Die COVID-19-Pandemie hat unser gesellschaftliches Zusammenleben radikal verändert. Noch stecken wir mitten in einem großen Veränderungsprozess und wissen nicht, wie die Welt aussehen wird, wenn wieder so etwas wie Normalität einzieht.
Eines steht jedoch fest: Lösungen, die den Menschen in den Mittelpunkt stellen, müssen vom Geist der Solidarität und Gerechtigkeit getragen sein.
In der Phase des Zurückfahrens unserer Wirtschaft hat sich gezeigt, welche Berufe und Tätigkeiten für das Aufrechterhalten des Systems besonders wichtig sind. Es waren die Beschäftigten im Gesundheitssystem, im Handel, im Transport und in der Produktion lebensnotwendiger Güter, die das Land am Laufen gehalten haben. Der Applaus für ihre Leistungen war mehr als gerechtfertigt. Gerade unter diesen Beschäftigten befinden sich viele Menschen mit unterdurchschnittlichen Einkommen – viele davon sind Frauen. Sie brauchen mehr als Applaus, nämlich eine Anerkennung, die sich auch in einem nachhaltig höheren Einkommen manifestiert.
Sozialstaat wichtig
Länder mit einem hoch entwickelten Gesundheitssystem und Sozialstaat haben die Krise viel besser bewältigt als Länder, die aufgrund angeblicher Effizienzsteigerungen das System zurückgefahren und privatisiert haben. Die dramatischen Bilder eines völlig überlasteten Systems in den USA, in Großbritannien, Italien oder Frankreich werden wir nicht vergessen. Eine der Lehren der Coronakrise muss sein, mehr Geld und Ressourcen für ein öffentliches Gesundheits- und Pflegesystem zur Verfügung zu stellen. Zweifellos war ein intaktes Gesundheitssystem ein Faktor dafür, dass Österreich die Pandemie vergleichsweise gut bewältigt. Bei den sozialen Folgen der Krise besteht akuter Handlungsbedarf: Mit einem Arbeitslosengeld von 55 Prozent des letzten Nettobezugs liegt Österreich im internationalen Vergleich am unteren Ende. Ein Arbeitslosengeld von 70 Prozent wäre ein wichtiger Schritt, um Armut und individuelle Notlagen zu vermeiden. Mehr Geld für Arbeitslose wäre aber auch wegen der gesamtwirtschaftlichen Effekte zur Nachfragesteigerung enorm wichtig.
Der Markt hat versagt
Die Coronakrise hat uns vor Augen geführt, dass eine ausschließlich auf kurzfristigen Profit ausgerichtete Unternehmensstrategie nicht nachhaltig ist und Unternehmen ohne ausreichende Reserven am schnellsten gefährdet sind. Diese Defizite wurden in der aktuellen Krise schonungslos aufgezeigt, als etwa in Europa nicht in ausreichendem Maße Masken und Schutzausrüstungen vorhanden waren. Staatshilfen für Unternehmen müssen daher darauf ausgerichtet sein, dass gesamtwirtschaftliche Ziele, auch ökologische, stärker in den Vordergrund gerückt werden. In gesellschaftlich wichtigen Unternehmen ist auch eine dauerhafte strategische Beteiligung des Staates sinnvoll. Zudem muss Österreich und auch Europa langfristig in die Ansiedlung von wirtschafts- und gesellschaftspolitisch wichtigen Produktionsbetrieben investieren, um die lebenswichtigen Güter vor Ort herstellen zu können und stabilere Lieferketten zu etablieren.
Vermögenssteuern
Um die Wirtschaft Europas wieder aufzubauen, werden in ganz Europa gigantische Summen an Geld investiert und Schulden aufgenommen. Derzeit können diese Schulden unter sehr günstigen Konditionen zurückgezahlt werden. Bereits jetzt müssen aber die Weichen dafür gestellt werden, dass die Finanzierung der jetzigen Maßnahmen verteilungsgerecht erfolgt. Steuererhöhungen nach der Krise dürfen nicht die Kaufkraft der Menschen schwächen. Daher sind Vermögenssteuern, europaweit abgestimmte höhere Gewinnsteuern, die Besteuerung von Vermögenserträgen und Finanztransaktionen sowie fair ausgestaltete Ökosteuern sinnvoll. Die Gewerkschaften haben schon länger darauf verwiesen, dass mangelnde Verteilungsgerechtigkeit negativ auf die gesellschaftliche Entwicklung wirkt. Nach der Coronakrise wird das umso deutlicher.
„Gewerkschaften haben einen enorm wichtigen Beitrag zur Krisenbewältigung geleistet.“
Barbara Teiber
Und was tun die Gewerkschaften?
„Wir können mit Fug und Recht behaupten: Gewerkschaften haben einen enorm wichtigen Beitrag zur Krisenbewältigung geleistet. Sei es bei der raschen Umsetzung von entsprechenden Schutzmaßnahmen für die Beschäftigten oder bei der Abwicklung des nun verlängerten Systems der Kurzarbeit, das viele Menschen vor Kündigungen bewahrt hat“, bringt es GPA-djp-Vorsitzende Barbara Teiber auf den Punkt. Überhaupt gibt es Anzeichen, dass die Sozialpartnerschaft wieder eine stärkere Rolle bei der Gestaltung der Sozial- und Wirtschaftspolitik spielt.
Ob das dauerhaft so bleiben wird, hängt auch davon ab, ob es uns gelingt, unsere organisatorische Stärke und Unabhängigkeit zu bewahren. Der Erhalt eines funktionierenden Kollektivvertragssystems etwa ist enorm wichtig, um den Beschäftigten und der gesamten Wirtschaft Berechenbarkeit und Zukunftsgewissheit zu geben.
Es gilt die alte Weisheit: Schwierige Situationen bewältigt man gemeinsam und solidarisch besser als jede/r einzelne für sich allein. Warnten noch zum Jahreswechsel PolitikerInnen vor der „Renaissance kollektivistischer Ideen“ (Sebastian Kurz beim Weltwirtschaftsform), so erleben wir heute angesichts einer weltweiten unvergleichbaren Krise genau diese Wiederkehr. Es ist Zeit für mehr Gerechtigkeit!