Die Corona-Pandemie und ihre Bewältigung stellt derzeit vieles in Frage was jahrzehntelang als ‚in Stein gemeißelt‘ galt. Selbst stramme Konservative und Liberale, die am intensivsten ‚mehr privat – weniger Staat‘ proklamiert haben, rufen nun am Lautesten nach dem Staat. Kann der pandemiebedingte politische ‚Framewechsel‘ nachhaltig Bestand haben?
In der Krise sind alle Keynesianer und verlangen nach zupackendem, schützendem Regieren
Neoliberale Dogmen, wonach der Markt alles besser regelt, sind in diesen Tagen schwer ins Abseits geraten. Wir erleben eine wahre Hochschaubahn: von der Marktgläubigkeit zum ‚Primat der Politik‘; vom Nulldefizit zum ‚koste es was es wolle‘; Staatsschulden: absolut angesagt; von europaweiten Sparzwängen und Schuldenbremsen zur Neubewertung des Sozialstaats, öffentlicher Dienste, des Gesundheitswesens, aktiver Arbeitsmarktpolitik und anderes mehr.
Bilder aus Ländern mit völlig überlasteten Gesundheitssystemen lassen neoliberale Predigten von gestern irreal erscheinen. Nicht einmal die Agenda Austria versteigt sich derzeit öffentlich zur Aussage, dass der Sozialstaat überbordend ist oder öffentliche Dienstleistungen und medizinische Kapazitäten zurückzufahren sind. Der Sozialstaat zeigt gerade, was er kann. Trotz türkis-blauer Reformen bewältigt ein immer noch handlungsfähiges Gesundheitssystem die Corona-Krise im Ländervergleich passabel. In der Krise wird deutlich: Wer bei der Gesundheit spart, verliert. Deutlich wird auch, wie zerstörend das Aushungern öffentlicher Dienste ist.
Kann der pandemiebedingte politische ‚Framewechsel‘ nach der Pandemie Bestand haben?
Ob es zu einem Kurswechsel kommt oder sich am Ende wieder die ‚Mächtigen des Systems‘ durchsetzen, diese Auseinandersetzung steht jetzt an. In den Jahren nach 2008, als im Zuge der Finanzmarktkrise eine an radikaler Marktfreiheit knapp kollabierende Wirtschaft ebenfalls mit alles Anderem, als marktwirtschaftlichen Mitteln gerettet werden musste, wurde diese Auseinandersetzung verloren. Diesmal ist die Krise allgemeiner und größer, alle Branchen betreffend auch leibhaftig spürbarer; vielleicht auch die Chance, ‚Wohlfahrts- und Gemeinwohlorientierung‘ in Politik und Wirtschaft nachhaltig zurückzugewinnen.
Klar ist, dass ein Virus keine politökonomischen Realitäten außer Kraft zu setzen vermag. Wohl aber soll und muss er Anlass und Motor für offensive gesellschaftliche Debatten über das Verhältnis von Markt und Staat sein. Und Motor zur Brandmarkung marktradikaler Defizite; Darüber hinaus Ideenschleuder beim Aufzeigen gemeinwohlorientierter Alternativen. Dann kann Corona auch dazu führen, dass auch die Globalisierung neu bewertet wird. Da sind europäische und österreichische Antworten angesagt: in der Wirtschaftspolitik, der Handelspolitik, bei Steuern, Sozialem und Beschäftigung. Der Markt alleine schafft jedenfalls weder Sicherheiten noch fairen Ausgleich.
Hier heißt es klar Position beziehen, dabei im Zentrum die Frage: Wer zahlt die Zeche?
Vieles ist unsicher, aber eines steht fest: Im Zuge der Post-Corona-Zeit wird es heftige Verteilungsdebatten geben. Die wirtschaftliche und soziale Bewältigung der Corona-Krise wird gewaltige Konjunkturpakete erfordern. Verbesserung von Arbeitsbedingungen der „Helden/innen“ kostet Geld. Wie auch die Stabilisierung des Arbeitsmarktes und die notwendige Stützung der Wirtschaft, vom KMU-Bereich bis hin zu nationalen Flaggschiffen. Eine bessere Absicherung Arbeitsloser gibt es nicht zum Nulltarif, auch nicht die Stabilisierung und den Ausbau des Sozialstaates, auch nicht den intelligenten wirtschaftlichen Wiederaufbau.
Vor der verteilungspolitischen Frage, wer das alles bezahlen soll, kann sich niemand drücken. Aus Sicht der Gewerkschaft sind hier klare Positionen angesagt. Dabei wird sehr genau darauf zu achten sein, dass jahrzehntelange Sparprogramme nach dem Motto ‚koste es was es wolle‘ vermieden werden. Neoliberale Denker stehen jedenfalls mit bekannten Rezepten schon wieder bereit: Sparen bzw. ausgabenseitige Sanierung, rauf mit der Mehrwertsteuer und Massenbelastungen, die sozial Schwächere überproportional treffen.
Mit dem Dogma der Schuldenbremse, wie in den Jahren nach der Finanzkrise 2008, wird der Wiederaufbau jedenfalls nicht zu schaffen sein. Demgegenüber wird jetzt der Ruf nach gerechtem Beitrag all jener zur Krisenfinanzierung wieder laut, die über große Vermögen verfügen. Und das weit über Gewerkschaftskreise hinaus, für die Sonder- bzw. Krisenabgaben sowie Vermögens- und Erbschaftssteuer gerade jetzt steuerpolitisches Gebot der Stunde sind.
Wie die Welt nach Corona aussieht nicht allein den Regierenden und den Eliten überlassen
Nach der Krise werden die neoliberalen Argumente wohl wiederkommen. Hier sind Gewerkschaften gerade im Wiederaufbau- und Restrukturierungsprozess gleich mehrfach gefordert, sich als Lotsen der Gerechtigkeit einzumischen. Corona trifft auf Realitäten sozialer und wirtschaftlicher Ungleichheit. Und die Corona-Krise bringt die Gefahr gesellschaftliche Machtungleichgewichte zu verstärken, soziale Ungleichheiten zu verstärken und soziale Spannungen zu vergrößern. Aber Ungleichheit ist auch in Zeiten von Pandemien und Krisen keine Naturgewalt. Sie ist eine politische und ideologische Frage und durch gesellschaftliche Kräfteverhältnisse veränderbar.
- Es wird ganz wesentlich an den Gewerkschaften liegen, nicht nur die Corona-Erinnerung aufrecht zu erhalten, dass der Markt nicht vorsorgt, es vielmehr Gesellschaften mit starken Institutionen und ausgebaute Sozialstaaten sind, die mit Krisen besser umgehen können.
- Zugleich sind Gewerkschaften gefordert, auf faire (Lasten)Verteilung in den ‚Tagen danach‘ zu achten und mit entsprechenden wirtschafts- und verteilungspolitischen Forderungen zu trumpfen.
- Und es wird an den Gewerkschaften liegen, darauf zu achten, dass die sog. ‚Helden/innen des Alltags‘ nach der Krise nicht wieder vergessen und mit retrospektiver Wertschätzung abgespeist werden, sondern ordentliche Abgeltung und bessere Arbeitsbedingungen erhalten.
- Und schließlich wird es v.a. auch an ihnen liegen, Wachsam zu sein, dass beim Exit aus dem Ausnahmezustand keine demokratiepolitischen Kollateralschäden zurückbleiben und Grundrechte ausgehebelt bleiben. Es gibt viel zu tun.
Vielleicht bewahrheitet sich wieder einmal, dass große gesellschaftliche Korrekturen nicht ohne große Krisen oder Katastrophen zu haben sind. Wie die Welt nach Corona aussehen wird, das darf nicht den Regierenden und Vermögenden alleine überlassen bleiben. Für Gewerkschaft ist Einmischung angesagt, jetzt.