Ungleichheit gefährdet die Demokratie

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Menschen mit niedrigen Einkommen fühlen sich politisch nicht ausreichend vertreten, ihre Sorgen und Wünsche werden zu wenig ernst genommen. Viele driften ab in antidemokratische Einstellungen. Vermögende haben hingegen hohen Einfluss auf politische Entscheidungen. Wie können wir gegensteuern?

Die politische Gleichheit ist eines der großen Versprechen der Demokratie: Jede und jeder soll die Möglichkeit haben, am politischen Leben teilzunehmen und kann sich an der Gestaltung ihrer/seiner Lebensumstände beteiligen. Doch die zunehmende wirtschaftliche Ungleichheit stellt dieses Ideal von politischer Mitsprache auf die Probe.

„Die Krisen der letzten Jahre und neoliberale Wirtschaftspolitik haben dazu geführt, dass soziale Ungleichheit und Schieflagen in der Interessendurchsetzung wieder zu einer gesellschaftlichen Kernfrage geworden sind“, erklärt Matthias Schnetzer, Experte für Verteilungsfragen in der Abteilung Wirtschaftswissenschaft in der AK Wien. „Durch die Tradition der Sozialpartnerschaft wurde in Österreich lange eine partizipative Demokratie gepflegt, die auf Mitbestimmung und Interessenausgleich beruhte. Diese Mitbestimmung gerät mehr und mehr in Gefahr.“

GeringverdienerInnen und wirtschaftlich schwächere Gruppen fühlen sich politisch nicht mehr ausreichend vertreten. Viele klinken sich aus demokratischen Prozessen aus, indem sie z.B. nicht zur Wahl gehen oder antidemokratischen Bewegungen folgen.

Wahlbeteiligung

Die Beteiligung an Wahlen und politischen Aktivitäten hängt in Österreich stark mit dem Einkommen zusammen: „Ungleichheiten führen unter anderen dazu, dass die Wahlbeteiligung sinkt“, führt Schnetzer aus, „Im Drittel mit den niedrigsten Einkommen haben 41 Prozent der Wahlberechtigten bei der Nationalratswahl 2019 keine Stimme abgegeben. Im Drittel mit den höchsten Einkommen gehen nur 17 Prozent nicht zur Wahl.“

„Ungleichheiten führen unter anderen dazu, dass die Wahlbeteiligung sinkt“

Matthias Schnetzer

Der Anteil der NichtwählerInnen ist also bei einkommensschwachen Gruppen deutlich höher. Der aktuelle österreichische ‚Demokratiemonitor’, den das Institut SORA im vergangenen Dezember publiziert hat, musste feststellen: Das Vertrauen in die Demokratie und in die politischen Institutionen in Österreich ist derzeit an einem Tiefpunkt angelangt.

Sechs von zehn Menschen glauben, dass das politische System „gar nicht gut“ oder „weniger gut“ funktioniert – ein alarmierendes Ergebnis!

Im Drittel mit den niedrigsten Einkommen haben 41 Prozent der Wahlberechtigten bei der Nationalratswahl 2019 keine Stimme abgegeben. Im Drittel mit den höchsten Einkommen gehen nur 17 Prozent nicht zur Wahl.

„Politisches Engagement muss man sich zeitlich und finanziell leisten können“, gibt Schnetzer zu bedenken. „Es gibt deutliche Unterschiede nach sozialer Stellung in der Teilnahme bei Petitionen, Demonstrationen oder BürgerInneninitiativen. Es sind meist Menschen mit geringem Einkommen und Frauen mit ihrem hohen Ausmaß an unbezahlter Sorgearbeit, die keine Freizeit oder Energie für politische Aktivität aufbringen können. Die Interessen dieser Menschen finden somit weniger Aufmerksamkeit im politischen Prozess.“

Wirtschaftliche Unsicherheit

Zugleich hat auch die wirtschaftliche Unsicherheit stark zugenommen, fand das SORA Institut in seiner Studie heraus. Menschen aus dem unteren Einkommensdrittel gaben an, es sei für sie nicht ohne weiteres leistbar, die Wohnung durchgehend warm zu halten (29 Prozent) oder bei Bedarf neue Kleidung zu kaufen (54 Prozent). Auch eine unerwartete höhere Ausgabe (über 1.290 Euro) ist für NiedrigverdienerInnen nicht zu stemmen.

Ins untere Einkommensdrittel fallen Menschen, die unter oder knapp über der Schwelle zur Armutsgefährdung leben müssen. Dazu gehören auch viele sog. systemrelevante Berufe, wie z.B. RegalbetreuerInnen, KassiererInnen, PflegehelferInnen, Reinigungskräfte oder PaketzustellerInnen. Das sind Berufe mit niedrigem Einkommen, geringem Prestige und stark belastenden Arbeitsbedingungen. „Zugleich sind das aber auch jene Menschen, die während der Pandemie das Land mit am Laufen gehalten haben, und die jetzt um eine Corona-Prämie oder um finanzielle Unterstützungsleistungen kämpfen müssen. Die Politik, die anfangs applaudierte, hat nun auf sie vergessen,“ kritisiert Schnetzer.

Politik für die Reichen

Am oberen sozialen Ende, bei den Vermögenden und Gutverdienenden, sieht die Lage gänzlich anders aus: Mit entsprechenden finanziellen Mitteln für Lobbyismus, Parteispenden oder Denkfabriken lässt sich politischer Einfluss kaufen. Auf diese Weise wird der Gesetzgebungsprozess gesteuert oder Einfluss auf Medienkonzerne genommen. In Brüssel gibt es beispielsweise 50mal mehr LobbyistInnen als EU-Abgeordnete, neueste Zahlen sprechen hier sogar von 70mal mehr LobyistInnen. Auf 100 Organisationen, die die Wirtschaftsinteressen vertreten, kommen nur etwa 2 ArbeitnehmerInnenvertretungen. In Österreich sind die großen Medien, die die öffentliche Debatte stark prägen, überwiegend im Besitz von vermögenden Familien oder Banken.

„Viele Menschen beschleicht daher das Gefühl, dass manche mehr gehört werden und es sich richten können, während ihre eigenen Interessen zu wenig berücksichtigt werden“

Matthias Schnetzer

Zentrale Ziele der Einflussnahme sind nicht nur niedrige Löhne oder längere Arbeitszeiten, sondern auch Vermögenssteuern zu verhindern oder Gewinnsteuern zu senken. „Dass trotz der immensen Vermögenskonzentration kaum Steuern auf große Vermögen eingehoben werden, schwächt den Wohlfahrtsstaat. Denn gerade jetzt bräuchten wir diese finanziellen Mittel dringend, um die Folgen der Pandemie aufzufangen“, sagt Schnetzer.

„Viele Menschen beschleicht daher das Gefühl, dass manche mehr gehört werden und es sich richten können, während ihre eigenen Interessen zu wenig berücksichtigt werden“, fasst Schnetzer zusammen. Die fehlende gesellschaftliche Anerkennung, das Übergangen-Werden durch die Politik und die schwierigen Arbeitsbedingungen, oft auch prekäre Arbeitsverhältnisse oder sinkenden Einkommen führen zu einer Gemengelage, in der antidemokratische Einstellungen immer öfter auf offene Ohren stoßen.

Antidemokratische Einstellungen

Die deutsche Hans Böckler-Stiftung hat im vergangenen Herbst solche antidemokratischen Einstellungen untersucht. Diese rechtspopulistischen und menschenfeindlichen Ansichten reichen mittlerweile bis in die Mitte der Gesellschaft und auch konspirative Aussagen finden mehr und mehr Zustimmung.

Menschen mit höherem Schulabschluss, mittlerem bis hohem Einkommen oder hohem beruflichen Ansehen neigen seltener zu antidemokratischen Einstellungen. Ältere Befragte sind stärker betroffen als jüngere, ArbeiterInnen stärker als AkademikerInnen.

Warum ist das so? Das hängt mit konkreten Arbeitsbedingungen und Zukunftsaussichten zusammen, fand die Böckler-Stiftung heraus. Wer gute Mitspracherechte am Arbeitsplatz vorfindet, der ist besser vor antidemokratischen Tendenzen geschützt. Wenig Möglichkeiten, sich einzubringen sind dagegen ein Nährboden für demokratische Desintegration. Nicht entscheiden zu können, wie die tägliche Arbeit organisiert wird, keine abwechslungsreiche Arbeit, keine kollegiale Unterstützung und niedriger Lohn führen überdurchschnittlich häufig zu antidemokratischen Ansichten. Einen spürbaren Einfluss haben auch Abstiegsängste. Schon die Angst vor Entwertung reicht oft aus, um Menschen an der Demokratie zweifeln zu lassen.

Demokratie stärken

Skandale und Affären haben in Österreich in den letzten Monaten zwar den Glauben in das politische System stark beschädigt, trotzdem sind immer noch 9 von 10 Menschen von der Demokratie überzeugt, ergab die Studie des SORA Instituts. ‚Die Demokratie ist die beste Staatsform, auch wenn sie Probleme mit sich bringen mag’ findet konstante Zustimmung.

Eine stabile Integration in den Arbeitsmarkt bietet einen guten Schutz für unser demokratisches Zusammenleben, das fand die Hans Böckler-Studie heraus: Wer eine sichere Arbeit mit gutem Einkommen hat, Wertschätzung im Beruf erlebt und die Möglichkeit sieht, die eigene Arbeit mitzugestalten, neigt deutlich seltener zu antidemokratischen Ansichten. „Das zeigt, wie wichtig Demokratie im Betrieb ist. Die politische Teilhabe muss auch am Arbeitsplatz gestärkt werden“, fordert Schnetzer, „Betriebsräte, gute kollektivvertraglich abgesicherte Arbeitsverhältnisse, die Anhebung der Mindestlöhne, all das sind Ecksteine, um jene Menschen, die sich politisch zurückgelassen fühlen, wieder zurückzuholen.“

Auch eine aktive Beschäftigungs- und Industriepolitik, die vor Arbeitslosigkeit schützt und eine Stärkung des Sozialstaates sind der beste Weg, um den Vertrauensverlust in de Politik zu stoppen und zugleich die Lebens- und Arbeitsbedingungen zu verbessern. Um den Sozialstaates zu stärken braucht es v.a. gerechtere Steuern. Vermögende Privatpersonen und Unternehmen müssen ihre Gewinne im Land versteuern und sie nicht in Steueroasen verschieben können. „Es geht um eine gerechtere Verteilung des Wohlstandes und auch der politischen Teilhabe“, sagt Schnetzer, „wir müssen wieder klar machen, dass sich nicht die Unternehmen die Gesetze bestellen können, sondern dass Politik dem Gemeinwohl zu dienen hat.“

Broschüre

Viele Errungenschaften des gut ausgebauten Sozialstaats in Österreich sind wieder in Diskussion und umkämpft. Gleichzeitig steigt die Ungleichheit in vielen Lebensbereichen, z.B. bei Wohnen, Gesundheit, Lebenszufriedenheit oder Demokratie. Daher braucht es einen klugen Ausbau des Sozialstaats.

Die  Arbeiterkammer Wien hat gemeinsam mit dem Marie Jahoda-Otto Bauer-Institut die Broschüre “Ungerechte Verteilung: Wie Ungleichheit unser Leben prägt” herausgegeben. Die wichtigsten Felder der Ungleichheit in Österreich werden darin aufgezeigt, die zentralen Forderungen der Arbeiterkammer für mehr Verteilungsgerechtigkeit zusammengefasst. Im Mittelpunkt stehen dabei soziale Gerechtigkeit und ein gutes Leben für alle!

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