Karl Dürtscher, Bundesgeschäftsführer der GPA-djp diskutiert im Vorfeld der EU-Wahlen mit Andreas Mörk, Geschäftsführer der Bundessparte Industrie in der Wirtschaftskammer Österreich, darüber, wie der Wirtschaftsstandort Österreich gestärkt werden kann und welche Rolle EU-weite Regeln dabei spielen könnten und sollten.
KOMPETENZ: Wie steht es um den Wirtschaftsstandort Österreich?
Dürtscher: Grundsätzlich läuft derzeit alles sehr gut, wir liegen im Wirtschaftswachstum seit 2015 beständig vor Deutschland. Wir haben bereits vor Jahren die richtigen Maßnahmen gesetzt, die zu einem attraktiven Standort geführt haben.
Mörk: Österreich ist als Standort sehr attraktiv, durch zahlreiche Investitionen steht die heimische Industrie auf sicheren Beinen. Derzeit arbeiten rund 450.000 Menschen in der Industrie – das ist ein Höchststand seit der Krise 2008. In der Automobil- und deren Zulieferindustrie spüren wir heuer Probleme. Um den hohen Level von Beschäftigung weiter zu halten sind zahlreiche Dinge zu tun – auf nationaler und auf EU-Ebene.
KOMPETENZ: Welche Regelungen meinen Sie konkret?
Dürtscher: Es muss eine wirksame Konzernbesteuerung geben. Es kann nicht sein, dass sich manche Länder Vorteile durch Steuerdumping verschaffen und zusätzlich hohe EU-Förderungen bekommen. Auch auf der sozialen Ebene würden wir uns wünschen, dass sich die EU stärker einbringt: da gibt es Handlungsbedarf im Bereich ArbeitnehmerInnenschutz, der Gestaltung der Arbeitszeit und bei den sozialen Grundrechten.
„Das Problem sind transnationale Konzerne, die innerhalb und außerhalb der EU Schlupflöcher und Optimierungsmöglichkeiten nutzen, um Steuern zu sparen.“
Andreas Mörk, Geschäftsführer der Bundessparte Industrie in der Wirtschaftskammer Österreich
Mörk: Die in Österreich ansässigen Konzerne zahlen einen anständigen Beitrag in den Steuertopf ein. Das Problem sind transnationale Konzerne, die innerhalb und außerhalb der EU Schlupflöcher und Optimierungsmöglichkeiten nutzen, um Steuern zu sparen. Optimierungen sind in Ordnung, Steuer-Schlupflöchern in einzelnen EU-Ländern stehe ich allerdings sehr kritisch gegenüber. Das schafft ein Ungleichgewicht.
KOMPETENZ: Was sind weitere Faktoren zur Standortstärkung?
Dürtscher: Die Frauenerwerbsquote muss angehoben werden, es braucht Maßnahmen, um einen Vollzeitjob und die Kinderbetreuung unter einen Hut zu bekommen.
Mörk: Darin sind wir uns einig: eine gute Infrastruktur an Kinderbetreuungseinrichtungen würde auch mithelfen, das Fachkräfteproblem zu lösen.
„Wenn es gelingt, den Frauen-Anteil in gut verdienenden Branchen zu heben, würde das auch die Einkommensschere etwas entschärfen.“
Karl Dürtscher, Bundesgeschäftsführer der GPA-djp
KOMPETENZ: Wie kann das funktionieren?
Dürtscher: Es müsste der Industrie gelingen, noch attraktiver für Mädchen und Frauen zu werden, um die Lücke zu schließen. Wenn es gelingt, den Frauen-Anteil in gut verdienenden Branchen zu heben, würde das auch die Einkommensschere etwas entschärfen.
Mörk: Das ist ein Tanker, der sich ganz langsam zu drehen beginnt. Die alten Rollenbilder sind längst überholt, die alten Zuschreibungen der Industrie als dreckige Arbeitsstätte mit schwerer Arbeit haben längst keine Gültigkeit mehr. Die Industrie macht hier ihre Hausaufgaben.
KOMPETENZ: Wo sehen Sie weiteren Veränderungsbedarf?
Mörk: Die Entsenderichtlinie ist ein Klotz am Bein der Unternehmen, weil sie völlig über ihr eigentliches Ziel, Lohndumping zu verhindern, hinausschießt. Hier werden de facto grenzübergreifende Schulungen untersagt. Große internationale Konzerne haben Schwierigkeiten damit, dass der Austausch eingeschränkt wird.
Dürtscher: Die koordinierte Bekämpfung von Lohn- und Sozialdumping über die Ländergrenzen hinweg funktioniert derzeit noch nicht zufriedenstellend. Hier bräuchte es wirksamere, länderübergreifende Sanktionsmöglichkeiten. Betrügereien müssen auch über nationale Grenzen hinweg verfolgbar sein. Das sehe ich als wichtigen Beitrag zur Wettbewerbsgleichheit.
Mörk: Das sehe ich sehr ähnlich. Strafbescheide an ausländische Unternehmen werden dort in unterschiedlichen Dimensionen vollstreckt. Das ist für heimische Firmen ein massiver Wettbewerbsnachteil und stört auch auf der emotionalen Ebene – was bleibt, ist ein Misstrauensvorschuss für heimische Unternehmen.
KOMPETENZ: Welche Maßnahmen auf EU-Ebene wären noch wichtig?
Dürtscher: Die EU hat große Handlungsspielräume im Bereich Infrastruktur. Leider schielen viele Unternehmen bei Standortentscheidungen immer noch zu oft auf Steuersenkungen oder auf die Lohnquote und nicht immer auf die Qualität der Aus- und Weiterbildung und das, was an Infrastruktur zur Verfügung gestellt wird. Eine gut funktionierende Infrastruktur bringt enorme Wettbewerbsvorteile. Hochwertige Verkehrswege, eine gute Anbindung und Vernetzung sowie sichere Produktionsstätten sind zentrale Faktoren. Um diese beiden Bereiche auf nationaler Ebene abzusichern, bräuchte es zahlreiche bilaterale Abkommen.
Mörk: Wir müssen uns stärker auf den Bereich Innovation konzentrieren. Industrie, der F+E-E-Bereich sind Stärken des gesamten europäischen Standortes, weil die Industrie in vielen Bereichen Zugpferd für andere Branchen ist. Ich würde mir hier ein viel stärkeres Bekenntnis der europäischen Politik wünschen, das auch in den Mitgliedsländern durchgängig mitgetragen wird.
KOMPETENZ: Braucht es EU-weite, strengere Regeln für Investitionen?
Dürtscher: Europa wird sich Gedanken machen müssen, wie ein Ausverkauf verhindert werden kann. Es kann nicht sein, dass sich beispielsweise chinesische Unternehmen in den Schlüsselindustrien Europas einkaufen um Know-How Transfer zu betreiben. So werden Importrestriktionen umgangen.
Mörk: Im Kontext von Unternehmensfusionen müsste die EU weitaus selbstbewusster agieren und die eigenen Stärken viel besser in den Vordergrund rücken. Das Wettbewerbsrecht muss ein wesentliches Handlungsfeld bleiben. Wir dürfen nicht ins Hintertreffen gelangen und zum Spielball zwischen den beiden großen Wirtschaftsblöcken USA und China werden. Die starren Regeln betreffend Unternehmensfusionen gehören überdacht.
Dürtscher: Das Untersagen von Fusionen brachte in vielen Fällen markante Nachteile für europäische Firmen. Hier braucht es Regelungen auf nationaler und auf EU-Ebene
Mörk: Es gilt, den fairen Wettbewerb zu stärken. Europa ist Heimmarkt und Heimat, hier benötigen wir klare Spielregeln.
Dürtscher: Wir haben unterschiedliche Vorstellungen davon, wer am Ende des Tages wofür zu bezahlen hat bzw. die Kosten trägt.
KOMPETENZ: Welche Vorteile bietet Österreich als Wirtschaftsstandort?
Mörk: Wir verfügen über exzellente Fachkräfte, unsere duale Berufsausbildung ist europaweit Vorbild. Die Infrastruktur in den Ballungsräumen bietet gute Bedingungen, in den Seitentälern gibt es Luft nach oben. In der Lohnpolitik haben in den vergangenen 30 Jahren beide Seiten mit Augenmaß agiert, ich hoffe dass wir diesen Kurs weiterhin fortsetzen können.
Dürtscher: Wir verfügen über zahlreiche innovative Betriebe, deren Herzstück sind motivierte und gut ausgebildete MitarbeiterInnen. Der Strukturwandel von der Textilindustrie zur Metallindustrie ist beispielsweise hervorragend gelungen.
KOMPETENZ: Wie kann erreicht werden, dass die heimischen Betriebe noch mehr in Humankapital investieren?
„Eine Investitionsprämie wäre ein guter und nachhaltiger Anreiz für mehr Beschäftigung.“
Karl Dürtscher, GPA-djp
Dürtscher: Die Senkung der Körperschaftssteuer (KÖST) ist das falsche Signal. Es muss für die Betriebe attraktiver gemacht werden, Kapital im Unternehmen zu belassen, anstatt alles auszuschütten. Eine Investitionsprämie wäre ein guter und nachhaltiger Anreiz für mehr Beschäftigung.
Mörk: Wir haben vor zehn Jahren gute Erfahrungen mit einem Investitionsfreibetrag gemacht, der auf mehreren Ebenen sehr positiv gewirkt hat: Betriebe erweiterten ihre Produktion, Arbeitsplätze wurden geschaffen – das hat volkswirtschaftlich eine hohe Bedeutung. Die Senkung der KÖST halte ich trotzdem für richtig, weil wir im europäischen Steuerwettbewerb stehen.
Dürtscher: Beides wird sich nicht ausgehen. Die derzeitige Steuerentlastung weist eine beträchtliche Schieflage auf: 80 Prozent der Steuern und 90 Prozent der Steuerprogression treffen die Arbeitnehmer – aber nur 60 Prozent der Entlastungsmaßnahmen kommen ihnen zu Gute. Ich wünsche mir den Investitionsfreibetrag an Stelle der KÖST-Entlastung.
Die Industrie und die Wirtschaft im Allgemeinen müssen hier schon einen entsprechenden Beitrag leisten. Europaweit wird versucht, einen Steuerwettbewerb auf Unternehmensebene abzuhalten. Unternehmen können dafür notwendige Wanderungsbewegungen oftmals leichter machen als Menschen, die in ihrer Heimat bleiben wollen.
Mörk: Ich bin der Meinung, dass man im System der österreichischen Verwaltung viel einsparen könnte – da gibt es einiges an Potential. Wir haben die Frage der kalten Progression und der Lohnnebenkosten sehr genau im Auge.
Zu den Personen:
Karl Dürtscher (58) ist seit Juni 2018 Bundesgeschäftsführer der GPA-djp.
Andreas Mörk (50) ist seit 2016 Geschäftsführer der Bundessparte Industrie in der Wirtschaftskammer Österreich.