US-Gewerkschaften haben Aufwind. Kampfmaßnahmen in der Film- und Autobranche brachten Aufmerksamkeit. Unterstützung kam zuletzt auch von ganz oben.
Die letzten Monaten brachten aufregende Zeiten für US-amerikanische Gewerkschaften. In unterschiedlichsten Branchen kam Bewegung in die Strukturen. Eine Gewerkschaft empfahl sogar sich im Zuge der Kampfmaßnahmen lieber als Gespenst oder Zombie zu verkleiden…
Autobauer:innen on Strike
Im September hatte die Autogewerkschaft United Auto Workers (UAW) seine Mitglieder zum Streik gegen die drei größten Autohersteller General Motors, Ford und Chrysler aufgerufen. Sie fordert bis zu 40 Prozent höhere Löhne für die Beschäftigten. Durch die Umstellung der Produktion auf E-Fahrzeuge entfallen Arbeitsplätze. Das gibt der Gewerkschaften zusätzliche Mobilisierungskraft.
Anfangs legten lediglich drei Auto-Werke mit rund 12.000 Beschäftigten die Arbeit nieder. Da es in den Verhandlungen um die Löhne aber bisher keine Einigung gab, weitet sich der Streik aktuell aus und dutzende Verteilzentren für Ersatzteile wurden ebenso bestreikt. Zuletzt haben überraschend 5000 Beschäftigte eines General Motors-Montagewerks in Arlington/Texas die Arbeit niedergelegt. Der Standort ist für die Gewerkschaft ein wichtiger Hebel im Arbeitskampf. Arlington Assembly ist eines der gewinnbringendsten Werke des Autoriesen. Hier sind allein im März 34.000 Fahrzeuge vom Fließband gegangen.
„Ein weiteres Rekordquartal, ein weiteres Rekordjahr. Rekordgewinne müssen Rekordverträge mit sich bringen! Es ist an der Zeit, dass die General Motor-Beschäftigten und die gesamte Arbeiterklasse ihren gerechten Anteil bekommt.“
Shawn Fain, Präsident der Gewerkschaft UAW
Die Entscheidung kam kurz nachdem General Motors bekannt gegeben hatte, im dritten Quartal des Jahres Gewinne über 3,5 Milliarden Dollar einzufahren. Shawn Fain, Präsident der Gewerkschaft UAW kommentierte: „Ein weiteres Rekordquartal, ein weiteres Rekordjahr. Rekordgewinne müssen Rekordverträge mit sich bringen! Es ist an der Zeit, dass die General Motor-Beschäftigten und die gesamte Arbeiterklasse ihren gerechten Anteil bekommt.“ Fains Gewerkschaft vertritt fast 150.000 Arbeiter:innen. Langfristig kann der Streik die US-Automobilproduktion erheblich einbremsen.
Autor:innen wieder on-air
Durchaus positiv endete ein Arbeitskampf in einer völlig anderen Branche. Nach fünf Monaten der Arbeitsniederlegung hat die Writers Guild of America (WGA), die Gewerkschaft der Autor:innen ihren Streik für beendet erklärt. Bei Verhandlungen konnte sie sich mit der Alliance of Motion Picture and Television Producers (AMPTP) einigen. Die AMPTP vertritt über 350 US-amerikanische Fernseh- und Filmproduktionsunternehmen.
Die Einigung sei „außergewöhnlich“, wie die Gewerkschaft zuletzt verlauten ließ, „mit bedeutenden Errungenschaften und Schutz für Autoren in allen Bereichen“. Sie soll Zugeständnisse bei der Bezahlung der Autor:innen umfassen, verbesserte Bedingungen bei der Arbeit für Streaming-Sendungen und mehr Schutz vor dem Einsatz künstlicher Intelligenz. Außerdem erreichten die Autor:innen gesteigerte Transparenz für Zuseher:innen-Zahlen und eine Untergrenze für die Anzahl der beschäftigten Autor:innen in der Vorproduktion.
Im Mai hatte die WGA ihre 11,500 Mitglieder zum Streik aufgerufen, der einer der längsten ihrer Geschichte sein soll. Wochenlang wurde vor den großen Filmstudios von Netflix, Amazon, Paramount und Warner Bros gestreikt bis auch die Gewerkschaft der Hollywood-Schauspieler:innen, Sag-Aftra, in den Arbeitskampf einstieg. Die Streiks hatten erheblichen Einfluss auf die Produktion von Filmen und Serien. Die Fertigstellung des Marvel-Blockbuster „Blade“ hat sich genauso verzögert die Serien ‚Loot’ auf AppleTV oder ‚Stranger Things‘ auf Netflix. Nach der Wiederaufnahme der Arbeit dürften zwar Fernsehshows schnell wieder on-air gehen, Fernseh- und Filmproduktionen aber erleiden einen Rückstau. Es ist davon auszugehen, dass die Folgen noch Monate bemerkbar sein werden.
Hollywood-Schauspieler:innen im Streik
Der Erfolg der Autor:innen bei den Verhandlungen mit den Arbeitgeber:innen beflügelt auch die Hollywood-Schauspieler:innen. Sie befinden sich mittlerweile seit über 100 Tagen im Streik und, wie Euronews zuletzt titelte: „Es ist kein Ende in Sicht“. Noch nie hatten die Schauspieler:innen derart lang ihre Arbeit niedergelegt.
Die Schauspielerin Marissa Cuevas, „Danielle“ aus der Serie „Big Bang Theory“, zeigt sich zuversichtlich: „Kurz dachte ich das Ganze dauert bis nächstes Jahr. Aber zu sehen, dass zumindest einer von uns einen guten Deal aushandeln konnte, gibt uns Hoffnung.“ Die SAG-AFTRA berichtet aktuell von weiteren Verhandlungen. Einigung gäbe es noch keine.
Unterstützung von ganz Oben
Unterstützt werden die Gewerkschaften im Kampf gegen die Autohersteller von ganz oben. Wie DerStandard berichtete stellte sich der US-Präsident Joe Biden Ende September hinter die Streikenden: „Niemand will einen Streik, aber ich respektiere das Recht der Arbeitnehmer, ihre Optionen im Rahmen des Tarifverhandlungssystems zu nutzen.“ Auch sie sollten einen gerechten Anteil an den Rekordumsätzen ihrer Arbeitgeber:innen bekommen, so Biden. Der Präsident gesellte sich öffentlichkeitswirksam zu den Streikposten, eine deutliche Geste der Unterstützung.
„Niemand will einen Streik, aber ich respektiere das Recht der Arbeitnehmer, ihre Optionen im Rahmen des Tarifverhandlungssystems zu nutzen.“
Joe Biden, US-Präsident
Zwar ist eine Erhöhung des landesweiten Mindestlohnes im Kongress bisher am Widerstand der Republikaner gescheitert, die Biden-Administration versucht sie jedoch mithilfe von Exekutivanordnungen oder auf anderem Wege dennoch umzusetzen. Das kommt in einer Zeit, in der die US-amerikanische Arbeitswelt im Umbruch ist. 100 der 160 Millionen Angestellten wechselten in den letzten beiden Jahren ihren Job – in Richtung besser bezahlter Arbeit.
…aber auch von Unten
Die Unterstützung der US-Gewerkschaften wächst aber auch von Unten. Seit 1965 standen nicht mehr so viele Menschen hinter den Arbeitnehmer:innen-Vertretungen, mehr als 70 Prozent, wie eine eine Gallup-Umfrage ermittelte. Das schlägt sich auch in den Neuzugängen nieder. Im vergangenen Jahr traten um die Hälfte mehr Menschen einer Gewerkschaft bei als im Vergleichsjahr zuvor. Trotzdem bewegt sich die gewerkschaftliche Organisierung in den USA auf niedrigem Niveau. Nur zehn Prozent der Beschäftigten seien Mitglied, berichteten Teilnehmende am Weltkongress des globalen Gewerkschaftsverbandes für den Dienstleistungssektor (UNI Global Union). In Österreich hingegen liegt die gewerkschaftliche Organisierung mit 37 Prozent um einiges höher.
Dabei können Beschäftigte in den USA bisher jederzeit ohne Grund fristlos gekündigt werden. Für Bürger:innen unter 65 Jahren gibt es keine bundesweiten, universell garantierten Sozialleistungen. Die Abdeckung durch Kollektivverträge liegt in den USA im Jahr 2022 in der Privatwirtschaft bei gerade mal 6,8 Prozent, im öffentlichen Dienst bei 36,8 Prozent.
Die Beschäftigten aber wissen sich zu wehren: Zuletzt warnte die Schauspieler:innen-Gewerkschaft Sag-Aftra ihre Mitglieder davor, sich anlässlich von Halloween als Charaktere aus Film oder Fernsehen zu verkleiden. Jedes dieser Kostüme wäre Publicity für die Produktionsfirmen, mit denen sie sich im Konflikt befänden. „Nutzt lieber allgemein gehaltene Kostüme wie Gespenster, Zombies oder Spinnen.“