Andrea Eraslan-Weninger leitet das Wiener Integrationshaus und geht mit der Politik hart ins Gericht: Die Situation für Asylsuchende habe sich in den vergangenen Jahren dramatisch verschärft.
Ein sicheres Dach über dem Kopf haben hier 110 AsylwerberInnen und Flüchtlinge: im Integrationshaus in Wien-Leopoldstadt. 20 Minderjährige, die alleine nach Österreich gekommen sind, werden hier rund um die Uhr betreut. Bürokratie wird dabei klein geschrieben. Geschäftsführerin Andrea Eraslan-Weninger geht es um die Menschen: die, welche hier ein vorübergehendes Zuhause gefunden haben, jene, die hierherkommen, um Deutsch zu lernen oder sich weiterzubilden.
Interkulturelle Arbeit
Eraslan-Weninger, geboren 1959 in Niederösterreich, ist so etwas wie eine Pionierin im Bereich der Integrationsarbeit. Als sie an der Sozialakademie studierte, war Integration kein Thema. Ihr Praktikum absolvierte sie damals in der Flüchtlingsbetreuung – auch das ist eine Ausnahme. Wie das ist, hier in der Fremde zu sein, damit kam sie zum ersten Mal in der Mittelschule in Berührung. Einige ihrer Freunde stammten nicht aus Österreich.
In den Beruf stieg sie 1980 bei der Magistratsabteilung 12 der Stadt Wien ein. Drei Jahre später wechselte sie zum Beratungszentrum für MigrantInnen. Dieses hieß damals allerdings noch anders: „Verein zur Betreuung von AusländerInnen“. Den negativen Beigeschmack erhielt der Begriff Ausländer ihrer Erinnerung nach Anfang der Neunzigerjahre. „Das war schon vor dem Ausländervolksbegehren der FPÖ.“
Inzwischen hatte auch die Sozialakademie die Zeichen der Zeit erkannt. Von 1990 bis 1994 lehrte Eraslan-Weninger hier zu den Themenbereichen Migration und Flucht sowie interkulturelle Arbeit. Noch war dies ein ergänzendes Unterrichtsangebot. „Heute ist es ein ganz wesentlicher Punkt – nicht nur in der Sozialarbeiterausbildung, auch an den Pädagogischen Hochschulen, in den Gesundheitsberufen. Wir brauchen interkulturelle Arbeit in allen Bereichen. Das heißt aber auch: Menschen mit Migrationshintergrund müssen als Unterrichtende eingesetzt werden. Derzeit ist das nur in Einzelfällen so.“
Traumatisierte Menschen
1994 wurde dann in Wien das Integrationshaus gegründet. Seit damals ist Eraslan-Weninger Geschäftsführerin. Die Einrichtung deckt verschiedenste Bedürfnisse ab: einerseits werden hier AsylwerberInnen betreut, die traumatisiert sind, oft auch alleinerziehend, die psychisch und physisch krank sind. Viele von ihnen verbringen einige Jahre im Haus: die Asylverfahren sind lange, die Mittel im Rahmen der Grundversorgung gering. „Man bekommt nicht einmal 50 Prozent der Mindestsicherung. Und seit 2004 hat es hier keine Valorisierung gegeben“, kritisiert die Expertin.
Betreut werden im Integrationshaus auch unbegleitete minderjährige AsylwerberInnen. Sie sind oft nicht nur durch die Erlebnisse in ihrer Heimat traumatisiert – ihnen hat auch die Flucht schwer zugesetzt. „Sie haben einen besonders hohen psychischen und physischen Betreuungsbedarf.“ 85 angestellte sowie 30 freie MitarbeiterInnen sind im Integrationshaus darum bemüht, ihnen und allen anderen betreuten AsylwerberInnen dabei zu helfen, in Österreich eine neue Existenz aufzubauen – und das in insgesamt 45 Sprachen.
Beratung und Lernen
Dazu gehört auch eine psychosoziale Beratungsstelle, die nicht nur von im Haus lebenden AsylwerberInnen genutzt werden kann. Im vergangenen Jahr machten 1.400 Personen von diesem Angebot Gebrauch. Doch auch die Bildungsarbeit wird im Integrationshaus groß geschrieben. Hier kann man Deutsch lernen, hier kann man Schulabschlüsse nachholen oder neue Qualifikationen erwerben. 1.200 Kursplätze stehen hier zur Verfügung.
Diese Bildungsarbeit ist aus zweierlei Gründen wichtig: einerseits, um den Flüchtlingen ein Rüstzeug mitzugeben für jenen Tag, an dem ihr Asylantrag positiv beurteilt wird und sie arbeiten dürfen. Andererseits, um ihren Tagen Struktur zu geben. Der reguläre Arbeitsmarkt steht AsylwerberInnen nicht offen. Sie dürfen erlaubterweise nur wenigen Tätigkeiten nachgehen: etwa der eines Erntehelfers oder – zynischerweise – der Prostitution.
Zugang zum Arbeitsmarkt
Grundsätzlich hat sich die Lebenssituation der Betroffenen in den vergangenen Jahren durch die Verschärfungen im Fremden- und Asylrecht weiter verschlimmert, beklagt Eraslan-Weninger. Sie fordert eine Anhebung der Grundversorgung auf die Höhe der Mindestsicherung und einen Zugang zum Arbeitsmarkt für AsylwerberInnen. Viele von ihnen brächten aus ihrer Heimat gute Qualifikationen mit – etwa im Bereich Medizin. Sie nicht arbeiten zu lassen, schadet nicht nur den Einzelnen, sondern auch der österreichischen Gesellschaft, „weil mitgebrachte Qualifikationen, Erfahrungen und Potenziale verloren gehen“.
Die Finanzen sind auch für das Integrationshaus ein steter Bereich des Kampfes. Man ist dringend auf Spenden angewiesen – die Rechtsberatungen zum Beispiel werden ausschließlich über private Zuwendungen finanziert. 2009 brauchte die Einrichtung Mittel in der Höhe von 3,8 Millionen Euro. Etwas mehr als die Hälfte kam dabei über die Kostenbeiträge für die Grundversorgung in die Kasse. Ein Fünftel erlöste das Integrationshaus über Spenden und Veranstaltungen. Spenden an das Integrationshaus sind steuerlich absetzbar.
www.integrationshaus.at
Was Integration bedeutet, lebt Eraslan-Weninger übrigens auch privat vor: Ihr Mann wuchs in der Türkei auf, besuchte dort die österreichische Schule. Wie sie ist er auch in der Migrantenbetreuung tätig. Die beiden 1987 und 1991 geborenen Kinder wuchsen aber vor allem deutschsprachig auf. „Sie haben aber sicherlich einen offeneren Zugang zu anderen Kulturen – und sind gleichzeitig typische Wiener.“