Als prekär bezeichnet Roman Gutsch die Personalsituation im Bereich der mobilen Krankenpflege in Wien. Zum ohnehin schon bestehenden Personalmangel gesellen sich nun massive Ausfälle durch Covid-bedingte Quarantänen. Der Betriebsratsvorsitzende des mobilen Bereichs der CS Caritas Socialis setzt sich sowohl für die konkreten Anliegen seiner KollegInnen als auch generelle gewerkschaftliche Anliegen ein.
Wo drückt der Schuh im Moment am meisten? Zum einen bei der Personalsituation. „Dienstplanstabilität ist ein Riesenthema“, erzählt Gutsch. Dienstpläne seien im Sozial- und Pflegebereich grundsätzlich instabil. In der mobilen Pflege sei die Lage darüberhinaus sehr dynamisch: KlientInnen könnten jederzeit entweder ins Spital kommen oder bräuchten intensivere Pflege. Dazu komme eben der generelle Personalmangel. Im Bereich der mobilen Pflege der Caritas Socialis in Wien gebe es 340 Stellen – doch 25 seien derzeit unbesetzt. „Gleichzeitig sind derzeit 40 KollegInnen auf Grund der Omikron-Welle in Absonderung oder Sonderbetreuungszeit oder selbst erkrankt.“
Anders als in anderen Bereichen im Gesundheitsbereich, wo im Team gearbeitet wird, kommt allerdings in der mobilen Pflege eine Pflegekraft auf eine/n KlientIn. „Das führt dazu, dass KollegInnen ungefragt über den Dienstplan eingeteilt werden und die KoordinatorInnen in so großem Stress sind, dass sie nicht einmal die Zeit haben entsprechend der Betriebsvereinbarung die Betroffenen vorher anzurufen. Das löst extremen Unmut aus. Da stehen KollegInnen im Dienstplan und das kollidiert mit privaten Terminen, rufen dann an und kommen nicht einmal durch.“ Er versuche dann zu vermitteln und Lösungen zu finden. Und das Tag für Tag.
Mit dem Privatauto zu den PatientInnen
Aktuell sieht sich Gutsch aber auch noch mit einem anderen großen Problem konfrontiert: der Ausweitung des Parkpickerls auf alle Wiener Bezirke. In manchen Flächenbezirken seien die Wege zwischen den zu betreuenden PatientInnen zu lang, um diese zeiteffizient und im Sinn einer qualitativen Pflege öffentlich zurückzulegen. Die dort eingesetzten Pflegekräfte fahren daher großteils mit dem eigenen Pkw. Allerdings bringt das Parkpickerl hier nun zum Beispiel in der Donaustadt massive Mehrkosten, die nicht abgegolten werden. Warum? Durch das Kilometergeld gelten auch Parkkosten als abgegolten. Real entstehen hier für Betroffene Mehrkosten. Gutsch setzt sich daher in der GPA aktuell für die Initiative zur Erhöhung des Kilometergeldes ein. Derzeit beträgt dieses 42 Cent pro Kilometer, gefordert wird nun eine Anhebung auf 60 Cent. Wobei Gutsch hier durchaus gespalten ist: grundsätzlich müsse der öffentliche Verkehr forciert werden. Andererseits gelte es aber eben Lebens- und auch Berufsrealitäten zu beachten.
„Und da sagen einige, ich bin jetzt 55, ich habe bereits einen Bandscheibenvorfall, wenn ich nun auch noch öffentlich fahren muss, dann schaffe ich das nicht mehr.“
Roman Gutsch
Eine dieser Realitäten ist die große Arbeitsverdichtung für jene Pflege- und Betreuungskräfte, die im Einsatz sind. Eine andere, dass der aktuelle Personalnotstand sich ohne Gegensteuern noch weiter vergrößern wird, da bis 2039 70.000 Pflegekräfte in Pension gehen. Das bedeute aber auch, dass das Durchschnittsalter der KollegInnen in der mobilen Pflege von Jahr zu Jahr steige, gibt Gutsch zu bedenken. „Und da sagen einige, ich bin jetzt 55, ich habe bereits einen Bandscheibenvorfall, wenn ich nun auch noch öffentlich fahren muss, dann schaffe ich das nicht mehr.“
„Im Grund sind zwei Drittel des Lebens für den Arbeitgeber verplanbar.“
Roman Gutsch
Wie aber kann man nun seiner Meinung nach dem Personalmangel bekommen? In der Hauskrankenpflege sei die Situation besonders prekär, da die vielen geteilten Dienste zu einer zusätzlichen Arbeitsbelastung führen: die Teilung der Tagesarbeitszeit in zwei Blöcke verdopple die Arbeitswege. „Man hat das Gefühl, nur noch für die Arbeit unterwegs zu sein.“ Dazu werde eine hohe Flexibilität gefordert, was es schwermache, Privat- und Berufsleben unter einen Hut zu bekommen. „Wir haben eine Rahmenarbeitszeit von Montag bis Sonntag von 6 bis 22 Uhr – im Grund sind zwei Drittel des Lebens für den Arbeitgeber verplanbar. Die Normalarbeitszeit kann außerdem sehr stark ausgedehnt werden“, so Gutsch. Innerhalb der Branche seien daher Jobs etwa in Tageszentren oder im stationären Bereich beliebter.
Mehr Ausbildungsplätze und mehr Gehalt
Wer das Problem Personalnotstand nachhaltig angehen möchte, müsse daher mehr Ausbildungsplätze schaffen, vor allem aber die Arbeitsbedingungen verbessern und die Entlohnung erhöhen. „Derzeit stimmen Gehalt und Anerkennung nicht mit dem überein, was körperlich und psychisch geleistet werden muss.“ Das sei allerdings seit Jahren bekannt – und nichts passiere. „Wir haben nicht fünf vor zwölf, sondern fünf nach zwölf.“ Fünf nach zwölf ist auch der Titel einer Aktion, mit dem das Gesundheitspersonal bereits im November auf seine mehr als angespannte Situation aufmerksam machte. Am Donnerstag, den 23.2.2022 sind erneut öffentlichkeitswirksame Proteste anberaumt: um 12.05 Uhr wird vor Gesundheitseinrichtungen auf die prekäre Arbeitssituation hingewiesen. Das Gesundheitspersonal möchte so seiner Forderung nach besseren Arbeitsbedingungen und fairer Bezahlung Nachdruck verleihen.
Es sind genau solche Fragen, die Gutsch überhaupt erst in die Betriebsratsarbeit gebracht haben. Er fing nach vielen unterschiedlichen beruflichen Stationen 2005 in der CS Caritas Socialis als Verwaltungskraft zu arbeiten an. Dabei koordinierte er ein mobiles Pflegeteam und bemühte sich dabei, die Dienstplanwünsche der KollegInnen so gut als möglich zu berücksichtigen. Das scheint Anerkennung in der KollegInnenschaft gefunden zu haben, meint er rückblickend. Denn 2010 wurde er nach dem überraschenden Tod der Betriebsratsvorsitzenden zum neuen Betriebsratschef gekürt. Seitdem ist er für diese Tätigkeit vom Arbeitgeber freigestellt.
Arbeit musss sinnstiftend sein
Grundsätzlich ist Gutsch überzeugt und das treibt ihn auch an: es gibt Gegensätze zwischen Kapital und Arbeit. Dort, wo Arbeit passiere, auf der betrieblichen Ebene, müsste auch die Durchsetzung der Interessen von ArbeitnehmerInnen passieren. Da gehe es einerseits eben um Arbeitsbedingungen, andererseits um die Entlohnung, aber auch um andere Fragen. „Arbeit muss sinnstiftend sein, darf die Gesundheit nicht gefährden, muss ein Leben in Würde ermöglichen und ein finanzielles Auskommen sichern und es muss eine vernünftige soziale Einbettung geben.“ Als Betriebsratsvorsitzender versuche er hier im Sinn der MitarbeiterInnen im Rahmen seiner Möglichkeiten zu wirken: etwa auch über Betriebsvereinbarungen. Aber auch als Mitglied des Verhandlungsteams für den Kollektivvertrag der Sozialwirtschaft Österreich.
Leider seien viele Arbeitgeber in einem zu hohen Ausmaß an Profit orientiert, so Gutsch, aus dem bei diesem Thema auch der ehemalige Politikwissenschaftstudent hervorblitzt. Nach der Lehre zum Druckformentechniker, ein schon damals aussterbender Beruf, studierte er Publizistik und eben Politikwissenschaft, und zwar berufsbegleitend. Die CS Caritas Socialis arbeite allerdings nicht profitorientiert, betont Gutsch, das findet er auch wichtig. „Pflegeeinrichtungen, die profitorientiert arbeiten, halte ich für problematisch.“
„Mitbestimmung ist wichtig. Und dafür muss auch immer wieder das Bewusstsein geschärft werden.“
Roman Gutsch
Und wie er seine Funktion als Betriebsrat sieht? Wichtig sei eine Vertrauensbasis mit der Geschäftsführung, was konstruktive und für beide Seiten wichtige Projekte erst ermögliche. Gleichzeitig habe er aber auch das Selbstverständnis, hier konstruktive Gegenarbeit zu leisten. „Der Betriebsratsvorsitzende ist kein Co-Manager“, betont Gutsch. Was ihm auch wichtig ist: über die Betriebsratswahlen auch im Unternehmen Demokratie erlebbar zu machen. „Mitbestimmung ist wichtig. Und dafür muss auch immer wieder das Bewusstsein geschärft werden.“
Zur Person
Roman Gutsch, geb. 1973 in Mödling, zunächst Lehre zum Druckformentechniker, jedoch nie in den Beruf gegangen. An der Universität Wien Studium der Publizistik und Politikwissenschaft berufsbegleitend, viele Jahre in der Freizeitpädagogik tätig. Seit 2005 als Verwaltungskraft in der CS Caritas Socialis tätig, dabei Koordinator eines mobilen Pflegeteams. 2009 Karenz für seinen Sohn, ab 2010 Vorsitzender des Betriebsrats und freigestellt. Seit 2013 auch im KV-Verhandlungsteam der Sozialwirtschaft Österreich. Gutsch lebt mit seiner Partnerin, seinem Sohn und drei Katzen in Wien. Während der Pandemie hat die Familie ein neues Hobby entdeckt: Das touristische Entdecken der eigenen Stadt mit Übernachtungen im Hotel.