Die französische Regierung will das Arbeitsrecht flexibilisieren. Die Gewerkschaften kämpfen seit Monaten gegen die ungerechten Reformen.
Der französische Arbeitsmarkt soll liberalisiert werden. Mit einem flexibleren Arbeitsrecht will die Regierung von Präsident François Hollande den Unternehmen die Schaffung von Jobs erleichtern. Große Teile der Bevölkerung lehnen die Reformen ab und befürchten massive Nachteile. Auch die Mehrheit der Gewerkschaften übt Kritik. Nationalen Aktionstagen folgen Streiks in verschiedenen Wirtschaftsbereichen und teils eskalierende Demonstrationen.
Kernpunkt der umstrittenen Reform ist eine Verlagerung der Verhandlungsmacht auf die Ebene der Unternehmen, also mehr Regeln direkt auf betrieblicher Ebene auszuhandeln. Diese Vereinbarungen hätten dann bei bestimmten Themen, wie etwa der Arbeitszeit, Priorität vor einer kollektivvertraglichen Einigung auf Branchenebene. Der französische Gewerkschaftsbund CGT sieht darin eine massive Schwächung der Rechte der ArbeitnehmerInnen. „Hier wird versucht, die Gewerkschaften auszuschalten, indem die Verhandlungen auf eine individuelle Ebene verlagert werden“, kritisiert Wolf Jäcklein, internationaler Sekretär des CGT. „Das kann nur Verschlechterungen für den Einzelnen bringen“, ist Jäcklein überzeugt.
Einkommensverluste vorprogrammiert
Die umstrittene Reform würde darüber hinaus Abweichungen von der in Frankreich weiterhin geltenden gesetzlichen Wochenarbeitszeit von 35 Stunden leichter möglich machen. De facto geht es um eine Verlängerung. So wäre es möglich, eine zeitlich begrenzte Erhöhung der durchschnittlichen Höchstarbeitszeit in Zukunft direkt mit dem Unternehmen zu vereinbaren. Das soll auch für die Höhe der Zuschläge für notwendige Überstunden gelten. All diese individuellen Einigungen hätten dann Vorrang vor Vereinbarungen, die für die gesamte Branche getroffen werden.
Jäcklein rechnet die Verschlechterungen an einem Beispiel vor: Für Lastwagenfahrer würde die Änderung der Regeln zu den Überstunden dazu führen, dass Perioden hoher Aktivität mit Phasen geringerer Aktivität über einen Zeitraum von bis zu drei Jahren verrechnet würden. Das kann zu teils massiven Einkommensverlusten führen. „Die Regelung der Arbeitszeit darf nicht allein auf betrieblicher Ebene stattfinden, denn dann fallen viele Günstigkeitsklauseln, die zum Vorteil der Beschäftigten sind, weg“, betont der französische Gewerkschaftssekretär.
Argumentatives Feigenblatt „Arbeitslosigkeit“
Die Liberalisierung würde den bestehenden Kündigungsschutz französischer ArbeitnehmerInnen einschränken: Betriebsbedingte Kündigungen könnten bei sogenannter wirtschaftlicher Schieflage des Unternehmens leichter möglich werden. Als Gründe dafür werden im Gesetz etwa ein deutlicher Rückgang an Bestellungen oder des Umsatzes über einen von der Unternehmensgröße abhängigen Zeitraum angeführt. Das soll nach Ansicht der Regierung Neueinstellungen erleichtern und so helfen, die aktuell hohe Arbeitslosigkeit im Land in den Griff zu bekommen. Für Jäcklein ist das eine völlig verfehlte Vorgangsweise, die einzig dazu führt, Entlassungen leichter möglich zu machen. „Der Willkür wäre Tür und Tor geöffnet, die Absicherung älterer und oft besser verdienender Bediensteter würde untergraben. Die Beschäftigten würden zum Spielball der UnternehmerInnen.“
Obwohl die Arbeitslosenquote in Frankreich mit rund zehn Prozent in der Tat sehr hoch ist und fast jeder vierte junge Franzose keine Arbeit findet, beurteilt der Gewerkschafter andere Maßnahmen als sinnvoller. „Investitionen in den Unternehmensstandort sowie eine Belebung des privaten Konsums würden neue Jobs entstehen lassen und hätten bessere Effekte auf das Wirtschaftswachstum“, ist Jäcklein überzeugt.
Trotz der breiten Ablehnung innerhalb der französischen Gesellschaft wurde die umstrittene Reform im Mai per Vertrauensfrage ohne parlamentarische Debatte durchgeboxt. Die Regelung hatte trotz der sozialistischen Mehrheit im Parlament keine ausreichende Unterstützung gefunden und über das Thema hat sich längst eine harte politische Auseinandersetzung entwickelt. Meinungsumfragen zeigen, dass rund 75 Prozent der Bevölkerung gegen die geplanten Einschnitte am Arbeitsmarkt sind. Anhaltende Proteste und Arbeitskämpfe sind die Folge.
Signalwirkung in Europa
Aus Sicht des internationalen Sekretärs der GPA-djp Wolfgang Greif ist es nachvollziehbar, dass die französische Gewerkschaftsbewegung in der Ablehnung der Maßnahmen nicht locker lässt: „Hier liegen massive Einschnitte in die Rechte der ArbeitnehmerInnen am Tisch. Es ist ganz offensichtlich, dass der Einfluss der Gewerkschaften auf die Gestaltung der Arbeitsbedingungen und auf die Lohnfindung massiv eingeschränkt werden soll“, kritisiert Greif. „Das ist ein aggressiver Angriff auf die Rechte der Beschäftigten, der nicht hingenommen werden kann“, betont Greif.
Auch aus gesamteuropäischer Sicht ist es wichtig, sich mit den Protesten solidarisch zu erklären. Denn derzeit sehen sich die Gewerkschaften in immer mehr europäischen Ländern mit teilweise einschneidenden Angriffen auf die Arbeits- und Gewerkschaftsrechte konfrontiert. So wird etwa in Großbritannien gerade das Streikrecht „entsorgt“, und in Finnland wurden den Beschäftigten erst kürzlich Urlaubstage gestrichen. In vielen anderen Ländern wird in die Geltung von Kollektivverträgen eingegriffen. „Wir dürfen nicht leise sein, wir müssen vielmehr die Einschränkungen der Mitbestimmung breit thematisieren“, betont Greif. „Denn wenn Verschlechterungen in einem Land der EU durchgehen, dann kann das negative Auswirkungen auf andere Länder haben.“
Für Greif ist es an der Zeit, ein deutliches Zeichen zu setzen, dass beim europaweiten Raubbau an Arbeits- und Gewerkschaftsrechten die Stopptaste gedrückt wird. Der Bundesvorstand der GPA-djp hat sich vor diesem Hintergrund in einer Solidaritätserklärung mit den streikenden KollegInnen in Frankreich solidarisch erklärt. Dass der anhaltende Protest Sinn macht, zeigen erste Erfolge. So wurden einige besonders kontroverse Vorschläge der Reform bereits wieder verworfen – beispielsweise eine Deckelung der Abfindung bei ungerechtfertigten Kündigungen.