Österreichs Lehrlingspolitik: ein Herzstück der neuen ÖVP-Grünen Regierung?

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Die neue Regierung scheint der Entwicklung der dualen Berufsausbildung einen besonderen Stellwert zu zuschreiben.

Über 100.000 junge Menschen absolvieren in Österreich derzeit eine Lehre. Die Zahl der Lehrlinge ist dabei im Jahr 2019 zum ersten Mal seit längerem wieder gestiegen. Die Regierung Kurz I betonte laufend, dass der Mangel an Fachkräften eine wichtige Problemstellung für die österreichische Wirtschaft darstellt. Doch abseits von Überschriften und Ankündigen hat die türkis-blaue Regierung nichts getan um ihren Worten auch Taten folgen zu lassen. Wie wird sich die Lehrlingspolitik unter ÖVP und Grünen entwickeln?

Überschriften und Ankündigungen oder doch mehr?

Lobend muss erwähnt werden, dass der jetzigen Regierung die Thematik der dualen Berufsausbildung anscheinend am Herzen liegt, knappe 6 Seiten umfassen lehrlingsrelevante Vorhaben im Regierungsprogramm. Lobenswert erscheint der Plan, dass alle Lehrberufe in einem 5-jährigen Zyklus auf die Aktualität ihres Berufsbildes, auf welchem die Ausbildung basiert, überprüft werden sollen. Auch die Schaffung von Lehrberufen mit dem besonderen Schwerpunkt Umweltschutz und Nachhaltigkeit ist ein wichtiger Schritt. Zudem ist die Forcierung der Berufsbildung in der 9. Schulstufe eine sehr wichtige Maßnahme, um jungen Menschen überhaupt die unterschiedlichen Möglichkeiten ins Berufsleben zu kommen, zu erläutern. Mit der verpflichtenden Fortbildung von betrieblichen Ausbildern hat die Regierung eine jahrelange Forderung der Gewerkschaftsjugend übernommen. Im Gegensatz zur ÖVP-FPÖ Regierung bekennt sich die derzeitige Regierung zur Ausfinanzierung der überbetrieblichen Lehrwerkstätten für Jugendliche, die keinen „regulären“ Lehrplatz gefunden haben. Die Kürzungen, die unter der Regierung Kurz I durchgeführt wurden, sollen aber anscheinend nicht mehr ausgeglichen werden.

Teilzeit auch für Lehrlinge

Die ÖVP-FPÖ Regierung plante die Möglichkeit einer Teilzeit-Lehre zu etablieren, um Lehrlingen mit Betreuungspflichten (sowohl Kinder wie auch pflegende Angehörige) den Abschluss einer Lehre zu ermöglichen. Dieser Vorschlag ist nun unter dem Titel „Flexi-Lehre“ wieder zurück. Für eine gelernte Einzelhandelskauffrau hätte dies zum Beispiel in Folge von längerer Lehrzeit in Kombination mit verspäteten Gehaltssprüngen (durch weniger vollwertige Berufsjahre) einen Verlust von mehreren zehntausenden Euro an Einkommen alleine in den ersten Berufsjahren realisieren. Besonders in Bereichen wie dem Handel, bekannt für seine hohen Teilzeitquoten ein Schritt in Richtung Einzementierung der Altersarmut für Frauen. Anspruch auf bedarfsgerechte Kinderbetreuung oder der Ausbau von öffentlichen Pflegeleistungen, bzw. stärkere Unterstützung durch Kurse zum außerordentlichen Antritt zur Lehrabschlussprüfung als Alternative werden nicht benannt: konservatives Familienbild mit grünem Anstrich getarnt als Fachkräfteoffensive

Attraktivierung der Lehre?

Die betreffenden Punkte stellen jedoch nur vage Ankündigungen dar, so soll zum Beispiel die Lehre mit Matura „attraktiver“ gemacht werden. Wie dies erfolgen soll, bleibt die Bundesregierung aber entsprechend schuldig. Besonders die Problematik, dass viele Lehrlinge die Vorbereitung auf die Reifeprüfung neben ihrer Arbeit absolvieren müssen, wird nicht thematisiert. Die Forderung der Gewerkschaftsjugend nach einem Rechtsanspruch auf die Absolvierung der Maturakurse in der Arbeitszeit wurde bisher von Arbeitgeberseite immer wieder abgelehnt (z.B. bei den Verhandlungen zum KV der IT Branche für 2020). Die Lehre soll des Weiteren auf akademische Ausbildungen „angerechnet“ werden, bzw. die „Durchlässigkeit“ zwischen den verschiedenen Bildungssystemen (Lehre, höhere Schulen, akademischer Bereich) gefördert werden.

Die Lehre nach Matura, in Form sogenannter „dualer Akademien“, soll außerdem forciert werden. Dabei handelt es sich um ein lehrähnliches Ausbildungssystem, welches die Maturanten durchlaufen. Es stellt eine Mischung zwischen betrieblicher und schulischer Ausbildung dar. Die „Lehrlinge“ erhalten in diesem System nicht die niedrigere Lehrlingsentschädigung, sondern die niedrigste kollektivvertragliche Entlohnung. Bezahlt wird der überwiegende Teil der Ausbildungskosten aber nicht durch die Betriebe, sondern durch das AMS und die öffentliche Hand.

Alle gegen Pflegelehre doch Schwarz und Grün dafür

Im neuen Regierungsprogramm plant die Regierung die Etablierung eines Pflegelehrberufs. Die Kritik, dass 15-Jährige nichts in der Pflege verloren hätten wird besonders von der ÖVP zerstreut obwohl die Gewerkschaft, Arbeiterkammer und die Verbände von pflegenden Angehörigen die Lehrausbildung strikt ablehnen. Kurz scheint sich hier an den Interessen der WKÖ zu orientieren, welche die Etablierung eines Lehrberufes fordert.

Förderung für Betriebe nicht für Lehrlinge

Auch im Bereich der Lehrlingspolitik geht die neue Regierung vom Paradigma aus, dass Unternehmen primär mit Anreizen (sprich mit viel Geld) subventioniert werden müssen, damit sie Lehrlinge ausbilden. Der Unwille zur Ausbildung von Lehrlingen scheint dabei aber gar nicht zur Rhetorik des „Fachkräftemangels“ zu passen. Die Regierung plant die Einführung neuer Förderungen für Betriebe, welche Lehrlinge ausbilden. Nach welchen Kriterien diese Förderungen vergeben werden sollen, bleibt dabei unklar. Einerseits soll die Ausbildung von Lehrlingen gefördert werden, andererseits sollen die Unternehmen weitere Förderungen erhalten, wenn ihre Lehrlinge gewisse Bildungsziele erreichen. In keinem einzigen Punkt im Regierungsprogramm wird die Leistung der Lehrlinge, die immerhin als junge Menschen Leistungen in teilweise sehr komplexen beruflichen Feldern liefern, als förderungswürdig tituliert. Auch im Bereich der Lehrlingspolitik scheint diese Regierung die Interessen der Betriebe vor die Interessen der Arbeitnehmer zu stellen.

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