Das niedrige Arbeitslosengeld in Österreich treibt viele Betroffene und ihre Familien in die Armut. Die GPA fordert eine Erhöhung der Nettoersatzrate auf 70 Prozent, existenzsichernde Leistungen, insbesondere für Langzeitarbeitslose, und die Schaffung neuer Arbeitsplätze.
Die Corona-Pandemie hat nicht nur zu einer höheren Arbeitslosigkeit geführt, sondern auch deutlich gemacht, dass die derzeitige Nettoersatzrate beim Arbeitslosengeld zu niedrig ist. Die aktuelle Diskussion um eine Reform der Arbeitslosenversicherung dreht sich um die Frage, ob ein degressives Arbeitslosengeld sinnvoller wären. Die Idee dahinter: Die zunehmenden finanziellen Probleme der Beschäftigungslosen würden einen Anreiz darstellen, rascher wieder Arbeit zu finden. Aber führt ein degressiv gestaltetes Arbeitslosengeld, das mit zunehmender Dauer geringer wird, tatsächlich zu sinkender Arbeitslosigkeit?
Derzeit liegt die Nettoersatzrate beim Arbeitslosengeld bei 55 Prozent vom letzten Verdienst. Für GeringverdienerInnen gelten spezielle Regelungen – sie erhalten einen sogenannten Ergänzungsbetrag –, daher beträgt sie faktisch etwas über 60 Prozent.
Wenn der Anspruch auf Arbeitslosengeld endet, folgt die Notstandshilfe, die um 5 Prozent bzw. 8 Prozent niedriger ist als das Arbeitslosengeld. Sie kann grundsätzlich unbefristet bezogen werden. ArbeitnehmerInnen haben 20 Wochen lang Anspruch auf Arbeitslosengeld, für ArbeitnehmerInnen über 40 verlängert sich dieser Anspruch auf 30 Wochen und für jene über 50 auf 39 bzw. 52 Wochen. „Es gibt daher bereits jetzt ein ‚degressives Arbeitslosengeld’ in Österreich durch den Übergang von Arbeitslosengeld zur Notstandshilfe“, betont Barbara Teiber, die Vorsitzende der Gewerkschaft GPA.
„Es gibt daher bereits jetzt ein ‚degressives Arbeitslosengeld’ in Österreich durch den Übergang von Arbeitslosengeld zur Notstandshilfe.“
Barbara Teiber
Die Auswirkungen dieses derzeit zu niedrigen Arbeitslosengeldes wurden bereits in mehreren Studien untersucht. Einstimmiges Ergebnis: Das Armutsrisiko steigt deutlich an. Binnen kurzer Zeit wird nicht nur das Leben der arbeitslosen Person, sondern auch das der Familienangehörigen, vor allem der Kinder, massiv negativ beeinflusst. Basisbedürfnisse wie z.B. zum Beispiel Heizkosten oder Schulausgaben können nur mehr eingeschränkt erfüllt werden.
Im internationalen Vergleich fällt auf, dass das Arbeitslosengeld in Österreich besonders gering ist. Österreich hat in Europa eine der niedrigsten Nettoersatzraten bei Arbeitslosigkeit und liegt damit auch deutlich unter dem OECD-Durchschnitt von 63 Prozent. Die geringe Nettoersatzrate liegt jedenfalls unter der Nettoersatzrate von den Niederlanden, Dänemark, Deutschland, Belgien, Schweden und Finnland. Die wirtschaftliche Ausgangslage dieser Länder ist mit der von Österreich vergleichbar.
Studie AK Oberösterreich
Eine kürzlich präsentierte Studie im Auftrag der Arbeiterkammer Oberösterreich belegt, dass eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes von derzeit 55 auf 70 Prozent Nettoersatzrate gleich mehrere Vorteile mit sich bringen könnte: Sie würde vielen Menschen mehr Einkommen bringen, den Konsum beleben, neue Jobs schaffen und generell Ungleichheit und Armut verringern. „Die von Arbeitsminister Kocher angedachten Reformen würden das Problem hingegen verschärfen. Stattdessen brauchen wir eine Reform, die Arbeitssuchenden mehr Sicherheit gibt und ihnen Mut macht, sich auf Veränderungsprozesse einzulassen“, erklärt AKOÖ-Präsident Andreas Stangl die Position der ArbeiternehmerInnenvertretung.
Die Corona-Krise hat die Arbeitslosenzahlen massiv in die Höhe getrieben. Im Jahresschnitt 2021 waren 402.000 auf der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz. Ein zentrales Problem ist die Langzeitbeschäftigungslosigkeit: Rund 132.000 Personen, also fast 40 Prozent aller Arbeitslosen, waren 2021 davon betroffen. Fast drei Viertel der ganzjährig Arbeitslosen sind armuts- oder ausgrenzungsgefährdet.
Die Studie der AK Oberösterreich fand nun heraus, dass die Erhöhung der Nettoersatzrate insbesonders den Langzeitarbeitslosen zu Gute kommen würde: Haushalte mit Notstandshilfe-Bezug – also mit Personen, die länger arbeitslos sind – würden nämlich am meisten profitieren. „Angesichts der extrem hohen Zahl an Langzeitarbeitslosen in Österreich ist dieser Effekt von zentraler Bedeutung. Ein degressives – also mit der Zeit sinkendes – Arbeitslosengeld, wie es Minister Kocher plant, würde diesen Effekt konterkarieren“, macht Stangl klar.
Arbeitslosengeld armutsfest machen
Insgesamt würden die unteren Einkommensgruppen von der Erhöhung stärker profitieren als die obersten. „Gesamtgesellschaftlich würde dadurch die Ungleichheit abnehmen“, erklärt GPA-Vorsitzende Teiber. Gewerkschaften und die Arbeiterkammern haben bereits zu Beginn der Pandemie eine Erhöhung der Nettoersatzrate beim Arbeitslosengeld gefordert. „Mit ihrer Weigerung, das umzusetzen, hat die Bundesregierung vermeidbare Armut bewusst in Kauf genommen“, kritisiert Teiber.
Da Arbeitslose fast ihr gesamtes Einkommen für Dinge des täglichen Lebens ausgeben, würde von einer Anhebung des Arbeitslosengeldes der Konsum und damit die gesamte Wirtschaft profitieren. In 4 Jahren könnten laut der AKOÖ-Studie dadurch 10.000, im Lauf von 10 Jahren sogar bis zu 14.000 neue Arbeitsplätze entstehen.
Zusätzliche Maßnahmen
Ergänzend braucht es auch eine Erhöhung aller weiteren Leistungen bei Arbeitslosigkeit:
So wurde der Familienzuschlag seit mehr als 20 Jahren nicht erhöht. Für jedes Kind, für das man sorgepflichtig ist, erhält man derzeit einen Familienzuschlag von 0,97 Euro täglich. Eine Anhebung dieses Betrags auf 2 Euro wäre daher dringend notwendig.
Ebenso muss die Forderung der Gewerkschaften nach einer Inflationsanpassung des Arbeitslosengeldes und der Notstandshilfe dringend umgesetzt werden. Auch bei länger dauernder Arbeitslosigkeit wird der Anspruch derzeit nicht angepasst. „Das Arbeitslosengeld und die Notstandshilfe müssen auf jeden Fall jährlich an die Inflation angepasst werden, damit die Kaufkraft der Betroffenen erhalten bleibt, noch dazu, wo die Inflation derzeit auf einem Rekordniveau steht“, fordert Teiber.
Ein weiterer Punkt bei der degressiven Gestaltung des Arbeitslosengeldes, wie sie derzeit von der Regierung angedacht wird, ist die angedachte Senkung auf unter 55 Prozent gegen Ende der Degression. „Alle Gewerkschaften sind sich einig, dass es für diesen Plan keine Zustimmung geben wird“, bestätigt Barbara Teiber vehement die Position der ArbeitnehmerInnenvertretung.
Arbeitsplätze statt Anreize
Die Debatte um ein degressives Arbeitslosengeld geht, so stellt Teiber fest, am Ziel vorbei: „Es braucht nicht mehr Anreize – was nichts anderes heißt als finanziellen Druck – für Arbeitslose, sondern ausreichende und auch passende Beschäftigungsmöglichkeiten.“ Der Versuch, Arbeitslosigkeit durch „Anreize“ für Arbeitsuchende zu lösen, unterstellt in Wahrheit, Arbeitslosigkeit sei ein selbst gewähltes und freiwilliges Schicksal. „Arbeitslosigkeit ist aber eine Folge von zu geringer Nachfrage nach Arbeit in den Unternehmen.“ Diese Nachfrage hängt von der Wirtschaftsentwicklung, dem unternehmerischen Erfolg und politisch gesetzten Rahmenbedingungen ab.
„Arbeitslosigkeit abzubauen ist nur dann möglich, wenn passende Arbeitsplätze auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen“
Barbara Teiber
2021 gab im Jahresdurchschnitt, wie oben erwähnt, etwa 402.000 Arbeitsuchende. Von den Unternehmen wurden rund 110.000 offene Stellen angeboten. „Arbeitslosigkeit abzubauen ist nur dann möglich, wenn passende Arbeitsplätze auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen“, erklärt die GPA-Vorsitzende. Sogenannte „verstärkte Anreize zur Beschäftigungsaufnahme“ schaffen aber diese Arbeitsplätze nicht: „Anreizeffekte von degressivem Arbeitslosengeld können wissenschaftlich nicht nachgewiesen werden. Studien deuten vielmehr darauf hin, dass eine aktive Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik deutlich wirksamer ist. Die beste Maßnahme gegen Arbeitslosigkeit sind gute Arbeitsplätze!“, erklärt Teiber. „Ein höheres Arbeitslosengeld am Beginn der Arbeitslosigkeit können wir daher nur dann akzeptieren, wenn sich die existenzielle Absicherung Arbeitsloser insgesamt und besonders für Langzeitarbeitslose nicht verschlechtert.“
Ein degressives Arbeitslosengeld hätte, gibt Teiber zu bedenken, in Summe viele VerliererInnen, bringt kaum Einsparungen in der Arbeitslosenversicherung und außerdem höhere Ausgaben für die Sozialhilfe, um die Maßnahmen abzufedern. „Aus der Diskussion ergibt sich, dass die Nettoersatzrate beim Arbeitslosengeld auf mindestens 70 Prozent angehoben werden muss. Und es darf keinesfalls mit zunehmender Dauer der Arbeitslosigkeit gekürzt werden“, resümiert Teiber die gewerkschaftlichen Forderungen.
Volksbegehren Arbeitslosengeld rauf!
Das Volksbegehren Arbeitslosengeld rauf setzt sich für eine deutliche Erhöhung des Arbeitslosengeldes ein. Gerade angesichts der Pandemie und dem damit verbundenen Verlust an Arbeitsplätzen darf niemand zurückgelassen werden.
Das Volksbegehren kann auf jedem Gemeinde- bzw. Bezirksamt (nicht nur der Heimatgemeinde) oder online mittels BürgerInnenkarte unterschrieben werden.