Lehrlinge haben in Österreich so etwas wie eigene ArbeitnehmervertreterInnen: die JugendvertrauensrätInnen. Die Buchhändlerin Elisabeth Kerndl ist eine von ihnen.
Sie zeigt auch, wie demokratisch und kritisch gesinnt junge Beschäftigte von heute sind. Das Vorhaben der Bundesregierung, die Institution des Jugendvertrauensrates abzuschaffen, sieht sie daher als „Anfang einer katastrophalen Entwicklung“.
Eloquent, kritisch, engagiert – das sind unbestritten Eigenschaften, die Elisabeth Kerndl auf den ersten Blick charakterisieren. Sie arbeitet seit sechs Jahren in einer großen Bücherkette am Wiener Westbahnhof. Die Lehrstelle und den Umzug aus dem Waldviertel organisierte sie sich damals dank Handy selbst, nachdem sie eine Kunstschule abgebrochen hatte.
Die 23-Jährige erweckt den Anschein, eine starke Kämpfernatur zu sein – obwohl sie sich selbst ganz und gar nicht so sieht, wie sie betont. Mit vier Geschwistern aufgewachsen, ist sie heute „dankbar, dass ich nicht verwöhnt wurde“. Man müsse lernen, wofür man einsteht. Also schmettert sie im Interview lebhafte Sätze hin wie diesen: „Dass man sich hilft, sollte selbstverständlich sein.“ Sie ist bei keiner politischen Partei. Sondern einfach nur gegen Ungerechtigkeit – „als Ausgleich zu den Ungustln oben“, sagt sie. „Aber du brauchst schon eine dicke Haut.“ Und sie weiß, wovon sie spricht.
Erste Kollektivvertragsverhandlung
Zwar habe sie großes Glück gehabt mit ihrer Chefin und auch mit ihrem Betriebsrat, die sie von Anfang an unterstützten. „Da bin ich wirklich verwöhnt.“ So hat die Chefin bisher immer bei der Dienst-Einteilung darauf geachtet, dass Elisabeth Kerndl die abendliche Gewerkschaftsschule besuchen oder an den Verhandlungen zum Kollektivvertrag (KV) teilnehmen kann. Letzteres war für sie eine Premiere im vergangenen Herbst. Formal war das deshalb möglich, weil sie eine der drei JugendvertrauensrätInnen in ihrer Buchhandelskette ist.
Diese erste Erfahrung, Seite an Seite mit Franz Georg Brantner als Chefverhandler des Handels-KVs, hat sie offensichtlich geprägt und ihr einen Eindruck in die Denkweise „des Gegners“, sprich: der Arbeitgeber, verschafft. Die seien früher ja selbst Lehrlinge gewesen, hätten das aber anscheinend schon vergessen und würden „in Seifenblasen“ leben, so ihre Wahrnehmung. Andererseits gebe es auch Geschäftsführer, „die es gut meinen im fragwürdigen System des Kapitalismus. Man kann nicht alle über den Haufen werfen.“
Erfolgreich für Lehrlinge
Am Ende der KV-Verhandlungen stand, wie berichtet, auch ein Lehrlingspaket, das sich sehen lassen kann. Die um mehr als acht Prozent erhöhten Lehrlingsentschädigungen betragen seit Jänner 650 Euro im ersten Lehrjahr, 820 im zweiten, 1.000 im dritten und 1.150 Euro im vierten Lehrjahr. Nächstes Jahr steigen die Lehrlingsentschädigungen dann auf 700, 900, 1.100 und 1.200 Euro. Denn: „Die Lehre muss attraktiv sein“, so Kerndl. Es gebe einfach Lehrlinge, die nicht zu Hause wohnen können oder wollen, daher sei die monatliche Wohnbeihilfe ebenfalls so wichtig.
Vor einem Jahr hat „Lisi“, wie sie ihre FreundInnen nennen, Kerndl die Funktion als Jugendvertrauensrätin in ihrem Betrieb übernommen. Zu dieser Aufgabe gehört die Vermittlung zwischen den Auszubildenden und der Geschäftsführung. Ihr Credo ist: Die Lehrlinge sollen mit allen Fragen und Anliegen zu ihr kommen.
Kerndl lädt die Lehrlinge zu Jugendversammlungen ein, wo etwa die Medienlandschaft in Österreich erörtert wird. Damit den angehenden BuchhändlerInnen das Boulevard-Niveau mancher Zeitungen bewusst wird und der politische oder kirchliche Einfluss auf manche Medien. Wichtig ist ihr auch, dass das Unterrichtsniveau an den Berufsschulen (jährlich zehn Wochen pro Lehrling) angehoben wird. „Mein Englisch-Lehrer dort war ehemaliger Unterwäsche-Vertreter“, unterstreicht sie die oft mangelnde Qualität und personelle Unterbesetzung an Berufsschulen. „Das ist auf lange Zeit berufsschädigend.“
Warum hat sich die junge Frau überhaupt dazu entschlossen, die Funktion als Jugendvertrauensrätin zu übernehmen? „Weil wir arbeiten, um von etwas leben zu können, müssen wir einen sehr großen Teil unserer Zeit am Arbeitsplatz verbringen. Deshalb ist es mein Ziel, diesen möglichst sinnvoll, angenehm und lehrreich zu gestalten.“ Speziell seit der zunehmenden Automatisierung und dem höheren Tempo in der Arbeitswelt bleibe vielen Menschen „weniger Zeit, um die Gesellschaft zu verändern“, gerade untere Einkommensschichten fühlten sich dadurch „ausgelaugt“. Dahinter stecke sicherlich Absicht.
Jugendvertrauensräte müssen bleiben
Elisabeth Kerndl sieht das Vorhaben der Kurz-Strache-Regierung denn auch sehr kritisch, dass die Jugendvertrauensräte abgeschafft werden sollen. Auf „sehr raffinierte“ Weise: Laut Regierungsprogramm soll nämlich – unter dem Stichwort „Harmonisierung“ mit „Wählen ab 16“ – das aktive Wahlalter bei Betriebsratswahlen von 18 auf 16 Jahre gesenkt und so der Jugendvertrauensrat „ersetzt“ werden. Begründet habe das die Regierung bisher jedoch nicht.
Jugendvertrauensräte, die es seit Anfang der 1970er Jahre gibt, werden aber erstens für zwei Jahre bestellt; Betriebsratswahlen finden nur alle fünf Jahre statt. Zweitens sei es eine Frage von Generationenverständnis, dass Jugendvertrauensrat und Betriebsrat getrennte Arbeitnehmervertretungen bleiben, wendet Kerndl ein. Für sie ist „sonnenklar, dass hier die Regierung im Sinne von Arbeitgeber-Interessen vorgehen und eine frühe Demokratisierung der Auszubildenden verhindern will. Das ist der Anfang einer katastrophalen Entwicklung. Aber wir lassen uns den Mund nicht verbieten. Das hat erst recht den Kampfgeist in uns geweckt.“