KindergartenpädagogInnen können sich im Arbeitsalltag nicht vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus schützen. Das bereitet Sorge. Wünschen würden sich jene, welche die Kleinsten betreuen, mehr Wertschätzung von der Politik. Vor allem aber fordern sie nun endlich bessere Rahmenbedingungen für die Arbeit in Kindergärten. Die KOMPETENZ sprach dazu mit einer Wiener Elementarpädagogin.
KOMPETENZ: Wie sieht Ihr Arbeitsalltag derzeit aus?
SONJA B.*: Mein Arbeitsalltag ändert sich ständig, seit Schulen und Kindergärten geschlossen sind. Ich wechsle nun zwischen Rufbereitschaft und Kinderdienst. Dabei sind wir in Schichten eingeteilt, sodass jede/r so wenige als möglich im Kinderdienst ist, wenn es die Anzahl der Kinder erlaubt. Das regelt der Träger beziehungsweise die Stadt Wien für uns, um uns zu schützen. Von der Regierung gibt es hierzu keine einheitlichen Vorgaben. In dieser Woche bin ich beispielsweise zwei Tage im Kinderdienst, an den anderen Tagen habe ich Rufbereitschaft. Wenn jemand ausfällt, bin ich also bereit einzuspringen.
KOMPETENZ: Wie läuft ein Kinderdienst derzeit ab?
SONJA B.: In meiner letzten Arbeitswoche waren vier Kinder anwesend. Wie üblich war ich mit einer Assistentin in der Gruppe. Ansonsten ist der Alltag ähnlich, nur dass man jetzt weniger Kinder hat. Ich beginne wie immer mit der Begrüßung, es gibt Frühstück und alle anderen Essensituationen mit den Übergängen, wie Händewaschen, auf die Toilette gehen, sich anziehen, wenn wir in den Garten gehen. Es ist alles gleich, nur dass man jetzt noch verstärkter auf Hygiene achtet und – das ist positiv – mehr Zeit für Bildungs- und Beziehungsarbeit hat.
KOMPETENZ: Die Betreuung vor allem von kleinen Kindern ist kontaktintensiv. Wie können Sie sich derzeit vor einer Ansteckung schützen?
„Man kann oft die Hände waschen, man kann desinfizieren, ich kann mich aber nicht davor schützen, dass ein Kind mir ins Gesicht hustet oder niest.“
Sonja B. Kindergartenpädagogin
SONJA B.: Meiner Ansicht nach ist das im Kindergarten nicht möglich. Es gibt viele Situationen, in denen man den Sicherheitsabstand nicht wahren kann. Man kann oft die Hände waschen, man kann desinfizieren, ich kann mich aber nicht davor schützen, dass ein Kind mir ins Gesicht hustet oder niest. Sie haben ihre Finger im Mund, sie greifen Spielzeuge an, damit haben auch wir ständig etwas in der Hand, auf dem Speichel haftet. Ich müsste mir ständig die Hände desinfizieren.
KOMPETENZ: Tragen Sie einen Mundschutz?
SONJA B.: Nein.
KOMPETENZ: Warum nicht?
SONJA B.: Es steht uns frei, einen zu tragen, jedoch braucht gerade ein junges Kind unsere Mimik, um uns besser zu verstehen. Der Mundschutz würde außerdem ja nicht uns, sondern nur andere schützen. Wenn wir uns schützen wollten, müssten die Kinder einen Mundschutz tragen. Wer von den Einkäufen im Supermarkt weiß, wie unangenehm das ist, weiß auch, dass das für Kinder schwer möglich ist.
KOMPETENZ: Haben Sie und Ihre KollegInnen Angst, selbst zu erkranken?
SONJA B.: Ich gehöre nicht zur Risikogruppe, aber ich fürchte mich schon. Und die Nächte, bevor ich wieder im Kinderdienst arbeiten muss, schlafe ich nicht gut, weil ich sehr angespannt bin. Diese Anspannung merke ich auch bei den Eltern. Sie wissen, sie geben ihr Kind an einen Ort, an dem die Ansteckungsgefahr groß ist.
„Ich gehöre nicht zur Risikogruppe, aber ich fürchte mich schon.“
Sonja B. Kindergartenpädagogin
KOMPETENZ: Es sind also alle nervös?
SONJA B.: Ja. Und ich höre immer wieder von KollegInnen und denke auch: Auf uns haben sie wieder vergessen. Da sind nicht die Träger gemeint – die tun alles, in allen Bundesländern. Aber öffentlich passiert da wenig. Die ElementarpädagogInnen befürchten, dass alle Kinder wiederkommen und die Regierung nicht darüber nachgedacht hat, was das für uns heißt. Wenn die Politik sagt, es können alle Kinder in den Kindergarten gehen, können wir uns nicht wehren und sagen, wir können nur zehn Kinder pro Gruppe nehmen.
Im Vergleich zu LehrerInnen beispielsweise können wir den Schutzabstand schlechter wahren. Schulen schließen zudem im Sommer – viele Kindergartenträger halten jedoch das ganze Jahr über offen. Wir gehen davon aus, dass heuer mehr Kinder im Sommer da sein werden. Das ist aber die einzige Zeit, in denen das Personal üblicherweise vermehrt auf Urlaub gehen kann, was wichtig ist. Die Erschöpfung ist groß, die Krankenstände mehren sich, weil die Rahmenbedingungen grundsätzlich nicht stimmen.
KOMPETENZ: Was bräuchte es, damit Sie sich besser geschützt fühlen?
SONJA B.: Es würde schon helfen, dass die Politik sich darüber Gedanken macht, wie es uns geht und sagt, wir wissen, ihr seid in einer Situation, in der ihr einem großen Ansteckungsrisiko ausgeliefert seid, aber wir überlegen, wie wir euch besser schützen können.
KOMPETENZ: Was könnte die Politik aber konkret machen?
SONJA B.: Es wäre schon eine Hilfe, wenn wir besser planen könnten. Jetzt ist es so, wir warten bis es eine neue Pressekonferenz gibt und hoffen, dass wir erwähnt werden, was selten der Fall ist. Wir können also nur spekulieren, etwa, wenn mehr Geschäfte aufmachen, werden auch mehr Kinder kommen.
Es braucht eine klare Zuständigkeit des Bundes – derzeit sind die Kindergärten ja Landeskompetenz. Es braucht eine Stelle, die nachfragt und erhebt, was ist in den Kindergärten nötig. Aber auch, was ist in den Familien nötig. Eine Hilfe wäre, die Sonderbetreuungszeit bundesweit fortzuführen. Man müsste dafür sorgen, dass die Gruppengröße möglichst klein bleibt. Und es ist wichtig, dass wir wissen, wer wann wiederkommt. Manche Kinder brauchen in angespannten Situationen Wahrnehmungsangebote – Einwickeln in Decken, Berührungen, mit Knete spielen. Materialien wie Knete derzeit einzusetzen, ist aber nicht sinnvoll. Ich muss mich also auf die Kinder, ihre Bedürfnisse und Themen anders vorbereiten.
KOMPETENZ: Wie sieht derzeit die personelle Situation aus – gibt es auch bei Ihnen KollegInnen, die auf Grund von Vorerkrankungen derzeit nicht arbeiten?
SONJA B.: Derzeit ist es noch nicht spürbar, weil ich ja wegen des Schichtdienstes viele KollegInnen ohnehin nicht sehe. Aber es wird ein großes Thema werden, wenn alle Kinder zurückkommen. Und dadurch, dass wir nicht wissen, wann das sein wird, können wir nur spekulieren und diese Ungewissheit ist sehr beunruhigend. Es ist die Sorge da, dass wir im Mai oder Juni mit großen Gruppen dasitzen und Personal fehlt, das uns sowieso schon fehlt. Es kann ja auch sein, dass viele an Corona erkranken, wenn alle zurückkommen – das betrifft auch Familien. Auch wenn die Kinder nicht schwer erkranken, sie sind trotzdem Überträger für die ganze Familie. Ich weiß nicht, ob man das bedenkt. Ich kann nicht den ganzen Tag mit dem Spray Spielsachen desinfizieren, denn die Kinder atmen das ein. Ich kann auch nicht drei Mal am Tag den Gruppenraum wischen. Darüber sollte sich die Regierung auch Gedanken machen.
KOMPETENZ: KindergartenpädagogInnen gehören derzeit auch zu den so genannten systemerhaltenden Berufen. Haben Sie den Eindruck, dass das entsprechend wertgeschätzt wird?
„Die Arbeit von Frauenberufen ist oft sehr unsichtbar und damit sind es auch die Bedürfnisse dieser Personen.“
Sonja B., Kindergartenpädagogin
SONJA B.: Das kommt immer ganz darauf an. Viele Eltern schätzen das schon. Für andere ist es selbstverständlich. Dass es so selbstverständlich ist und kaum Wertschätzung gibt, liegt an der Politik. Es ist aber auch ein Frauenthema. Die Arbeit von Frauenberufen ist oft sehr unsichtbar und damit sind es auch die Bedürfnisse dieser Personen.
Ich glaube aber vor allem, dass wir immer SystemerhalterInnen sind, und dass das der Politik und Gesellschaft gar nicht auffällt. Wenn man sich vorstellt, KindergärtnerInnen würden alle streiken, müssten auch alle Eltern zu Hause bleiben. Wir sind immer SystemerhalterInnen und leisten einen enormen Beitrag, indem wir für alle Kinder gleiche Chancen schaffen. Wir bieten ihnen Bildung an und berücksichtigen dabei die individuelle Entwicklung jedes Kindes.
KOMPETENZ: Gesellschaftlich gibt es nun eine Diskussion, ob etwa Angestellte im Handel künftig besser entlohnt werden sollten. Über Beschäftigte in der Elementarpädagogik ist wenig zu hören. Wie geht es Ihnen damit?
SONJA B.: Eine bessere Entlohnung ist schon lange ein Bedürfnis. Wir werden nicht angemessen bezahlt. Wir leisten sehr viel Bildungsarbeit, aber nicht nur. Es erfordert viel an entwicklungspsychologischem Wissen, Wissen über Bonding, Trauma, das alles sind Themen. Warum entlohnt man uns nicht genauso wie LehrerInnen, warum stellt man uns nicht genauso viel Vorbereitungszeit zur Verfügung? In Wien haben wir derzeit bei einer Vollzeitstelle rund fünf Stunden Vorbereitungszeit – das ist aber in allen Bundesländern unterschiedlich. Weil wir alle zu lieb sind, machen wir viel an Vorbereitung derzeit in der Freizeit. Momentan heißt das etwa: die Kinder sind ja jetzt nicht auf Urlaub, sie durchleben eine von Angst besetzte Zeit. Ich muss mich also darauf vorbereiten, wie und mit welchen Materialien sie im Kindergarten ihre Erfahrungen und Ängste spielerisch verarbeiten können.
Grundsätzlich ist ja aber der Kindergarten nicht nur eine Betreuungs-, sondern vor allem eine Bildungseinrichtung. Im Idealfall überlege ich mir da genau, was braucht welches Kind, an welchen Themen ist es interessiert und überlege mir da die geeigneten Materialien. Jetzt, wo nur wenige Kinder zu betreuen sind, sehe ich auch, dass da viel mehr möglich ist. Das würde auch für eine grundsätzlich kleinere Gruppengröße sprechen. Und dann ist da auch das Thema Aufsichtspflicht: wir müssen jederzeit wissen, wo welches Kind ist und auch mögliche Gefahren einschätzen. Das ist sehr anstrengend.
KOMPETENZ: Beim Thema Entlohnung wird oft argumentiert, dass ElementarpädagInnen Matura haben, LehrerInnen aber eine Hochschul- oder Universitätsausbildung.
SONJA B.: Es gibt es zwar nun ein zusätzliches Studium für schon ausgebildete ElementarpädagInnen, das mit dem Bachelor abschließt. Es ist aber eine Schande, dass KindergartenpädagogInnen in Österreich immer noch nicht flächendeckend an Hochschulen ausgebildet werden so wie in den meisten anderen Ländern Europas. Die, die aber bereits in dem Beruf arbeiten, haben entsprechende Erfahrung, die ebenfalls eine höhere Entlohnung gerechtfertigt. Gibt es zudem mehr Zeit für die Vorbereitung, könnte auch mehr Fortbildung absolviert werden, die das wieder ausgleicht.
Wenn die Bezahlung besser wäre, gäbe es auch mehr ElementarpädagogInnen, die auch in diesem Beruf arbeiten. Derzeit sind wir unterbesetzt, so kommen viele rasch ins Burnout. Das führt wieder dazu, dass KindergartenpädagogInnen gar nicht in den Beruf gehen oder andere die Praxis so erschreckend oder anstrengend empfinden, dass sie bald wieder aufhören, im Kindergarten zu arbeiten.
Es geht aber auch um das Frauenbild – einerseits in der Gesellschaft, andererseits jenes, das wir den Kindern vorleben. Wenn ich nun höre, es müssen mehr Männer in Kindergärten arbeiten, damit der Beruf aufgewertet wird, denke ich mir: Es wäre wichtig, wenn beide Geschlechter vertreten sind. Es stört mich aber, dass es durch Männer eine Aufwertung gäbe. Ist der Beruf nichts wert, weil er ein Frauenberuf ist? Das sollte man eben ändern – auch durch eine gerechte Entlohnung. Es geht aber eben auch um das Rollenbild, das wir Mädchen vorleben wollen und das heißt, du bist als Frau genauso viel Wert wie ein Mann. Was wir ihnen unter den aktuellen Rahmenbedingungen aber gezwungenermaßen vorleben ist: ich bin eine Frau, ich bin in der Verausgabung und ich halte meine eigenen Bedürfnisse zurück.
*Die Interviewpartnerin möchte anonym bleiben, daher wurde der Name von der Redaktion geändert.