Katharina Rohrauer und ihre KollegInnen lehren bis zu acht Stunden täglich TeilnehmerInnen von AMS-Kursen. Das ständige Tragen von Masken erfordert lauteres Sprechen und Abstand zu halten ist schwer möglich. Sowohl TrainerInnen als auch Lernende sind unter diesen Bedingungen in Sorge um ihre Gesundheit. Etwas helfen könnte zumindest die Teilung der Gruppen, sagt Rohrauer im Gespräch mit der KOMPETENZ.
KOMPETENZ: Sie halten Deutsch- und Alphabetisierungskurse im Auftrag des AMS ab. Wie gestaltet sich die derzeitige Unterrichtssituation?
Katharina Rohrauer: Es hat nichts mehr mit dem zu tun, was wir vor Februar 2020 gemacht haben. Das Unterrichten ist unendlich anstrengend. Es gibt dabei zwei Ebenen: Das eine ist das Methodisch-Didaktische. Es gibt nur mehr Frontalunterricht, im Idealfall nach Büchern, damit man im Fall, dass wir wieder in einen Lockdown kommen, gut von zu Hause weiterarbeiten kann. Das andere sind die momentanen Rahmenbedingungen in den Kursen. Es muss einen Meter Abstand gehalten werden und seit einer Woche gibt es Maskenpflicht für Lehrende und TeilnehmerInnen. Mit Maske zu unterrichten ist eine Herausforderung für sich.
KOMPETENZ: Werden alle Kurse noch im Präsenzunterricht geführt?
Katharina Rohrauer: In großen Teilen. Das AMS hat den Instituten, die Kurse durchführen, mehr oder weniger die Wahl gelassen, ob sie online unterrichten oder nicht, wobei das AMS Wien klargemacht hat, das Kursziel müsse unbedingt aufrecht erhalten bleiben. Das bedeutet: Prüfungen müssen abgelegt werden können und es müssen neue Kurse eröffnet werden können. Kurse müssen also so normal als möglich weiterlaufen. Seit Beginn dieser Woche haben wir grundsätzlich die Möglichkeit, dass wir die TeilnehmerInnen drei Tage persönlich und zwei Tage im Distance Learning unterrichten. Wir haben aber das Problem, dass wir mit Menschen arbeiten, die entweder nicht die technischen Skills für Distance Learning haben – in Alphabetisierungskursen ist das zum Beispiel eine besondere Herausforderung. Oder diese Personen verfügen über keinen eigenen Computer oder Laptop.
KOMPETENZ: Wie wurde mit Deutsch- und Alphabetisierungskursen während des Lockdowns im Frühjahr verfahren?
Katharina Rohrauer: Die Kurse, die bereits begonnen hatten, wurde im Distance Learning zu Ende geführt. Neue Kurse wurden nicht gestartet und viele KollegInnen waren dann in Kurzarbeit. In jenen Kursen, die nach dem Shutdown weiterliefen, gab es einen sanften Wiedereinstieg, in dem die Gruppen geteilt wurden, sodass jeweils nur fünf Teilnehmer*innen gemeinsam unterrichtet wurden und jede dieser Kleingruppen jeden zweiten Tag kam.
Ich stehe sechs Stunden mit Maske im Kursraum, es gibt aber auch KollegInnen, die acht Stunden unterrichten.
Katharina Rohrauer
KOMPETENZ: Nun laufen die Gruppen aber in der normalen Gruppenstärke mit bis zu elf Personen pro Kurs weiter.
Katharina Rohrauer: Ja. Das ist eine denkbar ungünstige und unangenehme Situation. Es wäre besser, die Gruppen wieder zu teilen.
KOMPETENZ: Ist das Abstandhalten in den Kursräumlichkeiten derzeit überhaupt möglich?
Katharina Rohrauer: Mit Bauchweh. Sobald sich jemand bewegt, ist es kaum möglich, einen Meter Abstand zu halten.
KOMPETENZ: Wieviele Stunden am Tag unterrichten Sie nun mit Maske?
Katharina Rohrauer: Ich stehe sechs Stunden mit Maske im Kursraum, es gibt aber auch KollegInnen, die acht Stunden unterrichten.
KOMPETENZ: Haben Sie Maskenpausen?
Katharina Rohrauer: Wir haben Pausen und auch die Möglichkeit, Maskenpausen zu machen. Diese Möglichkeit haben die TeilnehmerInnen nicht, sie sind aber nur drei Stunden im Kurs.
KOMPETENZ: Wie fühlt sich das Unterrichten mit Maske an?
Katharina Rohrauer: Die Maske an sich ist unangenehm. Aber was so schwierig ist, ist, dass man die Teilnehmenden nicht sieht. Masken schlucken außerdem Geräusche. Viele KollegInnen klagen über Stimmprobleme – man muss lauter reden. Vor allem in den niedrigeren Sprachniveaus bis A2 funktioniert außerdem viel über die Mimik. Wir sehen nun nicht, ob die Leute uns verstehen. Wir haben Codes ausgemacht wie Stirnrunzeln oder die Hand zu heben. Das ist aber alles nicht spontan. Bei manchen Lauten wie m und n oder ä und ö ist es zudem wichtig, den Mund zu sehen. Mit Maske fällt es den Teilnehmenden schwerer, diese Laute nachzuahmen.
KOMPETENZ: Leidet also auch der Lernfortschritt in der momentanen Situation?
Katharina Rohrauer: Ja, meines Erachtens schon. Außerdem ist es auch für viele TeilnehmerInnen eine belastende Situation. Sie haben vielleicht auch Angehörige mit Vorerkrankungen. Man spürt diese Anspannung sowohl bei den Lernenden als auch bei den KollegInnen.
KOMPETENZ: Was berichten Ihre KollegInnen konkret?
Katharina Rohrauer: Es ist einerseits die Sorge um die eigene Gesundheit. Es ist aber auch die Sorge um die Gesundheit der KollegInnen. Jeder hat Angst, dass er das Virus hat und alle ansteckt. Ganz schwierig ist es auch bei Krankenständen: lasse ich mich testen, lasse ich mich nicht testen? Komme ich zum Unterricht oder nicht? KollegInnen mit Vorerkrankungen oder solche mit RisikopatientInnen im unmittelbaren Lebensumfeld machen sich noch mehr Sorgen. Da gibt es dann auch ein totales Unverständnis, dass man mit Menschen aus elf Haushalten am Vormittag im Kursraum sitzen darf, mit diesen elf Personen am Nachmittag aber nicht spazieren gehen dürfte. Es wird kommuniziert, dass man Kontakte reduzieren soll und sich nicht zu nahe kommen soll, aber hier gilt das nicht.
Unsere Firma hat versucht, im Rahmen der Möglichkeiten, die Abläufe so zu gestalten, dass es nicht zu noch mehr Kontakten kommt. Es gibt nun Kurse, die um acht Uhr beginnen und andere erst um 8.15 Uhr. Aber es gibt im Umfeld der Kursräume Schulen und bei Kursbeginn um acht Uhr stehe ich bei der Herfahrt mit vielen Menschen in der Straßenbahn.
Und dann hängt da natürlich die Frage im Raum: Müssen wir wieder zusperren? Wir haben auch KollegInnen, die sich schwer mit dem Gedanken tun, wieder von zu Hause aus arbeiten zu müssen. Dazu kommt durch Quarantänen, Krankenstände und Urlaube eine massive Arbeitsverdichtung. Insgesamt fühlen sich die KollegInnen ein bisschen ausgeliefert.
KOMPETENZ: Wie könnte man die Situation verbessern?
Katharina Rohrauer: Das AMS müsste klare Richtlinien herausgeben: sollen wir offen bleiben und wenn ja, in welcher Form. Gut wäre es eben, die Gruppen wieder zu teilen. Und dann ist da auch die Frage der Ausstattung, sollte ein Umstieg auf Distance Learning nötig werden.
Wir sind nun schon lange in dieser Pandemie. Es wäre Zeit genug gewesen, sich zu überlegen, was passiert, wenn wieder ein Lockdown nötig wird.
Katharina Rohrauer
KOMPETENZ: Wäre es nötig, die KursteilnehmerInnen mit Computern auszustatten?
Katharina Rohrauer: Wir sind nun schon lange in dieser Pandemie. Es wäre Zeit genug gewesen, sich zu überlegen, was passiert, wenn wieder ein Lockdown nötig wird. Man müsste nun jedenfalls rasch erheben, wie die TeilnehmerInnen technisch ausgestattet sind und überlegen, hier bei Bedarf Leihgeräte zur Verfügung zu stellen. Wir legen nun schon in den Kursen mit den Lernenden Mail-Adressen an.
KOMPETENZ: Was würden Sie sich noch wünschen?
Katharina Rohrauer: Ich würde mir wünschen, dass man auch einmal mit den Menschen spricht, die an der Front – also in den Kursen – stehen und nicht nur mit Führungspersonen. Die AMS-Vorgaben sind so schwammig, dass man nicht weiß, ist das Teilen von Gruppen nun erwünscht oder nicht?
KOMPETENZ: Gibt es auch KursleiterInnen, die bereits über Erschöpfung oder Burnout klagen?
Katharina Rohrauer: Diese Dinge sind in unserem Arbeitsumfeld immer Thema. Es gehen die meisten den TeilnehmerInnen zu Liebe immer an ihre Grenzen. Das ist auch jetzt so. Die Maske kombiniert mit der Unsicherheit, wie es weiter geht, wenn dieser Zustand anhält, erhöht aber den Druck noch weiter. Ich gehe also davon aus, dass es hier vermehrt zu Erschöpfungszuständen und damit zu Ausfällen kommen wird.
KOMPETENZ: Wäre der komplette Umstieg ins Distance Learning eine Lösung?
Katharina Rohrauer: Da bin ich zwiegespalten. Als Individuum würde ich sagen: unbedingt. Als Trainerin wahrscheinlich weniger, weil ich glaube, dass das Distance Learning bei den TeilnehmerInnen zu keinem Lernerfolg führen würde. Es gibt sicher Kurse wie etwas den Computerführerschein, die man gut so handeln kann. Aber bei Deutschkursen ist das nicht so, da ist der persönliche Kontakt mit den TeilnehmerInnen wichtig. Den Unterricht, wie er derzeit stattfindet, mit bis zu elf TeilnehmerInnen und einer TrainerIn im Raum halte ich aber für langfristig gesundheitsgefährdend.
Zur Person:
Katharina Rohrauer, geb. 1980 in Steyr/Oberösterreich, 1999 übersiedelte sie nach Wien. Hier Germanistikstudium und seit 2005 als Deutschtrainerin im Integrationsbereich tätig (u.a. Integrationshaus, Diakonie). 2011 begann sie als Deutschtrainerin für Mentor, einen Anbieter für verschiedenste AMS-Kurse, zu arbeiten. Als Betriebsrätin kümmert sie sich auch um die Anliegen der dort Beschäftigten.