In Österreich gibt es derzeit die ersten Lockerungen bei Besuchen in Senioreneinrichtungen. Krankenhäuser fahren nach und nach ihren Regelbetrieb hoch. Zeit für eine erste Reflexion – warum hat Österreich zumindest in diesem Bereich bisher die Covid-19-Pandemie besser gemeistert?
Glaubt man den offiziellen Zahlen, so kann zumindest derzeit für den Gesundheitsbereich vorsichtige Entwarnung gegeben werden. Wurden Anfangs vielerorts noch Horrorszenarien für Erkrankungen und Todesfälle und der potenzielle Zusammenbruch der östereichischen Spitalslandschaft skizziert, so hat Österreich deutlich weniger Todesfälle zu verzeichnen als viele andere Länder.
Waren es die bekannten Maßnahmen, die die Regierung getroffen hat – wie ein fast völliger Stillstand Österreichs, beginnend ab 16. März mit immer noch laufenden Einschränkungen, die dazu führten, dass Österreich die Krise zumindest im Bereich der gesundheitlich Betroffenen bisher besser überstanden als viele andere (europäische) Staaten? Oder liegt es am österreichischen Gesundheitssystem allgemein?
Viele Akutbetten und ein überschaubares Spitalswesen
Ein Erklärungsgrund ist, dass Österreich im internationalen Vergleich einen hohen Anteil an Akut- und hier vor allem Intensivbetten im Krankenhaus aufweist. Während bis vor kurzem diese hohe Spitalsbettendichte vielerseits kritisiert wurde – und bereits auch wieder wird – waren in jeder Phase der östereichischen Covid-19-Krise ausreichend Bettenkapazitäten verfügbar. Verbunden mit einer Reduktion auf die Behandlung von Notfällen im Krankenhaus und der Verschiebung von geplanten Operationen musste so nicht wie z.B. in Italien und Frankreich die Entscheidung darüber getroffen werden (Triage), wer von den PatientInnen noch ein Intensivbett bzw. das dringend benötigte Beatmungsgerät bekommt. Ein Punkt sollte an dieser Stelle noch gesondert erwähnt werden: Österreich hat im Vergleich zu vielen anderen Ländern weit weniger AnbieterInnen im Spitalsbereich. Eine Abstimmung – über diverse Kristenstäbe auf Bundes- und Landesebene wurde somit erleichtert. Innerhalb kürzester Zeit hätten PatientInnen mit Bedarf in andere Krankenhäuser verlegt werden können. Teils wurden sogar Träger von Privatkrankenanstalten in die Regelversorgung mit aufgenommen. Letztendlich waren auch ausreichend Betten vorhanden, weil wir in Österreich von anderen Ländern – wie z.B. Italien – als negatives Beispiel lernen konnten und viele positiv getestete Menschen die Quarantäne daheim verbrachten ohne das Spitalssystem zu überlasten.
Langzeitpflege
Auch im Bereich der Langzeitpflege hat Österreich bisher weniger tote BewohnerInnen und Beschäftigte zu beklagen als viele andere Länder. Auch hier zeigt sich, dass die Zusammenarbeit innerhalb der Trägerlandschaft gut funktioniert hat. Abstimmungen auf Landesebene und zwischen den Trägern – häufig auch mit Mobilen Diensten – haben dazu geführt, dass dramatische Entwicklungen wie in Spanien, Großbritannien oder teils auch in deutschen Alten- und Pflegeheimen nicht auf Österreich übergriffen. Es hat sich auch gezeigt, dass die derzeit häufig viel kritisieren Besuchseinschränkungen in Heimen, verbunden mit diversen Sicherheits- und Hygienestandards dazu beigetragen haben, dass Corona-Hotspots in östereichischen Heimen die Ausnahme blieben. Es zeigt sich aber auch, wie schmal der Grat ist zwischen Sicherheit und Freiheit – gerade auch von älteren Menschen in der stationären Langzeitpflege. Die ab 4. Mai geltenden Lockerungsempfehlungen für Heime versuchen, diesen Spagat zu schaffen, ohne Menschenleben zu gefährden.
Sparen am falschen Platz
Deutlich sichtbar wurde aber auch, wie schnell Kostenüberlegungen selbst in Zeiten von Covid-19 in den Mittelpunkt rücken. So konnten anfangs an vielen Stellen nicht ausreichend Schutzausrüstung zur Verfügung gestellt werden, da diese EU-weit nur sehr beschränkt verfügbar waren. Träger, die lange Zeit zu wenig in Schutzmaßnahmen investiert haben und selbst bei den anfänglichen Warnungen häufig auch aus Kostenargumenten noch nicht reagiert haben, mussten sich sich eingestehen, dass sie lange Zeit am falschen Platz eingespart hatten – häufig auch, um im Rahmen von Normkosten und ähnlichen Vorgaben zu bleiben. Vor allem in sozialen Netzwerken, aber auch in der Beratung haben gerade Beschäftigte aus Mobilen Diensten geklagt, dass sie lange vergessen worden sind.
Besonders deutlich wurden die Folgen von strategischen Entscheidungen im Feld der 24-Stunden-Personenbetreuung. Ein 2007 – sicher auch unter dem Aspekt von Kostenüberlegungen – legalisiertes Betreuungssystem, das großteils von ausländische Frauen abhängt, zeigt derzeit bei geschlossenen Grenzen sehr deutlich auf, dass Überlegungen zur Gesundheit und Pflege nicht einfach „outgesourced“ werden können, wie es im Industriebereich mittlerweile ja sehr üblich ist.
Resümee
Was bleibt aus den bisherigen Erfahrungen mit Covid-19 im Gesundheits- und Langzeitpflegebereich zu lernen? Deutlich wird, dass gerade jene Länder, die in den letzten Jahren/Jahrzehnten das Gesundheits- und Pflegesystem kaputt gespart haben, derzeit die meisten Toten beklagen müssen. Aber nicht nur der Anteil an Ausgaben für Gesundheit und Pflege am BIP spielt eine wesentliche Rolle. Besonders betroffen sind Länder, in denen durch unterschiedliche marktwirtschaftliche und neoliberale Strömung eine Profit- und Gewinnmaximierung in der Versorgung Einzug gehalten hat. Wenn heute vor allem Großbritanniens Gesundheits- und Langzeitpflegesystem an Grenzen stößt, hängt dass auch damit zusammen, dass über Jahre hinweg aus Kostengründen Qualitätsstandards nach unten nivelliert, Nullstundenverträge vergeben und die Kostenspirale immer weiter nach unten geschraubt wurde.
Österreich kann derzeit kurz durchatmen und erste Erfolge feiern. Damit aber auf lange Sicht der hohe Standard aufrecht erhalten werden kann und Österreich auch Folgewellen von Covid standhält, ist gut daran getan, schnellstmöglich die Vorhaben aus dem Regierungsprogramm zum Thema Langzeitpflege anzugehen und den Gesundheitsbereich und alle Beschäftigten zu stärken. Nicht nur heute wird besonders deutlich, dass sich jede Investition in die Pflege lohnt.
Heidemarie Staflinger, Arbeiterkammer Oberösterreich, Abteilung Arbeitsbedingungen. Arbeitsbedingungen im Gesundheits- und Sozialen Dienstleistungsbereich