Statt Applaus von den Balkonen und warmen Worten von der Regierung fordert Silvia Igumnov endlich mehr Geld für den Sozial- und Gesundheitsbereich.
Weil Frauen, die Kinder haben, nicht zu arbeiten haben. Weil das Rabenmütter sind. Sagte Silvia Igumnovs ehemalige Chefin in einem Kärntner Kindergarten und legte ihr einen einvernehmlichen Auflösungsvertrag zur Unterschrift vor. Vieles von dem, was Igumnov heute, fast 30 Jahre später, verkörpert, geht auf diese Drohung zurück: „Damals habe ich mir geschworen, wenn ich mal etwas dazu beitragen kann, dass das einer anderen Frau nicht passiert, dann werde ich das auch machen“.
Im Dezember vergangenen Jahres feierte Igumnov ihr 25-jähriges Dienstjubiläum bei der Arbeitsvereinigung der Sozialhilfe Kärntens (AVS). Seit 13 Jahren ist sie dort stellvertretende Betriebsratsvorsitzende. Außerdem fungiert sie als stellvertretende ÖGB-Landesfrauenvorsitzende und als Regionalfrauenvorsitzende der GPA. Und sitzt im Bundesfrauenvorstand der GPA. Und im Arbeiterkammervorstand. Auf die Frage, wie man das unter einen Hut bekommt, muss sie schmunzeln. Stress, ja, aber „ein angenehmer Stress, ein guter Ausgleich“ sei das, schließlich könne sie viele ihrer Funktionen einfach mit ihrer täglichen Arbeit verbinden, weil sie in einer typischen „Frauenbranche“ tätig ist. Für Igumnov „eine Möglichkeit, ein daran mitzuwirken, dass die Welt ein bisschen besser wird“. Igumnov gebraucht sie oft, diese Sätze, die nach pathetischen Phrasen klingen – mit dem Unterschied, dass sie aus ihrem Mund nicht pathetisch und auch nicht nach Phrasen, sondern nach innerer Überzeugung klingen.
„Weil es einfach zu viel ist“
In gewisser Hinsicht betrachtet Igumnov genau diese Vielzahl an Funktionen als größten Erfolg ihrer Arbeit. Nicht der Funktionen selbst wegen, aber „ich bin stolz darauf, dass mich so viele Menschen als Vertrauensperson sehen“. Denn gerade als Betriebsrätin bestehe eine ihrer wichtigsten Aufgaben darin, zuzuhören. Ein offenes Ohr haben, damit lasse sich schon viel erreichen. Igumnov erinnert sich an den Anfang der Pandemie. Damals war es die Verunsicherung, teilweise auch die Angst vieler ihrer Kolleginnen und Kollegen, weshalb sie den März und April 2020 überwiegend telefonierend verbrachte. „Und ich war über jeden Anruf froh“.
Danach wich die Angst zunächst der Solidarität – und die Solidarität mittlerweile der Erschöpfung. Rund 90 Prozent der AVS-Angestellten sind weiblich. Für viele von ihnen bedeutet „Corona“ nicht nur besondere Vorsicht im Arbeitsalltag, mehr Schutzkleidung und regelmäßiges Händedesinfizieren. Es bedeutet, nach Feierabend mit den Kindern die Schulübungen nachzuholen. Und den Haushalt zu erledigen. Und mitunter Angehörige zu pflegen. „Ich habe derzeit das Gefühl“, erklärt Igumnov, „dass viele einfach nicht mehr können. Weil es einfach zu viel ist“.
Wenn die stellvertretende Betriebsratsvorsitzende über solche Szenen spricht, sagt sie immer wieder einen Satz: „ich bin ein kleiner Baustein in diesem Ganzen, aber wenn ich irgendetwas mitbewirken kann, nur ein bisschen was, dann mach ich das“. Schon wieder so eine Phrase, die aus ihrem Mund nicht wie eine Phrase klingt.
„Ich hatte Angst“
Als ihre ehemalige Chefin ihr damals ihre einvernehmliche Kündigung vorsetzte, unterschrieb sie. Weil ihr klargemacht wurde, sie wird diesen Raum nicht verlassen, ohne zu unterschreiben. „Ich hatte Angst, es war eine bedrohliche Situation“, erinnert sich Igumnov. Auch nach der Kündigung fand sie keine Anstellung, fragte bei mehreren Kindergruppen nach und bekam ein ums andere Mal eine Absage. Weil man ihr – mal geraderaus, mal durch die Blume – vermittelte, dass eine Frau mit Kindern nicht zu arbeiten habe.
Unterkriegen lassen wollte sie sich schon als Kind nicht, sagt Igumnov. Sie versuchte es weiter. Fand schließlich eine Anstellung bei der AVS als Tagesmutter. Nebenher absolvierte sie die Ausbildung zur diplomierten Kleinkindpädagogin. Seit 13 Jahren ist die 51-Jährige freigestellte Betriebsrätin, als offenes Ohr für ihre Kolleginnen und Kollegen, als „kleiner Baustein“.
Denn die Vertrauensperson Silvia Igumnov brauchen viele der AVS-Beschäftigten auch abseits der Pandemie. Weil sich Viele der im Sozial- und Gesundheitsbereich Beschäftigten von ihrem Einkommen kein anständiges Leben leisten können, weil es für manche „ein Weltuntergang ist, wenn die Waschmaschine kaputtgeht“. Weil es für Betroffene oftmals für nicht mehr als ein paar Hundert Euro Pension reicht. „Das tut mir im Herzen weh“, sagt Igumnov.
Koste es, was es wolle?
Auch weil ihr in diesen Fragen als Betriebsrätin vielfach die Hände gebunden sind. Das Verhältnis zur AVS-Geschäftsführung sei gut, das Gesprächsklima stimme, man bekomme Vieles gemeinsam auf die Reihe – aber wenn vom Land oder vom Bund kein Geld kommt, können selbst Betriebsrat und Geschäftsführung gemeinsam wenig ausrichten. „Koste es, was es wolle“, habe es am Anfang der Pandemie geheißen, kritisiert Igumnov. „Ich kann’s nicht mehr hören: wir beklatschen die Heldinnen und Helden des Alltags – und wenn es darum geht, diese Wertschätzung, die man durchs Klatschen doch eigentlich vermitteln möchte, in Geld auszudrücken, dann wird es plötzlich still“.
Es ist eine der wenigen Momente, in dem die Freundlichkeit auf Igumnovs Gesicht Pause macht, die Stimme tiefer, ernster wird. Womöglich weil der „kleine Baustein“ in diesen großen Fragen relativ machtlos ist. Weil in dieser türkis-grünen Regierung, „ohnehin nur einer das Sagen hat“ und der für ArbeitnehmerInnen, für Verteilungsgerechtigkeit nichts übrighat.
Igumnov hat sich vor knapp drei Jahrzehnten geschworen, für Gleichberechtigung zu kämpfen, Frauen zu unterstützen, wo es in ihrer Macht steht. Dafür zu kämpfen, dass Frauen mit Kindern arbeiten gehen können, wenn sie sich dafür entscheiden. Igumnov arbeitete fast ihr gesamtes Leben Vollzeit. „Und aus meinen zwei Kindern ist trotzdem was geworden. Sie haben keinen Schaden davongetragen“, schmunzelt sie, fast siegessicher.
Zur Person:
Silvia Igumnov, 51, ist in Klagenfurt am Wörthersee geboren und aufgewachsen. Seit 13 Jahren ist sie stellvertretende Betriebsratsvorsitzende der Arbeitsvereinigung der Sozialhilfe Kärntens (AVS).