Die historische Entwicklung der Arbeitszeit(-beschränkung) in Österreich zeigt, wie intensiv umkämpft diese seit jeher war.
Vor den ersten gesetzlichen Arbeitszeitbeschränkungen im Jahre 1884 herrschte in Österreich im Sinne des Liberalismus das Prinzip der absoluten Vertragsfreiheit vor – der freie Arbeitsvertrag unterlag somit in Bezug auf die Arbeitszeit keinerlei staatlichen Beschränkungen. Es oblag den scheinbar gleichberechtigten Vertragsparteien diesen auszuhandeln und zu vereinbaren. Dass die ArbeitnehmerInnen auf Grund der Notwendigkeit ihre Arbeitskraft zu verkaufen, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können, sich vor allem bei hoher Arbeitslosigkeit nicht in einer gleichwertigen Verhandlungsposition befanden, und somit zwischen ArbeitgeberIn und ArbeitnehmerIn keine Verhandlung auf Augenhöhe stattfinden kann, wurde bei diesem politischen sowie rechtlichen Konzept nicht berücksichtigt.
„Arbeit und Entlohnung regeln sich nach allgemein wirtschaftlichen Gesetzen, denen gegenüber sich jedes staatliche Reglementieren als ohnmächtig erweist.“
Erläuternde Bemerkungen zur Gewerbeordnung von 1859
Das erwähnte Paradigma einer uneingeschränkten Privatautonomie in Hinblick auf die Regelung der Arbeitszeit kommt in einem Motivenbericht aus 1869, anlässlich der Novellierung der Gewerbeordnung (GewO) von 1859, sehr gut zum Ausdruck „Bezüglich der Regelung der Arbeitszeit für erwachsene, eigenberechtigte männliche Arbeiter müssen Eingriffe der Gesetzgebung in die freie Entwicklung dieser Verhältnisse […] als eine Verletzung der individuellen Freiheit des mündigen Staatsbürgers angesehen werden. […] Der Staat kann und darf weder im legislativen noch im administrativen Wege darauf Einfluss nehmen, Leistung und Gegenleistung, Arbeit und Entlohnung regeln sich nach allgemein wirtschaftlichen Gesetzen, denen gegenüber sich jedes staatliche Reglementieren als ohnmächtig erweist.“
Arbeitszeiten zwischen 12 und 16 Stunden pro Tag
Infolge des Umstandes, dass die GewO von 1859 keinerlei Beschränkung der Arbeitszeit vorsah, lagen die täglichen Arbeitszeiten in Industrie, Bergbau und Gewerbe zwischen 12 und 16 Stunden, was zu einer wöchentlichen Stundenzahl von bis zu 90 Stunden führte. Zudem stellte auch die Kinderarbeit Normalität dar. Erste staatliche Maßnahmen Vor dem Hintergrund eines zunehmend sinkenden Gesundheitszustandes der Jugendlichen, der seinen Ausdruck u.a. in den Musterungsergebnissen fand (die Tauglichkeitsquote sank stark ab) sowie der physischen Verelendung der ArbeitnehmerInnen und überlange Arbeitszeiten, kam es ab 1884 zu ersten staatlichen Beschränkungen des Arbeitstages.
Den Anfang machte der Bergbau. Hier wurde 1884 die Schichtdauer mit 12 Stunden inklusive Pausen festgelegt, sodass die effektive Arbeitszeit zehn Stunden betrug. Mit der Novellierung der GewO wurde 1885 ein Maximalarbeitstag von 11 Stunden in Fabriken eingeführt. Zudem wurde das Verbot der Kinderarbeit (im Gewerbe bis zum 12. Lebensjahr, in der Industrie bis zum 14. Lebensjahr), ein Nachtarbeitsverbot für Frauen und Jugendliche (14 bis 18 Jahre) ebenso wie die Sonn- und Feiertagsruhe erlassen. Des Weiteren wurden auch bedeutende sozialgesetzgeberische Regelungen wie die Kranken- und Unfallversicherung vorgenommen.
Obwohl die praktische Umsetzung der genannten Maßnahmen teilweise zu wünschen übrig ließ, verwirklichten diese ersten staatlichen Beschränkungen das Prinzip einer täglichen Höchstarbeitszeit über die nicht hinausgegangen werden durfte. In den folgenden Auseinandersetzungen über das Ausmaß der Arbeitszeit ging es nicht mehr um dieses Prinzip selbst, d.h. ob der Staat bezüglich der Arbeitszeit in die Privatautonomie eingreifen darf, sondern um das Wie bzw. die Reichweite des Engriffes (denn Gewerbe und Landwirtschaft waren von den Regelungen aus 1885 nicht erfasst!).
Der Kampf um den Achtstundentag
Vor dem Hintergrund der Gründung der sozialdemokratischen Partei am Parteitag 1888/89 in Hainfeld, sprach sich diese am 1. Mai 1890 erstmals für den Achtstundentag aus. Die Forderung lautete 8-8-8. Dies stand für acht Stunden Arbeit, acht Stunden Schlaf und acht Stunden Erholung/Freizeit. In der Donaumonarchie wurde der Kampf um den Achtstundentag auf zwei Ebenen ausgetragen, auf parlamentarischer und auf betrieblicher. So hatten zahlreiche Streiks zur Folge, dass durch die Regelungen in Kollektivverträgen die tatsächliche Arbeitszeit in den Fabriken unter der gesetzlichen von elf Stunden lag. Die Forderung nach einem gesetzlichen Achtstundentag, die vor allem von der Sozialdemokratie formuliert wurde, fand jedoch erst 1918 ihre Verwirklichung. Auf Grund des Vorliegens einer revolutionären Situation (es bildeten sich Arbeiter- und Soldatenräte in Österreich, Ungarn und Bayern) wurden schlagartig sämtliche Forderungen, für deren Erfüllung die ArbeiterInnenbewegung in den letzten drei Jahrzehnten gekämpft hatte, verwirklicht.
Unter dem neuen Staatssekretär für soziale Fürsorge Ferdinand Hanusch wurde das Gesetz zur Einführung des Achtstundentages am 19.12.1918 zunächst als Provisorium für Fabriken beschlossen und ein Jahr später schließlich – ohne besonderen parlamentarischen Widerstand – auf Dauer verankert. Der Achtstundentag – der nun auch für das Gewerbe, nicht jedoch für ArbeitnehmerInnen in der Land- und Forstwirtschaft galt – war allerdings nur eine von vielen arbeits- und sozialpolitischen Maßnahmen, die 1918/19 verwirklicht wurden (in diesem Zeitraum wurden rund 80 sozialpolitische Gesetze bzw. Verordnungen erlassen!).
Weitere Verbesserungen
In arbeitszeitrechtlicher Hinsicht bestanden die wichtigsten gesetzlichen Regelungen – neben dem Achtstundentag – im Arbeiterurlaubsgesetz (dadurch wurde ein einwöchiger und bei fünf Jahren Betriebszugehörigkeit zweiwöchiger Jahresurlaub eingeführt), der Sonn- und Feiertagsruhe für Gewerbebetriebe, dem Bäckereiarbeitergesetz, dem Verbot der Nachtarbeit von Frauen und Jugendlichen in gewerblichen Betrieben und den Gesetzen über die Kinderarbeit, der Mindestruhezeit sowie dem Ladenschluss.
Des Weiteren kam es in arbeits- und sozialrechtlicher Hinsicht zu Verbesserungen des Kollektivvertragsrechts sowie der Einrichtung von Einigungsämtern, der Erlassung des Betriebsrätegesetzes, der Einführung der Arbeitslosenversicherung und der Einrichtung der Arbeiterkammern. Sogar in der Zeit des Austrofaschismus blieb das Gesetz über den Achtstundentag aus 1919 – von einigen Ausnahmebestimmungen abgesehen – unberührt. Man darf sich jedoch diesbezüglich nicht täuschen lassen, denn nach dem Verbot der Sozialdemokratie, der Kommunistischen Partei und der Gewerkschaften sowie der Aushebelung der BetriebsrätInnen, gab es kein Korrektiv mehr, welches die Einhaltung dieser Norm überwachen hätte können, sodass der Achtstundentag auf dem Papier zwar weiter existierte, in der Realität aber von Seiten der ArbeitgeberInnen weitgehend nicht eingehalten wurde.
Arbeitszeitverlängerung auf 10 Stunden pro Tag
Mit dem Anschluss an Deutschland setzte eine Zäsur im Arbeitszeitrecht ein, da 1939 eine Verordnung (VO) erlassen wurde, welche das Gesetz aus 1919 über den Achtstundentag für männliche Arbeiter und Angestellte über 18 Jahre außer Kraft setzte. In einer weiteren VO wurden Arbeitszeiten von über zehn Stunden nur in bestimmten außergewöhnlichen Fällen für zulässig erklärt, sodass im Endeffekt eine Verlängerung der täglichen Normalarbeitszeit auf zehn Stunden eintrat.
Besondere Probleme bereitete nach Kriegsende der Umstand, dass diese VO aus 1939 nicht außer Kraft gesetzt wurde und daher auf politischer und rechtlicher Ebene strittig war, ob nun der Acht- oder Zehnstundentag in Geltung stand. Hiezu gab es unterschiedliche rechtliche Ansichten. Alles in allem ist diese unmittelbare Nachkriegszeit in arbeitszeitrechtlicher Hinsicht daher überwiegend von der Erhaltung bzw. Wiederherstellung des Achtstundentages bestimmt.
Bedeutende gesetzliche Entwicklungen im Bereich des Arbeitszeitrechts in der zweiten Republik
Die arbeitszeitrechtliche Diskussion der zweiten Republik ist – von der erwähnten Unklarheit über die Länge der täglichen Normalarbeitszeit nach Kriegsende abgesehen – vor allem durch Auseinandersetzungen über die Frage der Verkürzung der Wochen- und Jahresarbeitszeit geprägt. Ab Beginn der 1950er Jahre traten ÖGB, SPÖ und Arbeiterkammern für eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 40 Stunden ein.
Nachdem auf parlamentarischer Ebene zwischen den beiden Großparteien keine Einigung zustande kam, ersetzten die SozialpartnerInnen diesen fehlenden Konsens bzw. waren Wegbereiter für eine entsprechende Übereinkunft auf Regierungsebene, indem sie 1959 durch einen Generalkollektivvertrag die Wochenarbeitszeit von 48 auf 45 Stunden herabsetzten. Auf gleichem Wege wurde 1964 der Jahresurlaub im Ausmaß von drei Wochen eingeführt, der 1971 auch gesetzlich verankert wurde.
Auf Druck des ÖGB, eines von SPÖ und ÖGB organisierten Volksbegehrens zugunsten der Einführung der 40-Stundenwoche sowie auf Basis eines Gutachtens des Beirats für Wirtschafts- und Sozialfragen, der eine etappenweise Einführung der 40-Stundenwoche befürwortete, schlossen die Sozialpartner am 29.9.1969 einen Generalkollektivvertrag ab, der die schrittweise Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 40 Stunden bis 1975 vorsah.
Einführung des Arbeitszeitgesetzes
Diese Einigung auf Sozialpartnerebene machte den Weg für einen politischen Konsens frei, sodass 1969 das Arbeitszeitgesetz (AZG) erlassen wurde, welches analog zum Generalkollektivvertrag eine entsprechende Verkürzung der Wochenarbeitszeit in Etappen vorsah (ab 5.1.1970 43 Stunden, ab 3.1.1972 42 Stunden, ab 6.1.1975 40 Stunden).
Nach wie vor normiert das AZG in seiner geltenden Fassung in § 3 Abs 1 grundsätzlich eine wöchentliche Normalarbeitszeit von 40 Stunden. Freilich wurden auf kollektivvertraglicher Ebene ab 1985 für einige Branchen auch kürzere Wochenarbeitszeiten (z.B. 38 oder 38,5 Wochenstunden) vereinbart. In Bezug auf die Jahresarbeitszeit erfolgte die weitere Entwicklung in Richtung kürzerer Arbeitszeiten in zwei Schritten: 1976 wurde der vierwöchige Mindestjahresurlaub gesetzlich eingeführt, 1984 auf selbigem Wege etappenweise bis 1986 der fünfwöchige Jahresurlaub.
Im Zuge der historischen Betrachtung der Arbeitszeitregulierung wird deutlich, wie intensiv diese seit jeher umkämpft war. Weiterhin stehen im Zentrum der Auseinandersetzungen um die Arbeitszeit beispielsweise die Verlängerung des Urlaubsanspruches auf sechs Wochen und generell die Weiterentwicklung selbstbestimmter Arbeitszeitkonzepte, die selbstverständlich auch auf eine Verkürzung der Arbeitszeit abzielen müssen.
Rückschritte durch die Arbeitszeitgesetz-Novelle 2018
In der jüngeren Geschichte der Zweiten Republik lässt sich, entgegen der langjährigen gesetzgeberischen Tendenz zur immer weiteren Verkürzung der Arbeitszeit, jedoch eine gegenläufige Entwicklung beobachten. So wird von VertreterInnen der Industrie und der konservativen Parteien unter dem Schlagwort der „Flexibilisierung“ seit einiger Zeit ein Abgehen von den im Sinne der Beschäftigten erkämpften Regelungen zur Begrenzung der Arbeitszeit propagiert.
Vermehrt setzt sich in den Köpfen der ArbeitgeberInnenvertreterInnen wieder die Auffassung durch, dass die Beschäftigten dann verfügbar sein sollen, wenn sie gerade gebraucht werden. Das geht mit einer immer höheren Durchdringung der Gesellschaft durch digitale Technologie, die ohne klare Regelung ohnehin zu einem Verschwimmen der Grenzen von Arbeit und Freizeit führt, einher. Die Bedeutung von selbstbestimmter Freizeit rückt in der gesellschaftlichen Debatte insgesamt in den Hintergrund.
Die seit Dezember 2017 amtierende Regierungskoalition aus ÖVP und FPÖ beeilte sich, den Wünschen aus der Industrie zu entsprechen. Mit der AZG-Novelle 2018, die seit 1.9.2018 in Kraft ist, wurde die zulässige Höchstarbeitszeit auf 12 Stunden pro Tag bzw. 60 Stunden pro Woche ausgeweitet. Die von der Regierung in Aussicht gestellte Arbeitszeitflexibilisierung stellt in Wahrheit also eine Arbeitszeitverlängerung dar – obwohl die vollzeitbeschäftigten ÖsterreicherInnen bereits jetzt deutlich mehr Stunden pro Woche als im EU-Durchschnitt arbeiten. Auch das Risiko von Arbeitsunfällen steigt nach der achten Arbeitsstunde markant an. Anhand der aktuellen Entwicklungen zeigt sich somit deutlich: Wer und wie Arbeitszeit gestaltet wird, entscheidet über die soziale, wirtschaftliche und kulturelle Zukunft einer Gesellschaft. Arbeitszeitpolitik ist – damals wie heute – das Herzstück gewerkschaftlicher Arbeit und gesellschaftspolitischer Auseinandersetzung.
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Der Text erschien erstmals in der GPA-djp-Broschüre „Kompass faire Arbeitszeiten“. Eine Orientierungshilfe inkl. Rechtslage 2019
GPA-djp-Mitglieder können die Broschüre kostenlos auf der Website der GPA-djp herunterladen.