Arbeitslosigkeit gerecht verteilen

Foto: Nurith Wagner-Strauss

Das Solidaritätsprämienmodell ist ein brauchbares Mittel um die Arbeitszeit zu reduzieren und gleichzeitig neue Arbeitsplätze zu schaffen. Trotz der Corona-bedingten hohen Arbeitslosigkeit wird das Solidarmodell aber selten genutzt.

Der Betriebsratsvorsitzende Günther Haberl erzählt warum es seine KollegInnen beim Verein VertretungsNetz seit 20 Jahren gerne in Anspruch nehmen – und wie das geht.

KOMPETENZ: Herr Haberl, sie sind Betriebsratsvorsitzender beim Verein VertretungsNetz. Was sind die Tätigkeitsbereiche von VertretungsNetz und wer arbeitet bei ihnen?

Günther Haberl: Das Hauptfeld unserer Tätigkeit ist die Erwachsenenvertretung, also die Rechtsfürsorge für Menschen, die ihre Rechtsangelegenheiten nicht mehr alleine bewältigen können, sei es aufgrund einer psychischen Erkrankung oder altersbedingt. Weiters übernehmen wir durch die Patientenanwaltschaft die parteiliche Interessensvertretung psychisch kranker Menschen in psychiatrischen Krankenhäusern, sowie für die vielen Menschen in Pflege- und Behinderteneinrichtungen durch die Bewohnervertretung.

VertretungsNetz ist fast im ganzen Bundesgebiet mit 730 DienstnehmerInnen aktiv.

Drei Viertel unserer Beschäftigten sind Frauen, darunter gibt es PsychologInnen, diplomierte KrankenpflegerInnen, PädagogInnen und SoziologInnen, vor allem aber sind SozialarbeiterInnen und JuristInnen bei Vertretungsnetz beschäftigt.

„Im Laufe der Jahre wurde das Solidaritätsprämienmodell in etwa zehn Teams genutzt.“

Günther Haberl

KOMPETENZ: In ihrem Betrieb fand das Solidaritätsprämienmodell schon zahlreiche Anwendungen. Wie kam es dazu?

Günther Haberl: Wir haben vor 20 Jahren eine Betriebsvereinbarung abgeschlossen, in welcher der Dienstgeber seine Bereitschaft deklarierte, dem Solidaritätsprämienmodell zuzustimmen – soweit dem keine betrieblichen Gründe entgegenstehen. Im Laufe der Jahre wurde diese Art der Arbeitszeitverkürzung in etwa zehn Teams genutzt. Von Seiten unseres Betriebs hat es da nie Widerstand gegeben.

KOMPETENZ: Wie kann man sich das in der Praxis vorstellen?

Günther Haberl: Ein konkretes Beispiel: In einem unserer Teams mit über zehn DienstnehmerInnen meinten drei KollegInnen im Alter zwischen 40 und 50 Jahren: „Ich habe schon so lange Vollzeit gearbeitet, aber bis zur Pension dauert es noch. Ich würde gerne für zwei Jahre auf 30 Wochenstunden reduzieren.“ Sie wussten, damit gibt es die Chance auf einen Zuwachs im Team. Der Arbeitgeber verpflichtete sich die gesamten frei gewordenen 30 Wochenstunden nachzubesetzen. Die drei, die jeweils zehn Wochenstunden reduziert haben, bekommen über das AMS eine Solidaritätsprämie. Diese ermöglicht, dass die Gehaltseinbuße der DienstnehmerInnen nur die Hälfte der Arbeitszeitreduktion ausmacht. Das heißt, die drei bekommen 35 Wochenstunden bezahlt.

Das ist eine Win-Win-Situation: Mehrere Bedienstete konnten ihre Arbeitszeit reduzieren und schufen damit einen zusätzlichen Arbeitsplatz.

„Der Dienstgeber hat dadurch eine höhere Arbeitszufriedenheit bei den MitarbeiterInnen gewonnen.“

Günther Haberl

KOMPETENZ: Dass die Bediensteten von der vorübergehenden Arbeitszeitverkürzung profitieren ist klar. Aber hat auch der Dienstgeber davon Vorteile?

Günther Haberl: Ja eindeutig. Der Dienstgeber hat dadurch eine höhere Arbeitszufriedenheit bei den MitarbeiterInnen gewonnen. In unserem Arbeitsbereich geht es darum, MitarbeiterInnen langfristig mit ihrem Wissen und ihrer Erfahrung im Unternehmen zu halten. Zeigt sich der Arbeitgeber da nicht entgegenkommend, kann das auf Dauer vielfältige negative Auswirkungen auf die Leistungserbringung haben.

Auch langfristig gibt es nur Vorteile: Braucht es eine Personalaufstockung ist man froh jemand aufnehmen zu können, der schon eingearbeitet ist. Das könnte dann jemand sein, der über das Solidarprämienmodell schon vorübergehend im Betrieb tätig war.

Günther Haberl, Jahrgang 1957, ist diplomierter Sozialarbeiter und ausgebildeter Supervisor. Mit drei KollegInnen hat Haberl im Jahr 1980 – damals noch unter dem Namen „Verein für Sachwalterschaft“ – begonnen, VertretungsNetz aufzubauen. Haberl gründete in den 1980er Jahren den ersten Betriebsrat im Verein und ist seit damals Gewerkschaftsmitglied. Nach vielen Jahren Pause übernahm er im Jahr 2002 den Vorsitz des mittlerweile 10-köpfigen Betriebsratsteams.
Fotos: Nurith Wagner-Strauss

Während die GPA für den Gesundheits- und Sozialbereich schon lange eine generelle Arbeitszeitverkürzung – bei vollem Lohnausgleich – fordert, waren die Arbeitgeber trotz Corona-bedingter hoher Arbeitslosigkeit bisher strikt dagegen. Könnte hier das Solidaritätsprämienmodell Abhilfe schaffen?

Günther Haberl: Die einen sind furchtbar belastet und brechen fast zusammen, die anderen finden keine Arbeit. Ich bin fest davon überzeugt, dass es da prinzipiell ein sinnvoller Ansatz ist, die Arbeitslosigkeit auf alle Menschen zu verteilen. Und das geht natürlich über eine Arbeitszeitverkürzung. Das Solidaritätsprämienmodell ist besonders sinnvoll, weil es die Freiwilligkeit der Bediensteten mit einem Zuschuss des Staates kombiniert.

Günther Haberl: In den letzten Monaten haben wir mit großer Bewunderung gesehen, wie enorm anstrengend etwa die Tätigkeit im Pflegebereich ist. Leider wird das bisher noch nicht ausreichend finanziell honoriert. Der Gewerkschaft ist es bisher leider noch nicht gelungen im Sozial- und Gesundheitsbereich eine Arbeitszeitverkürzung auf 35 Wochen bei vollem Personal- und Lohnausgleich durchzusetzen. Wir werden aber nicht aufgeben. Gerade die Erfahrungen in der Krise könnten uns hier Rückenwind geben.

Solidarprämienmodell:
Das Prinzip des Solidaritätsprämienmodells funktioniert ganz einfach: Mehrere Bedienstete, die ihre Normalarbeitszeit freiwillig reduzieren wollen, bekommen dies für zwei oder drei Jahre lang gefördert. Das AMS bezahlt dabei bis zu 50 Prozent des Lohns, der durch die Arbeitszeit-Reduktion wegfällt. Die Summe der freigewordenen Arbeitsstunden werden für denselben Zeitraum mit einer arbeitsuchenden, neuen Arbeitskraft besetzt – ohne Zusatzkosten für den Betrieb.

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