Die Corona-Pandemie hat zahlreiche Regierungen gezwungen ihre Geldbörserl weit zu öffnen und Milliardenbeträge auszustreuen. So sollte ein völliger Wirtschaftskollaps verhindert werden. Schon jetzt wird darüber diskutiert, wer dafür später die Rechnung bezahlen soll.
Da kommt dieses Plädoyer zweier amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler für eine völlige Umgestaltung der Steuersysteme gerade recht.
Die USA, so lehrt uns ein weit verbreitetes Vorurteil, sind das Land des Privateigentums schlechthin. Hier verteidigt der Einzelne mit dem Gewehr in der Hand sein Haus und sein Land, will keine Steuern für öffentliche Dienstleistungen wie zum Beispiel das Gesundheitswesen zahlen und lebt nach den Regeln des „Survival of the fittest“ – dem Recht des Stärksten. Sozialstaat, Grundversorgung und Steuern sind für „Loser, Baby“.
Nur das dieses Klischee eben nicht stimmt, wie Emmanuel Saez und Gabriel Zucman in ihrem gar nicht mal so dicken, dafür aber dicht mit Fakten, Analysen und Wirtschaftsgeschichte gepackten Buch erzählen. Denn die USA hatten einmal das progressivste Steuersystem der Welt. Superreiche zahlten einen Spitzensteuersatz von 90 Prozent in die Sozialsysteme ein. Als in den 1930er Jahren der „New Deal“ eingeführt wurde, galt es als „unamerikanisch“ sein Vermögen nicht ordnungsgemäß zu versteuern. Unternehmensgewinne wurden mit 50 Prozent, große Nachlässe mit 80 Prozent besteuert.
Zu dieser Geschichte gehört aber auch, dass der Kampf um Besteuerung seit Beginn der Kolonisierung durch europäische Siedler*innen Teil von Klassenauseinandersetzungen war. So waren es die Sklavenhalter in den Südstaaten, die als erste massiv gegen staatliche Besteuerung agitierten. Nach dem Ende des amerikanischen Bürgerkrieges nahmen nordamerikanische Industrielle den Stab auf und forderten die Abschaffung der Vermögenssteuer. 1872 wurde die Einkommenssteuer abgeschafft. Es folgte ein rapides Anwachsen der Ungleichheit in der amerikanischen Gesellschaft, die mit Industrialisierung und Verstädterung einherging. In den späten 1890er Jahren entstand aus der arbeitenden Bevölkerung heraus eine Kampagne für die Wiedereinführung der Einkommenssteuer, 1894 wurde vom Kongress ein neues Einkommenssteuergesetz beschlossen, bald darauf aber wieder für verfassungswidrig erklärt und abgeschafft. Erst in den 1930er Jahren erlebten Vermögens- und Unternehmenssteuern wieder ein Revival.
Ungleichheit auf Rekordniveau
Heute hat die Vermögensungleichheit in den USA ein noch nie dagewesenes Niveau erreicht. Während das Vermögen der reichsten 1 Prozent immer weiter ansteigt, lag das durchschnittliche Jahreseinkommen des zu den unteren 50 Prozent gehörenden Teils der US-amerikanischen erwerbstätigen Bevölkerung im Jahr 2019 bei 18500 Dollar. Der abgewählte US-Präsident Trump konnte in seinem Wahlkampf offen damit prahlen, die Zahlung von Steuern zu vermeiden. Er muss nach derzeitigem Stand nicht befürchten, dafür belangt zu werden. Saez und Zucman halten das für ein Symptom zivilisatorischen Zerfalls. „Ohne Steuern gibt es keine Kooperation und gemeinschaftliches Handeln, keinen Wohlstand, kein gemeinsames Schicksal, ja nicht einmal eine Nation, die eines Präsidenten bedürfte“, schreiben die beiden Autoren. Und an anderer Stelle: „Das Steuersystem des Landes – die wichtigste Institution jeder demokratischen Gesellschaft – hat versagt.“
Das Versagen hat System. Besteuerung findet in den USA überwiegend über Verbrauchs- und Massensteuern statt. Das bedeutet, dass die Steuerbelastung für Personen mit geringem Monatseinkommen am höchsten ist. Während es für Löhne keinerlei Steuerbefreiungen oder Vergünstigungen gibt, werden Steuern auf Kapitalerträge, Eigentum und Körperschaften zunehmend abgeschafft. Facebook-Gründer und Multimilliardär Marc Zuckerberg zahlt zum Beispiel eine Einkommenssteuer von 0 Prozent.
Dieser Zustand ist politisch gewollt, beziehungsweise wurde er politisch hergestellt. 1981 trat der Republikaner Ronald Reagan sein Amt als US-Präsident an. Sein Motto: „Der Staat hat kein Problem, der Staat ist das Problem.“ Unter Reagan wurden Steuern für „unamerikanisch“ erklärt. Im Oktober 1986 trat ein neues Steuerreformgesetz in Kraft welches den Spitzensteuersatz schlagartig von vorher 90 Prozent auf 28 Prozent senkte. Die USA hatten ab jetzt den weltweit niedrigsten Spitzensteuersatz, nachdem er vorher zu den weltweit höchsten gezählt hatte.
Begleitet wurde dies mit einer eigentümlichen politischen Kampagne. Hohe Steuersätze, so die Argumentation neoliberaler WirtschaftsberaterInnen im Umfeld Reagans, würden Steuervermeidung begünstigen. Um Superreiche zum Steuerzahlen zu bewegen brauche es deshalb möglichst niedrige Steuern für Superreiche. Parallel dazu entstand tatsächlich eine riesige Steuervermeidungsindustrie die das Ihrige dazu beitrug, ein steuerfeindliches Klima zu erzeugen.
Gefahren der Ungleichheit
Wohin die Mischung aus Steuervermeidung für Reiche und Steuerbelastung für Arme führen kann, zeigen die Autoren in ihrem Vorwort am Beispiel Frankreich auf. Dort entstand die so genannte „Gelbwestenbewegung“ als Protest gegen die Entscheidung von Präsident Macron, zunächst die Vermögenssteuer abzuschaffen und die daraus folgenden Einnahmeverluste für die Staatskasse mit höheren Steuern auf fossile Brennstoffe auszugleichen. Die Bilder wütender DemonstrantInnen auf den Straßen der Hauptstadt Paris, die beruflich auf ihr Auto angewiesen und dafür zugunsten der französischen Superreichen abgestraft wurden, gingen um die Welt.
Saez und Zucman sind keine Antikapitalisten. Die Eigentumsordnung wollen sie mit ihrem Buch explizit nicht angreifen. Ihnen geht es ausschließlich darum, wie der in der Privatwirtschaft entstehende Mehrwert sozial gerecht umverteilt werden kann. Dafür schlagen sie die Schaffung einer Nationaleinkommenssteuer vor. Diese sei „eine Steuer auf sämtliches Einkommen, unabhängig davon, ob es aus Arbeit oder Kapital stammt und ob es aus dem verarbeitenden Gewerbe, dem Finanzsektor, gemeinnützigen Organisationen oder einem anderen Wirtschaftszweig herrührt.“ Weil eine solche Steuer nicht jene belaste, „die von Transfereinkommen leben und sich in der Regel am untersten Ende der Einkommensverteilung befinden“, sei sie „viel progressiver als die Mehrwertsteuer.“ Würde eine solche Nationaleinkommenssteuer eingeführt, könne sie in den USA „zur Finanzierung der allgemeinen Krankenversicherung, der Kinderbetreuung und eines gleichberechtigten Zugangs zu Hochschulbildung“ verwendet werden.
Unterbietungswettbewerb stoppen
Die Effektivität einer solchen Steuer müsse auch durch die Einrichtung international verbindlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der Steuervermeidung gewährleistet werden. Vor allem müsse der internationale „Unterbietungswettbewerb“ zwischen den Staaten aufhören, mit dem Großkonzernen und Superreichen günstigere Steuerbedingungen als in Nachbarstaaten versprochen werden. An dieser Stelle äußern die Autoren auch Unverständnis darüber, warum die EU zwar die Mobilität von Arbeit und Kapital garantiere, aber über keine gemeinsame Steuerpolitik verfüge.
Saez und Zucman sind Befürworter der kapitalistischen Globalisierung. Diese wollen sie vor sich selber retten. Steuerungerechtigkeit führe dazu, dass „mehr und mehr Wähler, in dem falschen Glauben, Globalisierung und Fairness seien unvereinbar, protektionistischen und xenophoben Politikern auf den Leim gehen werden, was schließlich die Globalisierung selbst zerstören wird.“ Dem stellen sie die These gegenüber, dass „Globalisierung und progressive Besteuerung“ miteinander vereinbar seien.
Darüber wird sich trefflich streiten lassen. Auch darüber, ob ein sozial gerechteres Steuersystem ohne eine Änderung der bestehenden Eigentumsordnung denkbar ist. Abgesehen davon bietet das Buch jedoch reichlich Denkanstöße für die auch Österreich betreffende Steuerdiskussion. Zusätzlich dazu haben die Autoren ihr gesamtes Datenmaterial öffentlich zugänglich gemacht und damit einen Steuersimulator gebastelt, welcher es den LeserInnen erlaubt einmal selber FinanzministerIn zu spielen. Er ist hier abrufbar: www.taxjusticenow.org
Emmanuel Saez und Gabriel Zucman
Der Triumph der Ungerechtigkeit: Steuern und Ungleichheit im 21. Jahrhundert.
Aus dem Englischen von Frank Lachmann. Suhrkamp Verlag 2020