
Foto: privat
Als Gleichbehandlungsanwältin vertritt Sabine Wagner-Steinrigl seit vielen Jahren Beschäftigte, die Diskriminierung am Arbeitsplatz erleben. Im Interview erklärt sie, wie Beratungen und Verfahren ablaufen, welche Rolle Betriebsrät:innen spielen und warum Unternehmen manchmal schon vor einer offiziellen Entscheidung einlenken.
KOMPETENZ: Angenommen, ich fühle mich an meinem Arbeitsplatz diskriminiert, z.B. bei einer Beförderung oder beim Gehalt. Wie sollte ich da am besten vorgehen?
Sabine Wagner-Steinrigl: Die Gleichbehandlungsanwaltschaft ist leicht erreichbar. Wir haben ein Formular zur ‚Digitalen Erstberatung‘ im Internet, wo man sein Problem schildern und Kontakt aufnehmen kann. Sie können uns natürlich auch anrufen. Die Beratung bei uns ist übrigens kostenfrei.
Es ist aber nicht immer notwendig, gleich zu uns zu kommen. Viele Fälle lassen sich auf einer niedrigschwelligeren Ebene lösen, indem man zuerst den Betriebsrat kontaktiert – vorausgesetzt es gibt einen im Unternehmen. Große Betriebe haben ev. auch eine Gleichbehandlungsbeauftragte oder Diversity Manager:innen.
Wir hatten kürzlich einen Fall, wo eine Kollegin mit einem befristeten Vertrag nicht verlängert wurde, weil sie schwanger wurde. Ihr Betriebsrat hat sich bei uns rechtliche Informationen geholt und konnte das Problem auf diesem Weg im Betrieb lösen. Wir sind dabei im Unternehmen gar nicht in Erscheinung getreten, sondern haben nur unsere Expertise dem Betriebsrat zur Verfügung gestellt.
KOMPETENZ: Wenn ich nun zu Ihnen zu einer Beratung komme, was sollte ich mitbringen?
Sabine Wagner-Steinrigl: Bevor man sich an uns wendet, ist es gut, Informationen zu sammeln. Auch hier kann der Betriebsrat wieder helfen, wenn es z.B. um Entgelt geht. Andere Unterlagen, die Sie mitbringen können, sind E-Mails, die Hinweise enthalten.
Damit können Sie sich bei uns eine Ersteinschätzung holen. Das heißt, wir sehen uns Ihren Fall an und geben Ihnen eine rechtliche Einschätzung, ob Diskriminierung tatsächlich vorliegt und auch, wie die Beweislage aussieht. Für Sie ist es wichtig zu wissen, ob Sie Chancen hätten, ein mögliches Verfahren zu gewinnen. Dann können Sie entscheiden, ob Sie weitergehen wollen.
Man sollte bei der Sicherung von Beweisen aber nichts Verbotenes tun! Es kommt manchmal vor, dass Klient:innen Handyaufnahmen von Gesprächen mitbringen. Das ist verboten und wir dürfen das auch nicht verwenden. Zulässig sind nur Abschriften von Gesprächen, also ein Gedächtnisprotokoll. Oft gibt es aber ohnehin genug andere Belege.
„42 Prozent der Fälle, die wir bearbeiten, sind Fälle von Benachteiligung aufgrund von Geschlecht, davon sind wiederum 29 Prozent der Fälle sexuelle Belästigung.“
Sabine Wagner-Steinrigl, Gleichbehandlungsanwältin
KOMPETENZ: Wie geht es nun weiter: Reicht man als nächstes eine Klage ein?
Oft bleibt es bei einer vertraulichen Beratung, die dem oder der Klient:in ermöglicht, die nächsten Schritte selbst zu setzen. In anderen Fällen beauftragt er bzw. sie die Gleichbehandlungsanwaltschaft mit einer Intervention. Dann schildern wir dem Arbeitgeber zunächst den Sachverhalt und unsere rechtliche Einschätzung und ersuchen um eine Stellungnahme. Bei eindeutigen Fällen fragen wir nach, ob Bereitschaft besteht, Schadenersatz zu leisten. Gerade bei Entgeltforderungen geht es häufig um hohe, rückwirkend auszuzahlende Beträge.
Darauf reagieren Arbeitgeber sehr unterschiedlich. Manchmal wird der Fehler eingestanden, manche zeigen Verständnis, viele streiten alles ab.
In einem nächsten Schritt verfassen wir gegebenenfalls eine zweite Intervention, also einen weiteren Brief, in dem wir auch rechtliche Schritte in Aussicht stellen. Häufig lässt sich damit bereits eine Lösung erzielen. Wenn nicht, bleibt als letzter Schritt ein Verfahren vor der Gleichbehandlungskommission.
KOMPETENZ: Wie viele Fälle kommen bis vor die Kommission?
Sabine Wagner-Steinrigl: Nur ein kleiner Teil. Wir versuchen, schon vorher eine gute Lösung zu erreichen, eben auf dem Weg der Interventionen beim Unternehmen. Manche Fälle bringen wir jedoch sofort zur Kommission, um keine Zeit zu verlieren. Entgelt kann nur drei Jahre rückwirkend eingefordert werden, und die Verjährungsfrist läuft weiter. In eindeutigen Fällen ist es daher oft klüger, rasch ein Verfahren einzuleiten, um die Frist zu stoppen.
Auf dem Weg zum Gericht arbeiten wir teils mit der Gewerkschaft oder der Arbeiterkammer zusammen. Liegen mehrere Klagsgründe vor, können sie aufgeteilt werden, etwa in eine Kündigungsanfechtung und ein Verfahren vor der Gleichbehandlungskommission wegen Belästigung, wie in einem Fall im vergangenen Jahr. Auch solche parallelen Verfahren sind möglich.
KOMPETENZ: Wie groß ist der Anteil der Fälle von Diskriminierung aufgrund von Geschlecht?
Sabine Wagner-Steinrigl: 42 Prozent der Fälle, die wir bearbeiten, sind Fälle von Benachteiligung aufgrund von Geschlecht, davon sind wiederum 29 Prozent der Fälle sexuelle Belästigung.
Weiters behandeln wir im Geschlechterbereich regelmäßig Entgeltfälle, Diskriminierung bei der Vereinbarkeit, also Schwangerschaft, Elternteilzeit und Elternkarenz. Dazu kommt Diskriminierung bei der Bewerbung oder beim beruflichen Aufstieg. In Bewerbungsprozessen sind es auch wiederum oft die Kinderplanung und die Kinderbetreuung, aber auch oft das muslimische Kopftuch.
KOMPETENZ: Wie kann ich solche Benachteiligungen als Betroffene beweisen? Das Unternehmen wird wohl nicht offen sagen, dass sie keine Bewerberinnen mit Kopftuch oder mit Betreuungspflichten einstellen wollen.
Sabine Wagner-Steinrigl: Doch, das kommt manchmal durchaus vor. Ich hatte einen Fall, da schrieb das Unternehmen der Bewerberin: ‚Sie müssen westliche Kleidung tragen.‘ Gemeint war natürlich das Kopftuch. Oder manchmal ist der Bewerbungsprozess schon sehr weit fortgeschritten, es gab bereits Schnuppertage, dann wurde nach Kindern gefragt – und plötzlich kam die Absage.
Im Gleichbehandlungsrecht kann das schon ausreichen! Denn man muss hier Sachverhalte nicht beweisen, sondern nur glaubhaft machen. Dann muss die Gegenseite – also der Arbeitgeber – beweisen, dass es nicht so war.
KOMPETENZ: Welche Konsequenzen drohen dem Arbeitgeber?
Sabine Wagner-Steinrigl: Die Beträge bei Schadenersatz sind niedrig. Nur bei Entgelt geht es um höhere Summen, die der Beschäftigten erstattet werden müssen.
Wir setzen aber nicht nur auf finanzielle Ansprüche. Ein Verfahren kann auch die Dynamik im Betrieb verändern. Es wirkt sich oft auf Leistung, Stimmung und Motivation aus. Außerdem fürchten Unternehmen die öffentliche Aufmerksamkeit. Zwar läuft alles bei uns und vor der Kommission vertraulich ab, doch die betroffene Person kann darüber sprechen; und das Risiko, dass etwas an die Öffentlichkeit kommt, besteht immer.
KOMPETENZ: Wie sieht es bei anderen Arten von Diskriminierungen aus?
Sabine Wagner-Steinrigl: Es gibt zunächst die intersektionelle Diskriminierung: Wenn eine Frau nicht nur wegen ihres Geschlechts, sondern gleichzeitig wegen ihrer Religion oder ethnischen Zugehörigkeit benachteiligt wird. Auch ältere Frauen erleben im Berufsleben häufig Diskriminierung.
Fälle religiöser und ethnischer Diskriminierung nehmen zwar zu, dennoch gehen wir von einem massiven Underreporting aus, d.h. nur ein kleiner Teil landet tatsächlich bei uns. Auch migrantische Männer suchen unsere Unterstützung: Ihnen werden z.B. mangelnde Deutschkenntnisse unterstellt oder ein Syrer musste wegen seiner Staatsangehörigkeit bei einer Lokalanmietung eine „Terrorismusprävention“ durchlaufen. Auch die sexuelle Orientierung kann Anlass für Diskriminierung sein.
Wir versuchen, diese Gruppen über Social Media und Öffentlichkeitsarbeit gezielt zu erreichen und kooperieren dabei auch mit NGOs wie z.B. ZARA.
KOMPETENZ: Wie sieht der Austausch und die Zusammenarbeit mit Betriebsrät:innen aus?
Sabine Wagner-Steinrigl: Es gibt einen regelmäßigen Austausch und Kooperationen. Wir werden zu Vorträgen und Workshops eingeladen, sowohl von Gewerkschaften als auch von deren Frauenabteilungen. In größeren Unternehmen führen wir Schulungen für Betriebsratsteams und Führungskräfte durch.
Entscheidend ist, dass Betriebsrät:innen gut geschult sind und die nötige Sensibilität mitbringen. Eine gute Vertrauensbasis im Betrieb ist sehr wichtig: Ohne sie wenden sich viele Frauen oder Migrant:innen gar nicht erst an den Betriebsrat. Betriebsrät:innen sind daher wichtige Partner! Sie ermöglichen Lösungen vor Ort, während wir die fachliche Expertise im Hintergrund einbringen.
Zur Person
Sabine Wagner-Steinrigl ist seit 15 Jahren bei der Gleichbehandlungsanwaltschaft tätig. Nach ihrem Jus-Studium mit dem Anspruch, etwas zu bewegen und für Gerechtigkeit einzutreten, sammelte sie berufliche Erfahrungen zunächst in der Politikberatung.
Sie betrachtet den aktuellen breiteren Diskriminierungsbegriff, der mehr umfasst als nur Geschlecht, als wesentlichen gesetzlichen Fortschritt und Auftrag zur Weiterentwicklung. Sie und ihre Organisation, die Gleichbehandlungsanwaltschaft, profitiert von den Möglichkeiten des Netzwerks Equinet, einem internationalen Netzwerk von Equality Bodies mit Austausch, Weiterbildung und Vernetzung.
