Der Industrie- und Energiesektor ist der größte Verursacher von CO2-Emissionen hierzulande. Die Herausforderungen der Branche sind enorm, aber nicht unlösbar.
Am 25. September machte die Metalltechnische Industrie den Auftakt zur Herbstlohnrunde. Unter schwierigen Vorzeichen: Die durchschnittliche Inflationsrate zwischen September 2022 und August 2023 betrug laut Statistik Austria 9,6 Prozent. Doch über dem Kaufkraftverlust der Beschäftigten schwebt eine viel gravierendere Herausforderung: Der österreichische Industrie- und Energiesektor verursachte vergangenes Jahr 32 Millionen Tonnen CO2(-Äquivalente), 44 Prozent der Gesamtemissionen und somit so viel wie kein anderer Sektor hierzulande. Will Österreich das selbstgesteckte Klimaziel von Nettonullemissionen bis zum Jahr 2040 erreichen, muss die Industrie ihre Produktionsprozesse massiv verändern und ihre Emissionen schleunigst reduzieren. Klar ist zudem: Für viele der Beschäftigten wird sich ihr derzeitiger Arbeitsplatz verändern.
Klimakrise wird spürbar
„Wir sind die erste Generation, die die Klimakrise wirklich zu spüren bekommt, und die letzte Generation, die dagegen etwas unternehmen kann“, warnt Georg Grundei, Wirtschaftsbereichssekretär der GPA, im Gespräch mit der Kompetenz. Dass die Branche ihre Produktionsprozesse anpassen und etwa der heutige Verbrennungsmotor auf Basis fossiler Energie an ein Ende kommen muss, sei unvermeidlich, nicht zuletzt zur notwendigen Steigerung der Energieeffizienz. Die Verunsicherung unter den Beschäftigten könne er nachvollziehen, aber Angst sei noch nie ein guter Ratgeber gewesen.
„Wir sind die erste Generation, die die Klimakrise wirklich zu spüren bekommt, und die letzte Generation, die dagegen etwas unternehmen kann.“
Georg Grundei
Die konkreten Auswirkungen der Klimakrise auf den heimischen Arbeitsmarkt sind bis dato schwer zu beziffern. Ob im Zuge der Transformation Arbeitsplätze verloren gehen, ist umstritten: „Insgesamt gibt es Hinweise darauf, dass die Schaffung neuer Arbeitsplätze den Verlust von Arbeitsplätzen in Summe ausgleichen wird“, beschreibt das Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo die unsichere Datenlage. Nachsatz: „Aber das bedeutet nicht automatisch, dass diejenigen, die ihre Arbeitsplätze verlieren, grüne Arbeitsplätze bekommen“. Manche Branchen, Berufe und Regionen werden vom Wandel stärker getroffen, andere davon profitieren.
Der Wandel muss begleitet werden
Laut einer Studie des Frauenhofer-Instituts zur „Transformation der österreichischen Fahrzeugindustrie“ muss die ökologische Transformation nicht zwingend
Arbeitsplatzverluste nach sich ziehen – und kann im Idealfall sogar Arbeitsplätze generieren. „Aber das muss ordentlich begleitet werden“, betont Grundei. Er pocht darauf, die Beschäftigten auf diesem Weg mitzunehmen, die Transformation so zu gestalten, dass sie auch von allen angenommen wird.
„Was es braucht, ist eine Gesamtstrategie (…) beispielsweise durch ein längst überfälliges und tragfähiges Klimaschutzgesetz und eine ‚Just Transition‘-Strategie.“
Michael Soder
Im Rahmen der „Klima- und Transformationsoffensive“ bezuschusst der Bund die Industrie bis 2030 mit 5,7 Milliarden Euro. Eine Menge Geld, „aber Geld ist nicht alles“, kritisiert Michael Soder, Ökonom in der Abteilung Wirtschaftspolitik der Arbeiterkammer Wien. Geld mit der Gießkanne zu verteilen und hie und da symbolträchtige Gipfel zu veranstalten, helfe wenig. „Was es braucht, ist eine Gesamtstrategie“, fordert Soder. Eine solche aber sei derzeit nicht erkennbar. Klare Rahmenbedingungen und Regularien könnten der Wirtschaft helfen, sich besser auf die Transformationsprozesse einzustellen und würde auch den Beschäftigten mehr Sicherheit bieten, „beispielsweise durch ein längst überfälliges und tragfähiges Klimaschutzgesetz und eine ‚Just Transition‘-Strategie“.
Kaum einer ist mit den Herausforderungen der Transformation, mit den Ängsten und Sorgen der Beschäftigten stärker konfrontiert als Reinhard Streinz. Er ist Vorsitzender des Angestellten-Betriebsrats der voestalpine Stahl GmbH, jenem Unternehmen mit dem größten CO2-Fußabdruck in ganz Österreich. Rund 15 Prozent der österreichischen Gesamtemissionen gehen auf das Konto der Eisen- und Stahlerzeugung der voestalpine. Ab dem Jahr 2027 sollen die ersten beiden Hochöfen durch mit grünem Strom betriebene Elektrolichtbogenofen an den Produktionsstandorten in Linz und Leoben-Donawitz ersetzt werden. Die Produktion von „grünem Stahl“ soll laut dem Unternehmen in der ersten Phase rund 30 Prozent der voestalpine CO2-Emissionen einsparen. Grüner Wasserstoff soll der voestalpine bis 2050 den Weg in eine klimaneutrale Zukunft weisen.
Sorgen der Beschäftigten ernstnehmen
„Jede Veränderung bedeutet ein Stückerl Sorge“, sagt Betriebsrat Streinz. Die Dekarbonisierung der Stahlerzeugung bedeutet, dass sich Beschäftigte an veränderte Produktionsprozesse anpassen müssen. Als Belegschaftsvertretung setze man sich dafür ein, dass notwendige Weiterqualifizierungen und Umschulungen während der Arbeitszeit und bezahlt stattfinden können.
Man kann sich nicht gegen etwas verschließen, das unaufhaltbar auf uns zukommt.
Reinhard Streinz
Ein zweiter wichtiger Faktor sei das Thema Transparenz: Bei der voestalpine finde ein ständiger Austausch über Transformationsszenarien zwischen Geschäftsführung, Bereichs- und Abteilungsleiter:innen und Betriebsrat statt, erklärt Streinz. Im hauseigenen Intranet sind Transformationspfade und -projekte sowie der aktuelle Fortschritt für alle Beschäftigten jederzeit einsehbar.
Keine Angst vor Arbeitsplatzverlusten
„Man kann sich nicht gegen etwas verschließen, das unaufhaltbar auf uns zukommt“, betont der voestalpine-Betriebsrat. Wie man sich als Betriebsrat um ausstehende Gehälter oder Gesundheitsrisiken am Arbeitsplatz kümmere, sei es mittlerweile zentraler Bestandteil der Betriebsratsarbeit, die Beschäftigten „auf dem Weg der Transformation zu begleiten“. Um Arbeitsplatzverluste brauche man sich bei der voestalpine aber „keine Sorgen“ machen – Pensionierungswelle und Fachkräftemangel deuten eher das Gegenteil an.
Mit Blick auf die Herbstlohnrunde ist klar: Die grassierende Teuerung wird die Themen sozialökologische Transformation und Dekarbonisierung der Industrie in den Schatten stellen. Vordergründig wird es darum gehen, den Kaufkraftverlust der Beschäftigten (mindestens) auszugleichen und einen Teil der guten Ergebnisse des letzten Jahres zu lukrieren. GPA-Gewerkschafter Grundei aber verweist auf die Möglichkeit, abseits von Lohn- und Gehaltsfragen auch sozialpartnerschaftliche Regelungen mit in den Kollektivvertrag zu verhandeln. Grundei denkt unter anderem an die Möglichkeit eines gesicherten jährlichen Anspruchs auf Fortbildungen während der Arbeitszeit oder eine bessere Einbindung der Betriebsrät:innen und Beschäftigten in den Dialog der Transformation ihres Unternehmens.