In Österreich wird im internationalen Schnitt besonders lange und flexibel gearbeitet. Mit 12-Stunden-Tag und 60-Stunden-Woche wurde die Durchsetzbarkeit überlanger Arbeitszeiten weiter erleichtert.
Laut Regierung sollen die neuen Regelungen, die mit 1. September 2018 in Kraft getreten sind, eine Anpassung an die modernen Lebensverhältnisse und Lebenswelten der Menschen bringen, mehr Freizeit und Freiheit entstehen lassen und dabei gleichzeitig die Flexibilisierungsbedürfnisse der Wirtschaft bestmöglich berücksichtigen. Wenig überraschend, ist die versprochene schöne Arbeitszeitwelt bislang nicht Wirklichkeit geworden. In keiner Weise orientieren sich die neuen gesetzlichen Bestimmungen an den bestehenden Arbeitszeitwünschen der unselbständig Erwerbstätigen. Es fehlen jegliche Ansätze in Richtung lebensphasengerechter und gesundheitsförderlicher Gestaltung, genauso wie Voraussetzungen, für eine faire Verteilung des Arbeitsvolumens. Und es sind nicht einmal Gegenmaßnahmen zum Ausgleich der verlängerten Arbeitszeit vorgesehen. Die Arbeitszeitwirklichkeit wird unter den veränderten Bedingungen wohl in absehbarer Zeit keine bessere für die Beschäftigten.
Österreichs ArbeitnehmerInnen sind FlexibilitätsmeisterInnen
Es hat nicht die neuen Bestimmungen im Arbeitszeitrecht gebraucht, um Unternehmen gute Voraussetzungen für die flexible Gestaltung eines erhöhten oder schwankenden Arbeitsbedarfes zu geben. Eine ganze Reihe von Bestimmungen haben schon vor September 2018 etwa einen 12-Stunden-Tag oder eine 60-Stunden-Woche zugelassen. Neu ist nun, dass die betriebliche Mitbestimmung und Einschränkungen auf bestimmte Situationen untergraben bzw. beseitigt werden und damit auch die Schutzfunktion des Arbeitszeitgesetzes ausgehöhlt wird.
Die ArbeitnehmerInnen in Österreich haben jedenfalls schon bisher sehr flexibel gearbeitet. Kurzfristige Verfügbarkeit und die Erbringung sehr langer Arbeitszeiten gehören zu den Charakteristika unserer Arbeitszeitlandschaft. Der technologische Fortschritt und die dadurch bestehenden Möglichkeiten, jederzeit und überall arbeiten zu können, tun ein Übriges:
- Knapp 1,4 Mio. ArbeitnehmerInnen werden mindestens einmal im Monat zu kurzfristiger Mehrarbeit aufgefordert.
- Jeder vierte Mann und jede fünfte Frau wird mindestens 1 mal pro Woche dazu aufgefordert, länger zu bleiben oder früher mit der Arbeit zu beginnen.
- Rund 43 Prozent aller ArbeitnehmerInnen werden mindestens 1 mal innerhalb von zwei Monaten außerhalb ihrer Arbeitszeit bezüglich ihrer Arbeit kontaktiert.
- Nur knapp 30 Prozent können sich kurzfristig ein bis zwei Tage frei nehmen.
- 2015 arbeiteten rund 50 Prozent der Beschäftigten häufig oder gelegentlich am Abend, in der Nacht, am Wochenende oder im Schicht- bzw. Wechseldienst.
In Österreich wird viel gearbeitet
Die ArbeitnehmerInnen in Österreich arbeiten typischerweise weitaus länger, als sie in ihrem Arbeitsvertrag vereinbart haben. Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit bei einer Vollzeitanstellung beträgt 41,3 Stunden. Damit nimmt Österreich innerhalb der EU Platz 3 ein. Nur in Großbritannien und Zypern wird noch länger gearbeitet. Mehr als ein Viertel der vollzeitarbeitenden Männer erbringt regelmäßig überlange Arbeitszeiten (25,2 Prozent arbeiten 41-59 Stunden pro Woche; 3 Prozent mehr als 60 Stunden pro Woche)
Typisch Österreichisch: Frauen arbeiten Teilzeit, Männer sehr lange
Mit 29,1 Prozent ist die österreichische Teilzeitquote die zweithöchste in der EU. Begründet ist sie durch den hohen Anteil teilzeitarbeitender Frauen von 48,3 Prozent. Die Teilzeitquote der Männer liegt im Vergleich dazu bei niedrigen 11 Prozent. Mit dieser Arbeitszeitverteilung wird die weite Verbreitung der klassischen Geschlechterrollen hierzulande verdeutlich.
In 71 Prozent der Haushalte mit Kindern gibt es eine Vollzeit- und eine Teilzeitbeschäftigung. In der Regel sind das der hauptverdienende Vater und die in Teilzeit arbeitende Mutter. Nur logisch, dass Frauen als häufigsten Grund für Teilzeitarbeit die Betreuung von Kindern und/oder die Pflege von Angehörigen angeben. Für Männer ist Aus- und Weiterbildung das wichtigste Motiv, um sich für Teilzeit zu entscheiden.
In Konsequenz ist die Ungleichverteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit zwischen Männern und Frauen in Österreich besonders stark ausgeprägt. Frauen leisten rund 66 Prozent der unbezahlten Arbeit, die rund um Kinderbetreuung, Haushalt, Pflege etc. anfällt; Männer 34 Prozent. Bei der bezahlten Arbeit ist das Verhältnis umgekehrt. 39 Prozent der bezahlten Arbeit entfällt auf Frauen und 61 Prozent auf Männer. Die für Österreich typische Verbreitung von Teilzeitarbeit hat insgesamt eine Verkürzung der Arbeitszeit bewirkt. Der Zuwachs an Teilzeit ist weniger zu Lasten von Vollzeitbeschäftigung erfolgt, als vielmehr durch eine deutliche Zunahme der Erwerbsbeteiligung, insbesondere die der Frauen.
Viel Arbeit, oft ohne Abgeltung
Die österreichischen ArbeitnehmerInnen haben 2017 rund 250 Millionen Über- und Mehrstunden geleistet. Über 45 Millionen, also jede fünfte dieser Stunden, wurden ihnen weder in Zeit noch in Geld abgegolten. Der Anteil der nicht bezahlten Überstunden ist bei Frauen deutlich höher als bei Männern. Die ArbeitnehmerInnen verlieren damit pro Jahr Einkommen in der Höhe von über 1 Milliarde Euro! Bei einem 12-Stunden-Tag riskieren die österreichischen ArbeitnehmerInnen einen Einkommensentfall von bis zu 1,5 Milliaden Euro pro Jahr!
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Der Text erschien erstmals in der GPA-djp-Broschüre „Kompass faire Arbeitszeiten“. Eine Orientierungshilfe inkl. Rechtslage 2019
GPA-djp-Mitglieder können die Broschüre kostenlos auf der Website der GPA-djp herunterladen.