Rechte Parteien loten derzeit europaweit Grenzen aus. Doch der Wandel geht über polternde PolitikerInnenreden weit hinaus. So manche Grenze wurde bereits überschritten.
Der Historiker und Schriftsteller Doron Rabinovici hat für sein Theaterstück „Alles kann passieren!“ Zitate europäischer Rechtspolitiker montiert. Für die Buchausgabe hat „Falter“-Chefredakteur Florian Klenk das Polittheater um einen Essay ergänzt, der beklemmend aufzeigt, wie Österreich zur Versuchsstation für eine illiberale Allianz in Europa wird.
Von einem „Systemwechsel“ spreche Österreichs Kanzler Sebastian Kurz. Dabei komme die Konsensdemokratie, aber auch der bisher starke Sozialstaat unter Druck, so Klenks Befund. Denkt man an die aktuelle Regierungsagenda von der Neugestaltung der Mindestsicherung, die vor allem für kinderreiche Familien zu Einbußen führt, an die Abschaffung der Notstandshilfe oder die Zusammenlegung von Krankenkassen, die vor allem Vorteile für die Wirtschaft, nicht aber die PatientInnen bringen wird, wird die Einschätzung des „Falter“-Chefredakteurs jeden Tag aufs Neue bestätigt.
Nachdenklich stimmt aber vor allem das Drama, das Rabinovici aus Zitaten von Ungarns Ministerpräsident Victor Orbán, Italiens Innenminister Matteo Salvini, Jaroslaw Kaczynski, dem Vorsitzenden der polnischen Regierungspartei PiS, Polens Ministerpräsident Mateusz Morawieci, Tschechiens Staatspräsident Milos Zeman sowie Österreichs Vizekanzler Heinz-Christian Strache, Innenminister Herbert Kickl und Verkehrsminister Norbert Hofer arrangiert hat. Jedes Zitat ist so gefallen, wie es hier notiert wurde und in der Zusammenschau wird der Nationalismus deutlich, der sich in Europa wieder breit macht.
Wer und was da nicht hineinpasst, wird eliminiert. Nicht nur in Worten, auch in Taten. Da sagte etwa Salvini: „Sobald wir die Regierung bilden, wird die Polizei freie Hand beim Säubern der Stadt haben. Die unsere wird eine ethnisch kontrollierte und finanzierte Säuberung sein, dieselbe, die gerade die Italiener erleiden, die von den Illegalen unterdrückt werden.“ Und: „Ich würde gerne das Strafgesetz ändern: Es ist kein Verbrechen, wenn du einen Zigeuner, der klaut, verprügelst. Seid ihr auf meiner Seite?“ Vor allem aber twitterte Italiens Innenminister: „Mit einer Vorankündigung von sechs Monaten werde ich alle Roma-Camps dem Erdboden gleichmachen.“
Da sagte Zeman, und das just in einer Weihnachtsansprache: „Dieses Land ist unser Land, es ist nicht für alle da und kann auch nicht für alle da sein.“ Und Orbán betonte in einer Rede vor dem Europäischen Parlament in Straßburg: „Man will Ungarn verurteilen, weil die ungarischen Menschen beschlossen haben, dass unsere Heimat zu keinem Einwanderungsland wird. (…) Ich teile Ihnen bei allem Respekt mit, dass ganz gleich, was für eine Entscheidung Sie treffen werden, Ungarn der Erpressung nicht nachgeben wird. Ungarn wird seine Grenzen schützen, die illegale Migration aufhalten und seine Rechte verteidigen, wenn es sein muss, dann auch Ihnen gegenüber.“
Wer wissen will, wohin die Reise geht, der kann in „Alles kann passieren!“ nachlesen, was Europas Rechts vorhat. Viel liegt bereits am Tisch, Orbán, Kickl, Salvini – sie äußern heute, das, was sie denken, und das, was sie vorhaben, offen und klar. Man/frau muss nur genau zuhören.
Florian Klenk
Alles kann passieren!
Ein Polittheater.
Zsolnay Verlag
Wien 2018-12-20
64 Seiten, Euro 10,30
ISBN 978-3-552-05943-6