorzugehen. Die leisten sehr harte Arbeit, die nicht viele durchhalten. Es gibt deshalb bei uns eine große Personalfluktuation.“ Bei der Post habe man aus den Erkrankungen Lehren gezogen. „Es gibt jetzt Testungen im Eingangsbereich, die Shuttlebusse zu den Standorten sind nicht mehr vollbesetzt. Und man setzt wieder mehr auf Direktanstellungen. Wir befürworten das, denn bei Eigenpersonal haben wir einen Direktzugriff auf die ArbeitnehmerInnen.“

Grauzone Leiharbeit

Auch wenn die Post beteuert, bei der Leiharbeit alle kollektivvertraglichen Verpflichtungen einzuhalten, ist die Branche in Österreich eine riesige Grauzone. „Die großen Leiharbeitsfirmen versuchen halbherzig korrekt zu arbeiten“ sagt Peter Marhold von „Helping Hands“, einer Hilfsorganisation für MigrantInnen. „Es gibt aber auch lauter kleinere Firmen, sowie Schachtelkonstruktionen. Das habe ich einmal bei den Zeitungszustellern verfolgt. Von ganz kleinen Zeitarbeitsfirmen kommt man schnell zu fünf beteiligten Firmen und am Ende lande ich bei den Fellnerschen Privatstiftungen.“

Unter Flüchtlingen ist die Notwendigkeit einer prekären Beschäftigung nachzugehen besonders groß. Flüchtlinge ohne legalen Aufenthaltsstatus dürfen in Österreich gar nicht arbeiten. Sie werden somit in den illegalen Arbeitsmarkt gedrängt. „Zum Beispiel bei der Medikamentenzustellung ist die Schwarzarbeit besonders stark verbreitet“, sagt Stefan Sabler, der als Sozialarbeiter mit Flüchtlingen arbeitet. „Viele essentielle Arbeiten beruhen derzeit auf Schwarzarbeit.“

Die vom Corona-Cluster in Hagenbrunn betroffenen Beschäfigten hätten aber einen legalen Status gehabt, so Sabler. „Einer meiner Bekannten hat dort zeitweise gearbeitet. Er war über eine Wiener Zeitarbeitsfirma angestellt.“ Dieser Freund habe berichtet, dass eine große Zahl seiner Kollegen über die selbe Firma für die Arbeit in Hagenbrunn rekrutiert worden sei. Die Arbeit sei „super hart“ gewesen, dafür habe es einen Stundenlohn von 10 Euro gegeben, den aber 14 mal im Monat.

„Im Gespräch mit meinem Freund hatte ich schon den Eindruck, dass es Missstände gegeben hat. Man scheint auch ausgenutzt zu haben, dass er und seine Kollegen nicht ausreichende Deutschkenntnisse haben um immer alles zu verstehen.“ So sei alles über die Leiharbeitsfirma abgewickelt worden. Mit der Post selber hatten diese Beschäftigten keinen Kontakt. „Wenn man krank wurde, musste man in das Büro der Zeitarbeitsfirma zum Gespräch. War man zu oft krank, wurde man gekündigt. Es gab auch immer einen Kampf um die Dienste. Wer nicht spurte, wurde für weniger Dienste eingeteilt. Schichten wurden einen Tag vor Arbeitsbeginn um 14 Uhr zugeteilt. Manchmal wurde man auch spontan, sehr kurzfristig angefragt und zugeteilt.“ Man kann sich vorstellen, dass man sich unter solchen Bedingungen gut überlegt ob man sich wegen Fiebers oder eines Hustens wirklich krankschreiben lassen möchte, Corona hin oder her.

Gesundheitsgefährdende Ausbeutung

Welche Auswüchse solche Praktiken haben können und wie sich diese auf die Beschäftigten auswirken ist derzeit in der deutschen Fleischindustrie erlebbar. Dort arbeiten 128.000 Beschäftigte in 1.500 Schlachtbetrieben, die von einer Handvoll Großkonzernen geführt werden. 85 Prozent von ihnen arbeiten laut Informationen der Linkfsfraktion im deutschen Bundestag auf Werkvertragsbasis. Zwischen 2007 und 2015 sollen die Aufwendungen der Betriebe für Leiharbeit bei sinkenden Beschäftigtenzahlen um 79.4 Prozent gestiegen sein. Deutschland ist längst ein Billigproduktionsland für Fleisch. Geschlachtet wird für den Export, zum Beispiel nach China. Die derzeitige Lage ist auch ein katastrophaler Einbruch gewerkschaftlicher Macht mit Folgen. Hunderte Beschäftigte infizierten sich innerhalb kürzester Zeit mit Corona, ganze Standorte mussten deshalb stillgelegt werden.

Eine der deutschen Gewerkschaft „Nahrung Genuss Gaststädten“ vorliegenden Analyse berichtet, wie vor allem Werkvertragsarbeiter aus Südosteuropa in der Branche ausgebeutet werden. Arbeits- und Gesundheitsrechte hätten für sie keine Bedeutung. Weiter heißt es: „Vom Lohn wird ihnen ein hoher Mietpreis für die Unterkunft abgezwackt. Sie leben am Rande der Gesellschaft, unsichtbar, ziemlich rechtlos, in einer abgeschotteten Welt, in abseitigen Orten in heruntergekommenen Immobilien“. Die Miete für ein Bett könne 300 Euro pro Monat betragen, bei Krankheit werde als Strafe die Miete erhöht und bei Arbeitsunfähigkeit drohe Kündigung und Obdachlosigkeit. Die Wohnungen seien überbelegt und somit ein Infektionsherd.

Hier schließt sich ein Kreis nach Österreich, denn auch die in Hagenbrunn erkrankten Arbeitskräfte lebten teilweise in Sammelunterkünften. Mit einem offenen Brief unter anderem an Gesundheitsminister Rudolf Anschober und den Wiener Bürgermeister Michael Ludwig forderte eine Initiative bestehend aus verschiedenen Gruppen und Einzelpersonen die „Auflösung aller Lager und Massenquartiere und Zugang zu einem eigenen privaten Wohnraum für alle Menschen in Österreich.“ Massenunterkünfte seien gesundheitsgefährdend, es brauche „auf kommunaler, Landes- und nationaler Ebene“ einen „Plan zur Wohnversorgung und Wohnungssicherung für alle Menschen, die in Österreich leben.“

Michael Gehmacher, Betriebsratsmitglied beim Arbeitersameriterbund Wohnen und Soziale Dienste hat aufgrund seiner Tätigkeit im Flüchtlingsbereich eine ergänzende Einschätzung zu dem Thema: „Viele LeiharbeitskollegInnen sind scheinbar so in Not, dass sie trotz hoher Infektionsgefahr arbeiten gehen und weiter in den Heimen wohnen wollen. Die Leute brauchen einen sicheren Job ohne überhöhtem Infektionsrisiko, Löhne die zum Leben reichen und günstigen Wohnraum.“ Die Lage werde durch Einsparungen verschärft. „Im ASB Wien wurde letztes Jahr eine Beratungsstelle geschlossen weil es keine Subventionen mehr gab.“ Das mache wütend: „Wir brauchen eine Kampagne gemeinsam mit Stammbelegschaften und LeiharbeiterInnen um diesen Zuständen ein Ende zu machen.“

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