Erstmals wurde in einem Kollektivvertrag verankert, dass bei der Lehre mit Matura 520 Unterrichtsstunden auf die Arbeitszeit angerechnet werden. Jetzt hofft man auf eine Vorbildwirkung für andere Branchen.
Die außeruniversitäre Forschung hat vorgelegt: im eben abgeschlossenen Kollektivvertrag konnte in den Verhandlungen mit der GPA erreicht werden, dass ein Teil der Kurszeiten von Lehrlingen, die sich für das Modell „Lehre mit Matura“ entschieden haben, auf die Arbeitszeit angerechnet wird. Konkret werden für Lehrlinge in der Forschung laut KV nun mindestens 520 Stunden – das entspricht 65 Tagen – garantiert als Arbeitszeit bewertet.
„Das ist ein echter Meilenstein“, freut sich Therese Öfner, Bundesjugendvorsitzende der GPA. Und Bundesjugendsekretär Christian Hofman erklärt: „Das ist eine praktische Aufwertung der Lehre.“ Jungen Menschen würde es so ermöglicht, eine praktische Ausbildung mit der Option, ein Studium beginnen zu können, zu kombinieren. Das trage auch dazu bei, dass Menschen ohne bildungsbürgerlichem Hintergrund eine gute Chance bekämen, an einer Universität oder Fachhochschule zu studieren. Gleichzeitig betont Hofmann, dass nicht jeder Lehrling studieren müsse. Das sei ein Angebot und eine Möglichkeit.
Nur wenige wagen den Schritt
Sieht man sich den Bericht „Lehrlingsausbildung im Überblick“ des Instituts für Bildungsforschung der Wirtschaft (ibw) für das Jahr 2021 an, nahmen im Schuljahr 2020/21 10.522 Lehrlinge an dem Programm „Berufsmatura: Lehre mit Reifeprüfung“ teil. Das entsprach laut einer Schätzung des ibw sechs Prozent aller Lehrlinge. Bei diesem Ausbildungsmodell absolvieren die Jugendlichen eine Lehrausbildung und besuchen parallel Kurse, in denen der Maturastoff vermittelt wird. Insgesamt sind vier Teilprüfungen abzulegen: in Mathematik, Deutsch, einer lebenden Fremdsprache und einem Fachbereich aus dem Lehrberuf. Drei dieser Prüfungen können bereits nacheinander während der Lehrzeit absolviert werden, die letzte allerdings erst nach Abschluss der Lehrausbildung und mit Erreichen des 19. Lebensjahres.
Pauline Althier ist eine jener jungen Menschen, die sich für die „Lehre mit Matura“ entschieden hat. Ihre Ausbildung zur Pharmatechnologin in einem Tiroler Pharmabetrieb hat sie bereits abgeschlossen. Ihre letzte Maturaprüfung wird sie diesen Mai ablegen, parallel dazu macht sie derzeit eine zweite Lehrausbildung, und zwar jene zur Labortechnikerin, wo sie auch bereits in die Zielgerade einbiegt.
Geld verdienen und Matura
Ihre Entscheidung, sich für eine „Lehre mit Matura“ entschieden zu haben, bereut die 20-Jährige nicht. Sie lebt in Deutschland in Grenznähe zu Österreich und besuchte eine Realschule, das ist eine sechsjährige Schulform nach der Volksschule. Bei einem Berufsinformationsabenden hätten sich auch Lehrbetriebe aus Österreich vorgestellt, darunter der Pharmabetrieb, bei dem sie bis heute beschäftigt ist. „Chemie und Physik habe ich schon immer cool gefunden“, erzählt Althier. Außerdem könne man so schon Geld verdienen und gleichzeitig Matura machen. Und es stehe einem ein Studium offen, das man dann später berufsbegleitend absolvieren könne. „Ich schätze es jedenfalls sehr, dass ich diese Möglichkeit bekommen habe.“
„Easy ist es nicht, das muss einem schon klar sein.“
Pauline Althier über das Modell Lehre mit Matura
Althier betont aber auch: „Easy ist es nicht, das muss einem schon klar sein.“ Einerseits müsse einen das private Umfeld, dabei vor allem das Elternhaus, unterstützen. Andererseits braucht es aber auch Verständnis seitens des Lehrbetriebs. „Wenn du als Lehrling dauernd Überstunden machen musst, dann geht es nicht.“
Den Unterricht in den Maturafächern hat Althier abends beim BFI besucht. „Das eine hat dann mit dem anderen nichts zu tun: der Lehrbetrieb hat keine Einsicht, wie ich in den Maturaprüfungen abschneide und umgekehrt das BFI nicht, wie es in der Lehrausbildung läuft.“ Die Maturavorbereitung sei bei ihr also in der Freizeit erfolgt.
Eine Regelung, wie sie nun im KV für die außeruniversitäre Forschung erreicht wurde, macht es künftigen Lehrlingen, die sich auf die Matura vorbereiten, etwas leichter, die Dreifachbelastung Lehrausbildung im Betrieb, Berufsschule sowie Maturakurse erfolgreich zu stemmen. Vor allem aber seien sie damit nicht mehr so wie bisher auf den Goodwill des Ausbildungsbetriebs angewiesen, wie Hofman betont. Vielleicht hebt das auch die Erfolgsquote: laut Bildungsministerium scheidet etwas mehr als ein Drittel der Jugendlichen, die das Programm „Lehre mit Matura“ begonnen haben, aus diesem vor Abschluss aus.