Die Mindestsicherung ist weder eine Hängematte noch ist sie zu hoch. Wir stellen falsche Behauptungen rund um die Mindestsicherung richtig.
Behauptung: Immer mehr Menschen beziehen bedarfsorientierte Mindestsicherung (BMS) und die Kosten steigen. Das zeigt die Notwendigkeit für Einschnitte und Reformen.
Faktencheck: Ja, es stimmt, dass die Zahl der BMS-BezieherInnen steigt. 2011 gab es 193.276 BezieherInnen, 2014 waren es 256.405. Dieser Anstieg ist leider nicht verwunderlich, denn er fand vor dem Hintergrund eines starken Anstiegs der Arbeitslosigkeit statt. Das Arbeitslosengeld eines/r Alleinstehenden beträgt 55 Prozent des vorherigen Nettoeinkommens. War man vor dem Verlust des Arbeitsplatzes niedrig bezahlt oder hat Teilzeit gearbeitet, dann sind die AMS-Leistungen oft nicht existenzsichernd. Man erhält dann zusätzlich eine Aufstockung durch die Mindestsicherung.
Die meisten BezieherInnen der Mindestsicherung haben zusätzlich ein geringes Erwersbeinkommen oder eine geringe Leistung des AMS. In Wien etwa sind das 60 Prozent, 15 Prozent beziehen die Mindestsicherung ergänzend zu einem geringen Erwerbseinkommen. Die Mindestsicherung würde ihren Zweck verfehlen, wenn bei drastisch steigender Arbeitslosigkeit nicht mehr Menschen eine Existenzsicherung durch die Mindestsicherung erhalten würden.
Insgesamt betragen die Kosten der Mindestsicherung übrigens nur 0,67 Prozent des Sozialbudgets.
Behauptung: Die Mindestsicherung ist so hoch, dass es sich nicht auszahlt arbeiten zu gehen.
Faktencheck: 2016 beträgt der Richtsatz für die Mindestsicherung 837,76 Euro für Alleinstehende und 1.256,64 Euro für (Ehe-)Paare. Für jedes Kind kommen 150,80 Euro dazu. Die Mindestsicherung wird 12-mal im Jahr ausbezahlt. Es ist richtig, dass bei sehr geringen Löhnen, vor allem bei Teilzeitbeschäftigung, die Differenz zwischen Lohn und Mindestsicherung mitunter nicht hoch ist. Umso wichtiger ist es daher Mindestlöhne anzuheben.
Beim Vergleich muss man außerdem berücksichtigen, dass Löhne und Gehälter in der Regel 14-mal ausbezahlt werden. Dazu ein konkretes Rechenbeispiel: Bei 1.500 Euro Bruttoeinkommen erhält man netto 1.198,90 Euro. Das liegt um 361 EUR über der Mindestsicherung. Inklusive Sonderzahlungen ergibt sich eine jährliche Differenz von 6.736 EUR. Das Arbeitseinkommen liegt damit um 67 Prozent über der Mindestsicherung.
Und: Man kann sich nicht aussuchen, ob man arbeiten geht oder Mindestsicherung bezieht. Voraussetzung für den Bezug ist, dass man jede zumutbare Arbeit annimmt, da fällt selbstverständlich auch Teilzeitarbeit bzw. Arbeit unter dem Richtsatz der Mindestsicherung darunter. Man kann keine Arbeit ablehnen, weil sich das nicht „auszahlt“.
Behauptung: Die Mindestsicherung ist eine soziale Hängematte.
Faktencheck: Das Leben als MindestsicherungsbezieherIn ist alles andere als bequem. Anders als bei Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe muss man, bevor man Mindestsicherung beziehen kann, sein Vermögen verwerten, z. B. Ersparnisseaufbrauchen. Lediglich ein Freibetrag von 4.188,80 EUR ist geschützt.
Der Bezug der Mindestsicherung setzt außerdem Arbeitswilligkeit voraus und die wird überprüft und sanktioniert. 2015 gab es in Wien 8.050 Sanktionen, weil die BezieherInnen Termine nicht wahrgenommen oder Arbeit nicht angenommen haben.
BMS-Bezieherinnen müssen zudem ihre Lebensverhältnisse offenlegen. Während des laufenden Bezugs sind jederzeit Kontrollen möglich, z. B. mittels unangemeldeter Hausbesuche. Zu unrecht bezogene Leistungen müssen zurückbezahlt werden. Bei Missbrauch drohen Verwaltungsstrafen.
Die durchschnittliche Bezugsdauer bei der BMS beträgt zwischen sechs und neun Monaten. Für die überwiegende Mehrheit ist die Mindestsicherung eine kurzfristige Überbrückungshilfe und alles andere als eine soziale Hängematte.
Eine große Zahl von Bezugsberechtigten nimmt überhaupt keine Leistungen in Anspruch, darunter auch viele Menschen mit einem geringen Einkommen.
Behauptung: Wenn man Kinder hat, zahlt es sich nicht aus arbeiten zu gehen, weil dann die Mindestsicherung so hoch ist.
Faktencheck: Zu berücksichtigen ist zunächst einmal, dass Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag prinzipiell zustehen, egal ob man einer Erwerbsarbeit nachgeht oder nicht. Es ist richtig, dass ein Alleinverdiener/eine Alleinverdienerin bei einem Kind 1.580 EUR brutto verdienen muss, um im Jahr auf dasselbe Familieneinkommen zu kommen wie bei der Mindestsicherung – bei vier Kindern sind das schon 2.135 EUR.
Wesentlich geringer ist dieser Betrag, wenn beide Elternteile erwerbstätig sind. Da die Einkommen getrennt besteuert werden und die Besteuerung erst bei einem Bruttoeinkommen ab ca. 1.200 EUR beginnt, müssen beide zusammen deutlich weniger verdienen, um auf denselben Bruttobetrag zu kommen. Bei einem Kind 1.419 Euo (je 709 Euro), bei bei vier Kindern 1.850 Euro (je 925 Euro).
Die tatsächlichen Zahlungen an Mindestsicherung bleiben übrigens
deutlich hinter den kolportierten Rechenbeispielen zurück. Durchschnittlich wurden im Oktober 2014 pro Haushalt 603 Euro ausbezahlt. Selbst Familien mit vier und mehr Kindern bekamen im Schnitt nur 1.106 Euro.
Wie bereits erwähnt, kann man sich auch nicht aussuchen, ob man Mindestsicherung beziehen oder arbeiten gehen möchte, weil mangelnde Arbeitswilligkeit sanktioniert wird.
Behauptung: AsylwerberInnen bekommen Mindestsicherung.
Faktencheck: Diese Behauptung ist falsch. Asylsuchende während des
laufenden Verfahrens bekommen keine Mindestsicherung, sondern
die sogenannte Grundversorgung. Wohnen sie in organisierten Unterkünften, werden maximal 19 Euro pro Tag direkt an die Einrichtung bezahlt, in der sie untergebracht sind. Maximal 40 Euro Taschengeld pro Monat erhalten die Asylsuchenden für alle persönlichen Ausgaben. Wenn sie selbstständig wohnen, erhalten sie maximal 320 Euro pro Person und Monat. Eine fünfköpfige Familie bekommt maximal 910 Euro monatlich. Asylberechtigte, also jene Flüchtlinge, denen bereits Asyl gewährt wurde, sind ÖsterreicherInnen
gleichgestellt und können die Mindestsicherung beziehen. Es gelten dann auch die gleichen Regeln in Bezug auf Arbeitsbereitsschaft und Sanktionen.