Die Ausstellung „Aufsässiges Land – Streik, Protest und Eigensinn“ im Haus der Geschichte St. Pölten zeigt eindrücklich wie vielfältig Formen des politischen Protests in der Vergangenheit waren – und dass Politik immer schon auch abseits von Großstädten gemacht wurde.
Neunkirchen
Ende des 19. Jahrhunderts wurde die niederösterreichische Industriestadt Neunkirchen zum Schauplatz eines heute kaum denkbaren Arbeitskampfes. „Neunkirchen ist ein wichtiger Standort für Fabriken, so auch für die Spinnerei Eltz. Für die Beschäftigten sind die Arbeitsbedingungen vielfach schlecht und der Lohn fällt sehr niedrig aus. Die Arbeiterinnen und Arbeiter werden in dürftig ausgestatteten Fabriksunterkünften untergebracht. Wenn sie ihre Arbeit verlieren, müssen sie ihre Wohnung räumen oder werden gewaltsam delogiert. Gegen schlechte Behandlung und soziale Ungleichheit formiert sich schließlich Widerstand.“ So erzählen es kunstvoll gestaltete Schautafeln der Ausstellung „Aufsässiges Land“, welche vor wenigen Wochen im Haus der Geschichte in St. Pölten eröffnet wurde.
Im April 1896 traten fast 400 Arbeiter und Arbeiterinnen in Neunkirchen in den Streik um gegen ihre unwürdigen Arbeitsbedingungen aufzubegehren. Die Spinnerei Eltz entließ ArbeiterInnen, Delogierungen wurden angekündigt. Da erfasste eine unerwartete Solidarisierungswelle weite Teile der Arbeiterschaft in der Stadt südlich von Wien. Auch Beschäftigte anderer Betriebe legten ihre Arbeit nieder, es kam zum Generalstreik. Zwar wurden die angekündigten Räumungen trotzdem durchgesetzt. Streikposten gelang es aber die nach Neunkirchen entsandten StreikbrecherInnen von einer Aufnahme der Arbeit abzuhalten. Wochenlang legte der Streik die Industrie der 10.000 Einwohner-Stadt Neunkirchens lahm. Letzten Endes musste der Arbeitskampf aber nach sechs Wochen abgebrochen werden – ohne Zugeständnisse durch Fabrikseigentümer.
Vielfältige Protestkultur
Kampfmaßnahmen können erfolglos verlaufen. Ihre Geschichte aber dennoch zu kennen ist essentiell, um ähnliche Niederlagen für die Zukunft zu verhindern. Kämpfe für Gerechtigkeit und Teilhabe nahmen auch in der Vergangenheit ganz unterschiedliche Formen an. Von Bauernkriegen über Demonstrationen, Enteignungen und Sitzblockaden: „Aufsässiges Land“ macht ein vielfältiges Bild einer Protestkultur sichtbar, die heute unbeachtet bleibt. Dabei würden Inflation, Energiekrise, Klimakrise und offensichtliche Ungleichheiten einen Blick in die Geschichte der Kampfmaßnahmen nahelegen. Wie wehrten sich die Menschen in den letzten Jahrhunderten gegen Unterdrückung, Naturzerstörung und Ausbeutung? So unterschiedlich die Kontexte von Wilderei, den Bummelstreiks migrantischer LandarbeiterInnen oder der Besetzung der Hainburger Au auch waren, die Sonderausstellung zu Streik, Protest und Eigensinn“ schafft es ihren gesellschaftlichen Kontext darzustellen ohne sich in historische Details zu verlieren. Im Zentrum stehen Protestbewegungen abseits großer Städte, wo in der Regel der größte Einfluss auf gesellschaftliche Entwicklungen verortet wird. Für den Aufruhr ‚abseits vom Schuss’ aber gibt es mehr als genug Beispiele.
Chemiefabrik
So etwa das einer aufmüpfigen Belegschaft einer Chemiefabrik in Mossbierbaum nahe Zwentendorf an der Donau. Anfangs richtete sich die Organisierung der ArbeiterInnen gegen den steigenden Arbeitsdruck im Betrieb. Als im Nationalsozialismus politische Gefangene aus der nahegelegenen Haftanstalt Krems-Stein zur Zwangsarbeit ins Unternehmen verbracht werden, und die Produktion umgestellt wurde auf Sprit für Kampfflugzeuge, organisierten die ArbeiterInnen eine Widerstandsgruppe zum Sturz des Nazi-Regimes. Gleich mehrere hundert UnterstützerInnen umfasste die sogenannte „Österreichischen Freiheitsfront“. Zerschlagen wurde sie schließlich mit der Verhaftung und Deportation zahlreicher Mitglieder.
Tabakfabrik
Weniger tragisch endete ein Arbeitskampf von ArbeiterInnen in einer staatlichen Tabakfabrik ein halbes Jahrhundert zuvor in Krems an der Donau. Die ohnehin kargen Löhne der Zigarettendreherinnen wurden durch Abzüge nochmal geschmälert, wann immer Fehler in ihrer Arbeit entdeckt wurden. Nach 20 Jahren in der Fabrik wurde im Jahr 1886 eine Arbeiterin wegen eines kleinen Fehlers entlassen, was ihre Kolleginnen auf den Plan rief. Diese machten durch „Schreien, Fluchen, Poltern und Aufschlagen mit den Werkzeugen“ ihrem Unmut Luft, berichtet eine kunstvoll gestaltete Tafel im Haus der Geschichte.
Mal ist es ein kleiner, wenig bekannter Aufruhr, wie jener in der Tabakfabrik, mal bis heute diskutierte Ereignisse, wie die Besetzung der Hainburger Au in den 1980er Jahren, dann wieder geheimer Ungehorsam gegen Großgrundbesitzer im 19. Jahrhundert, wie die organisierte Wilderei. In erster Linie mit eindrucksvollen Illustrationen im Stil einer Graphic Novel zeichnet die Ausstellung Proteste nach. Ergänzt wird dies mit Originalwerkzeugen, Flugblättern, Videos und Audiobeiträgen.
Eines davon, die handgeschriebenen Memoiren des Pater Ambrosius Sailer aus Lilienfeld. Als Kind wurde er Zeuge eines wochenlangen Streiks im Jahr 1905 am niederösterreichischen Industriestandort Traisen. Dort ließ der Großindustrielle Alfred von Lenz für den russisch-japanischen Krieg Kriegsmaterial produzieren. ArbeiterInnen setzten sich gegen ihre unwürdigen Arbeitsbedingungen energisch zur Wehr. Sailer schrieb: „Der Streik dauerte bis in den Herbst an und ihm schlossen sich alle Arbeiter des Traisen- und Gölsentales an. Als ich eines Tages aus der Schule heraus ging war gerade ein Zug mit Streikbrechern aus dem Burgenlande angekommen und von einer mehrtausend großen mit Stöcken bewaffneten Arbeitermasse erwartet. Die Arbeiter waren so sehr erregt, dass sie die Stöcke schwangen und ihnen der Schaum vom Munde floss. Einen so schrecklichen Anblick habe ich sonst nie in meinem Leben mehr gesehen.“
Eines davon, die handgeschriebenen Memoiren des Pater Ambrosius Sailer aus Lilienfeld. Als Kind wurde er Zeuge eines wochenlangen Streiks im Jahr 1905 am niederösterreichischen Industriestandort Traisen. Dort ließ der Großindustrielle Alfred von Lenz für den russisch-japanischen Krieg Kriegsmaterial produzieren. ArbeiterInnen setzten sich gegen ihre unwürdigen Arbeitsbedingungen energisch zur Wehr. Sailer schrieb: „Der Streik dauerte bis in den Herbst an und ihm schlossen sich alle Arbeiter des Traisen- und Gölsentales an. Als ich eines Tages aus der Schule heraus ging war gerade ein Zug mit Streikbrechern aus dem Burgenlande angekommen und von einer mehrtausend großen mit Stöcken bewaffneten Arbeitermasse erwartet. Die Arbeiter waren so sehr erregt, dass sie die Stöcke schwangen und ihnen der Schaum vom Munde floss. Einen so schrecklichen Anblick habe ich sonst nie in meinem Leben mehr gesehen.“
„Aufsässiges Land“ ist eine spannende Ausstellung über die Geschichte des Protests in Niederösterreich, bei der mit Sicherheit alle was dazu lernen können – Eine Lektion, um für kommende Auseinandersetzungen gewappnet zu sein.
„Aufsässiges Land – Streik, Protest und Eigensinn“
Sonderausstellung im Haus der Geschichte St. Pölten, bis Jänner 2024