Aufbruchstimmung für US-Gewerkschaften?

Die österreichische Gewerkschaftsdelegation im Austausch mit US-amerikanischen Aktivist:innen.
Foto: Manuel Stolz

Gewerkschaften in den USA haben es schwer, die Schwelle um in einem Betrieb aktiv
werden zu dürfen ist hoch. Arbeitsrechtliche Absicherung und Gewerkschaftsrechte sind unterentwickelt. Wir verraten dir, warum es derzeit trotzdem Grund zur Hoffung gibt.

Von 27.-30. August fand in den USA der Weltkongress des globalen Gewerkschaftsverbandes für den Dienstleistungssektor (UNI Global Union) statt. Die Gewerkschaft GPA war mit einer siebenköpfigen Delegation auf der Konferenz in Philadelphia vertreten. Neben wegweisenden inhaltlichen und personellen Weichenstellungen am Weltkongress hat die GPA-Delegation die internationale Veranstaltung genutzt, um gewerkschaftliche Kontakte aufzubauen und zu pflegen sowie ein Augenmerk auf die Situation der Gewerkschaften in den USA zu legen. Ein Austausch mit lokalen Politiker:innen und Gewerkschaftsaktivist:innen bildete den Abschluss des Aufenthaltes.

Aufwind für die US-Gewerkschaftsbewegung

Die Rahmenbedingungen für US-Gewerkschaften sind derzeit relativ gut. Präsident Biden und seine Regierung geben den Gewerkschaften politisch Rückenwind. Die Anliegen von Beschäftigten und deren Vertretungen werden in zentralen und insbesondere industriepolitischen Gesetzesvorhaben berücksichtigt. Für die Gewerkschaftsbewegung bedeutende legislative Initiativen wie jene zum Schutz gewerkschaftlicher Organisierung (PRO-Act) oder die Erhöhung des landesweiten Mindestlohnes von 7,25 auf 15 US-Dollar sind im Kongress zwar bisher an den Republikanern gescheitert, die Biden-Administration versucht jedoch sie in Form von Exekutivanordnungen oder anderen Wegen praktisch durchzusetzen.
Am US-amerikanischen Arbeitsmarkt fand als Reaktion auf die Covid-Pandemie ein großer Umbruch zugunsten der Gewerkschaftsbewegung statt. Knapp 100 der 160 Mio. Beschäftigten wechselten in den letzten beiden Jahren ihren Arbeitsplatz, um neue, oft besser bezahlte Jobs anzunehmen. Was neben Lohnzuwächsen in den vergangenen 12 Monaten von durchschnittlich 4,4 Prozent auch zu einer gesteigerten Verhandlungsmacht von Beschäftigten und Gewerkschaften geführt hat.

Positive Einstellung gegenüber Gewerkschaften

Gesellschaftspolitisch finden Gewerkschaften derzeit ebenfalls gute Rahmenbedingungen vor. In einer Gallup-Umfrage stehen 71 Prozent der US-Bürger:innen Gewerkschaften positiv gegenüber – der höchste Wert seit 1965.
Die gewerkschaftlichen Organisationsbemühungen haben in den letzten beiden Jahren eine große Dynamik entwickelt: 2022 gab es einen Anstieg der eingereichten Anträge auf Gewerkschaftswahlen in den USA um 53 Prozent gegenüber 2021. Im Jahr 2022 haben US-Gewerkschaften fast 300.000 Mitglieder hinzugewonnen, was ein Plus von 1,9 Prozent bedeutet und in den letzten zehn Jahren nicht mehr erreicht werden konnte.

Kaum arbeitsrechtliche Absicherung

Trotz dieser passablen Ausgangssituation ändert das nichts am strukturellen Ungleichgewicht am Arbeitsmarkt. In den USA beruht das Arbeitsverhältnis überwiegend auf freiwilliger Basis, was bedeutet, dass Beschäftigte jederzeit ohne Grund und fristlos gekündigt werden können. Für Bürger:innen unter 65 Jahren gibt es keine bundesweiten, universell garantierten Sozialleistungen.
Es existiert de facto kein staatlich finanziertes Gesundheitswesen und es gibt auch kein Recht auf bezahlten Urlaub, auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder auf bezahlten Mutterschutz bzw. Elternzeiten.

Auf Basis des bundesweiten Arbeitsrechts organisieren Gewerkschaften jeden Betrieb bzw. jede Betriebseinheit einzeln. Kollektive Verhandlungen finden daher fast ausschließlich auf Betriebsebene statt. Die Abdeckungsrate durch solche Vereinbarungen lag 2022 in der Privatwirtschaft bei 6,8 Prozent, im öffentlichen Dienst bei 36,8 Prozent.

Die Gewerkschaften sind per Gesetz außerdem in ca. der Hälfte der US-Bundesstaaten dazu verpflichtet, in organisierten Betrieben gegenüber Nicht-Mitgliedern dieselben Leistungen zu erbringen wie gegenüber Mitgliedern (etwa im Fall von Arbeitsrechtsverletzungen). Folglich ist der Anreiz sehr gering, in organisierten Betrieben Gewerkschaftsmitglied zu werden.
Substanzielle Verschiebungen des Machtungleichgewichts zugunsten Beschäftigter und Gewerkschaften kann es also nur mit einer grundlegenden Reform des Arbeitsrechts und einer breiten wirtschaftlichen und politischen Anerkennung der Rolle der Gewerkschaften geben. Denn trotz der Organisierungserfolge in jüngster Vergangenheit sind lediglich 10 Prozent der Beschäftigten in den USA Gewerkschaftsmitglied.

Gewerkschaftlicher Einfluss in Demokratischer Partei

Im Zuge ihres Aufenthaltes in den USA hatte die GPA-Delegation Gelegenheit mehrere lokale Politiker:innen des Bundesstaates New York – die sich den Democratic Socialists zuordnen – sowie Gewerkschaftsaktivist:innen zu treffen. Deren Ausführungen war deutlich zu entnehmen, dass sie sich als Bündnispartner:innen betrachten und die Achse zwischen Gewerkschaftsbewegung und Demokratischer Partei weiter stärken möchten. Diese gezielte Annäherung ist jedenfalls keine Selbstverständlichkeit für die USA.

Wie können in den USA Betriebsgewerkschaften gegründet werden?

In den USA braucht es im Vorfeld die Unterstützung von mindestens 30 Prozent der Belegschaft eines Betriebes, um Gewerkschaftswahlen überhaupt einleiten zu können. Bei der Wahl selbst, und um Vertretungsrechte für Verhandlungen zu bekommen, müssen mindestens 50 Prozent der Beschäftigten für eine betriebliche Gewerkschaftsgründung stimmen.
Wer in den USA offen die Gewerkschaft unterstützt, riskiert seinen Arbeitsplatz. Denn obwohl es illegal ist, jemanden wegen gewerkschaftlicher Betätigung zu entlassen, ist es völlig legal, Beschäftigte ohne Begründung zu feuern. Die Vorbereitungen zur Wahl einer Belegschaftsvertretung laufen daher zu Beginn meist im Geheimen ab, da sonst das Risiko besteht, entlassen zu werden, noch ehe es überhaupt zu einer ersten Abstimmung kommen kann.

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