“Die Lohnnebenkosten müssen gesenkt werden.“ Dieser Satz wurde schon so oft gesagt und gedruckt, dass ihm wohl manche zustimmen würden. Warum er trotzdem nicht stimmt, erfährst du in diesem Artikel.
Die Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung sowie viele Parlamentsparteien fordern bei jeder Gelegenheit eine Senkung der Lohnnebenkosten ein. Scheinbar eignet sich das in jeder Situation. Im Aufschwung, damit die Nettoeinkommen stärker steigen, in der Krise, damit die Beschäftigung gefördert wird. Nun ist das Wort „Nebenkosten“ auch nicht besonders sympathieträchtig. Das klingt schon irgendwie nebensächlich und lästig, wie Nebengebühren, also Zahlungen, die man tätigen muss, aber deren Nutzen man nicht sieht.
Was sind denn nun die Lohnnebenkosten?
Lohnnebenkosten sind Kosten, die der Arbeitgeber bei Beschäftigung von ArbeitnehmerInnen bezahlen muss. Damit ist schon einmal klar, wer von einer Senkung der Lohnnebenkosten profitiert: Der Arbeitgeber. Für die ArbeitnehmerInnen bringt eine Lohnnebenkostensenkung nicht mehr Einkommen. Das Gegenteil ist vielmehr der Fall.
Lohnnebenkosten werden auf unterschiedliche Art und Weise definiert. Daher kann man einerseits behaupten, dass die Lohnnebenkosten 23,7 Prozent der Lohnsumme ausmachen. Das klingt jetzt nicht dramatisch viel. Andererseits kann man auch sagen, die Lohnnebenkosten machen fast 100 Prozent des Leistungslohnes aus. Da werden dann schnell Bilder des unersättlichen Staats mitgeliefert, der tief in die Geldbörsen greift. Rein rechnerisch stimmt beides. Wie geht das?
Unbestritten sind Lohnnebenkosten die Abgaben, die der Arbeitgeber zusätzlich zu den Bruttolöhnen abführen muss. Das sind etwa die Beiträge des Arbeitgebers zur Pensionsversicherung, Krankenversicherung, Unfallversicherung, Arbeitslosenversicherung, zum Insolvenzentgeltsicherungsfonds, dem Familienlastenausgleichsfonds und der Wohnbauförderungsbeitrag.
Diese Arbeitgeberbeiträge sind daher ganz zentral zur Finanzierung des Sozialsystems, das den ArbeitnehmerInnen zugutekommt. Diese Beiträge dienen zur Pensionsfinanzierung, fließen in das Gesundheitssystem oder kommen über die Familienbeihilfen Familien zugute. Es ist also keineswegs so, dass Lohnnebenkosten Einkommen schmälern. Sie finanzieren vielmehr Einkommen wie die Pensionen, Familienbeilhilfen etc. Darüber hinaus zahlen die Arbeitgeber auf die Lohnsumme die Kommunalabgabe, die den Gemeinden zugutekommt. Damit werden Leistungen der Gemeinden wie Kinderbetreuungseinrichtungen finanziert. Hinzu kommen die Beiträge für die Abfertigung.
Die Sozialbeiträge der Arbeitgeber machten 2022 31,1 Milliarden Euro und Steuern auf die Lohnsumme oder die Beschäftigtenzahl 10,8 Milliarden Euro aus. Insgesamt waren das 23,3 Prozent der Lohnsumme. Und mit diesen Abgaben werden sinnvolle Leistungen finanziert. Eine Senkung dieser Beiträge und Abgaben bedeutet weniger Geld für das Gesundheitssystem, die Pensionen, Unfallspitäler, Rehabilitationseinrichtungen usw.
Wie kann man nun aber behaupten, die Lohnnebenkosten machen nahezu 100 Prozent des Leistungslohnes aus? Diese Zahl kann man herleiten, in dem man zu den „Nebenkosten“ alle Zahlungen hinzuzählt, die der Arbeitgeber zahlen muss, auch wenn man nicht arbeitet. Das bedeutet den bezahlten Urlaub, den bezahlten Krankenstand, das Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Das und die Abgaben werden dann den Zahlungen für die geleisteten Arbeitsstunden gegenübergestellt. Hier ist ganz klar, dass diese „Nebenkosten“ in Wirklichkeit unmittelbar Einkommen der ArbeitnehmerInnen sind. Wer den bezahlten Urlaub, Krankenstand sowie das Urlaubs- und Weihnachtsgeld als sinnvoll erachtet, sollte mitdenken, dass das auch „Lohnnebenkosten“ sind. Werden diese gekürzt, sind das nichts anderes als Lohnsenkungen.
So betrachtet sind die Lohn“neben“kosten alles andere als nebensächlich:
- Einkommen der ArbeitnehmerInnen (Urlaubs und Weihnachtsgeld), Abfertigung
- Entgeltfortzahlung bei Krankheit und Urlaub
- Sicherung der Entgelte und Ansprüche bei Insolvenzen
- Finanzierung von sozialen Leistungen wie Pensionen, Gesundheitswesen, Unfallspitälern, Versichertenrente nach Arbeitsunfällen, Arbeitslosengeld, Familienbeihilfen sowie Teile der Gemeindefinanzierung
Noch nie haben jene, die die Lohnnebenkosten senken wollen, gesagt, welche der finanzierten Leistungen sie streichen oder kürzen wollen. Dann würde sich nämlich herausstellen, dass das alles sinnvolle Leistungen sind, die den Menschen zugutekommen. Viel einfacher ist es zu sagen, die Nebenkosten sind zu hoch und müssen gesenkt werden und dabei fälschlicherweise zu suggerieren, dass den ArbeitnehmerInnen höhere Nettoeinkommen bleiben würden. In Wirklichkeit bedeuten geringere Lohnnebenkosten, dass sich nur die Arbeitgeber etwas ersparen und Leistungen für die ArbeitnehmerInnen unterfinanziert oder reduziert werden.
Neoliberale Kommunikation
Es handelt sich dabei um klassische neoliberale Kommunikation. Dabei werden Maßnahmen, die einer kleinen Gruppe zugutekommen so dargestellt, als wären sie im Allgemeininteresse. Das ist ein gängiges Argumentationsmuster.
Bei der Millionärssteuer, die keine 5 Prozent der Bevölkerung treffen würde, wird das im umgekehrten Sinne probiert: Da wird fälschlicherweise behauptet, dass diese die Mittelschicht treffen würde. In Wirklichkeit haben weniger als 5 Prozent der Haushalte mehr als 1 Million Nettovermögen. Die Nichteinführung der Millionärssteuer nutzt also nur den obersten 5 Prozent der Bevölkerung. Neoliberale Kommunikation zielt darauf ab, allen einzureden, es sei für sie wichtig, dass die Millionärssteuer nicht eingeführt wird – selbst wenn das in Wirklichkeit für 95 Prozent der Bevölkerung bedeutet, einen größeren Teil des Steueraufkommens tragen zu müssen.
Die Neoliberalen und ihre PR-Agenturen (z.B. Agenda Austria) sind Meister darin, Maßnahmen, bei denen die Mehrheit der Bevölkerung verlieren würde, so darzustellen, als würden sie gewinnen. So wird suggeriert, dass eine Senkung der Lohnnebenkosten die Nettoeinkommen der ArbeitnehmerInnen erhöhen würde. Das Gegenteil ist der Fall. Eine Senkung der Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung bzw. der Entgeltfortzahlung schadet ArbeitnehmerInnen.
Können wir uns das leisten?
Nachdem einigermaßen klar sein sollte, dass mit den Lohnnebenkosten sinnvolle Leistungen finanziert werden, widmen wir uns noch der Frage, ob sich die österreichische Wirtschaft diese Kosten leisten kann. Zunächst liegen die Arbeitskosten je Stunde in Österreich 2022 mit 39 Euro etwas über dem Schnitt der Euroländer (34,3 Euro) bzw. der gesamten EU (30,5 Euro). Es kommt aber nicht nur auf die Arbeitskosten an, sondern darauf, welche Wertschöpfung von den Arbeitenden geschaffen wird. Man muss den Kosten je Arbeitsstunde den Wert gegenüberstellen, der in der Stunde geschaffen wird.
Eine Studie des WIFO zu den Lohnnebenkosten aus dem Jahr 2020 zeigt, dass die Wertschöpfung pro Kopf stärker über dem EU-Schnitt liegt als die Arbeitskosten:
- Wirtschaftsleistung pro Kopf ein Drittel über EU-Schnitt (EU 28)
- Arbeitskosten je Stunde ein Viertel über EU-Schnitt
Wir können den Sozialstaat mit höherer Wertschöpfung also gut finanzieren und „erwirtschaften“. Hinter der Forderung nach einer Lohnnebenkostensenkung steckt also nichts anderes als entweder der Versuch den Sozialstaat zurückzudrängen oder der Versuch, den Finanzierungsbeitrag von den Arbeitgebern zu den Arbeitnehmern zu verschieben. Das würde in Folge nicht steigende, sondern sinkende Einkommen der ArbeitnehmerInnen bedeuten.