2 Jahre Coronakrise – Zeit zur politischen Kurskorrektur?

Wolfgang Greif, Leiter der Gewerkschaft GPA-Bildungsabteilung.
Foto: Daniel Novotny

„Sparen, wo’s nur geht, ist uncool geworden“ – mit diesem Satz brachte Wolfgang Greif, Leiter der GPA-Bildungsabteilung, vergangenen Dienstag eine These auf den Punkt: Durch die Ereignisse der letzten Jahre wären lang bestehende, neoliberale Dogmen ins Schleudern geraten.

Letzte Woche hat die GPA mit SozialwissenschafterInnen und BetriebsrätInnen im Zuge der Online-Veranstaltung „2 Jahre Coronakrise – Zeit zur politischen Kurskorrektur?“ einen Rückblick sowie eine Bestandsaufnahme gewagt: Wo stehen wir nach zwei Jahren Pandemie und müssen Gewerkschaften ihren Kurs korrigieren? Und, ist Sparen wirklich „uncool“ geworden?

Stabile Klassenungleichheiten

Die Basis für die Debatte legte die Wissenschaft: Hajo Holst, Professor für Wirtschaftssoziologie an der Universität Osnabrück und Martina Zandonella, Sozialwissenschafterin am Institut Sora in Wien.

In zahlreichen Befragungen hat Hajo Holst die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Arbeitsverhältnisse in Deutschland untersucht, mit dem Resümee: „Die Klassenungleichheiten blieben im Pandemieverlauf bemerkenswert stabil“, verschoben hätten sich jedoch die Problemfelder. Unter den nicht-akademischen ArbeiterInnen mache sich allmählich Ohnmacht breit. Sie hätten in der Pandemie ihren – oft systemerhaltenden – Beitrag geleistet, erfahren dafür aber wenig Wertschätzung. Subjektiv fühlen sich viele herab gewürdigt. Sie aber sind es, die dem Ansteckungsrisiko am meisten ausgesetzt sind. Wirtschaftlich trifft die Krise ArbeiterInnen in der Produktion, Selbstständige und DienstleisterInnen am härtesten, durch Jobunsicherheit und Umsatzeinbußen. Zumindest leicht abfedern kann dies Mitbestimmung am Arbeitsplatz.

Zu ähnlichen Forschungsergebnissen kam Martina Zandonella vom Sora-Institut: Überraschend viel Geld sei schnell verfügbar, wenn es um Aufrüstung gehe. „Und wir diskutieren nach zwei Jahren Pandemie noch immer über Lohnerhöhungen bei Pflegekräften,“ so Zandonella. „Die Leute fühlen sich gefrotzelt – zurecht!“

Heute sehen wir eine Entwicklung, die sich bereits seit den 1990er Jahren vollzieht: Steigende ökonomische Ungleichheit gepaart mit zunehmender Prekarisierung am Arbeitsmarkt trifft auf höhere Risiken und weniger Unterstützung, erklärt Zandonella. In der Pandemie wuchs nicht nur die Kluft zwischen Arm und Reich, sondern auch die zwischen den Geschlechtern. „Wenn wir sehen wohin das führt, sind wir auf keinem guten Weg.“ Die fatalen Folgen: Ein deutlich geringeres Vertrauenswerte in öffentliche Institutionen und die demokratische Beteiligung. 84 Prozent im untersten Drittel der Gesellschaft fühlen sich von der Politik als „Menschen zweiter Klasse“ behandelt. Ein Gefühl, das selbst Statistiken untermauern.

Kluft durch die Belegschaft

Aber wie sieht’s auf Betriebsebene aus? Vivian Fletzer, Betriebsratsvorsitzende der Psychosozialen Dienste in Wien, berichtete aus der Praxis. Auch Arbeitsdruck und Personalmangel seien Negativ-Entwicklungen aus Zeiten vor der Pandemie. Zusätzliche psychische Belastungen – wie eben eine Pandemie oder der Terroranschlag 2020 in Wien – verschlimmern die ohnehin angespannte Situation, so Fletzer: „Menschen sind sehr resilient. Die Frage aber ist, wann ist eine Grenze erreicht, wo man wirklich nicht mehr kann?“

Deutlich sei die Kluft zwischen der Verwaltungsebene und dem Patienten-betreuenden Bereich zu spüren, erhöhtes Ansteckungsrisiko versus Homeoffice. „Das tut was mit der Belegschaft. Darum müssen wir uns als Betriebsrat kümmern.“ Adi Lehner kennt die Thematik. Er ist Vorsitzender des Zentralbetriebsrats der Unicredit Bank Austria. Auch bei seinen KollegInnen stehe der tägliche Kundenkontakt in der Bankfiliale der Arbeit in der Verwaltung – mit der Option auf Homeoffice – gegenüber. Mit dem Teleworking falle aber auch eine soziale Dimension weg: „Entfremdung, Entsolidarisierung, und damit der Verlust von Netzwerken“, so Lehner.

Kurskorrektur?

Wo liegen die Aufgaben der Gewerkschaften, ist angesichts der Herausforderungen eine Kurskorrektur nötig? Adi Lehner schlägt vor weniger auf „politische Tagesscharmützel“ einzusteigen, mehr langfristige Perspektiven zu verfolgen. Durch die Einbindung der Jugend könnte man von deren Strategien der Solidarisierung lernen. Martina Zandonella ist überzeugt, die Schere zwischen Arm und Reich dürfe nicht noch weiter auseinander gehen. Um das abzuwenden gibt Gewerkschaften. „Das wird keine Partei übernehmen,“ so Zandonella. Auch Vivian Fletzer plädiert dafür den Sozialstaat gewerkschaftlich zu stärken. Thematischer Schwerpunkt soll Hajo Holst zufolge die soziale Absicherung der an Long-Covid Erkrankten sein, da viele durch ihre Jobs besonderen Ansteckungsrisiken ausgesetzt seien: „Mit den Folgen dürfen sie nicht allein gelassen werden.“

Neoliberale Dogmen seien angekratzt, konstatiert Wolfgang Greif; so etwa die Erzählung ‚Sparen ist angesagt‘. „Da ist Diskursiv was ins Rutschen gekommen,“ meint der Gewerkschafter. Mit konstruktiven Vorschlägen müsse man sich „als Problemlöser“ positionieren und den Forderungen „mit der ganzen Wucht der Bewegung“ Nachdruck zu verleihen. Zentral sei „die Vermögensfrage zu stellen“. Und damit auch wieder jene in den Fokus zu rücken, die das System am Laufen halten um mit ihnen gemeinsam nachhaltige Verbesserungen am Arbeitsplatz zu schaffen. Allem voran gilt weiterhin: „Laut sein!“

Scroll to top