T-Shirts für 2 Euro 90 und Billigelektronik haben einen Preis – den zahlen jene Menschen, die in den Fabriken am anderen Ende der Welt arbeiten. Ein EU-Lieferkettengesetz würde dafür sorgen, dass Menschenrechte und Umweltstandards im globalen Süden gestärkt werden.
Europäische Unternehmen sind von Zulieferbetrieben abhängig. Ob Textilien, Elektronik, Autos oder Lebensmittel – Rohstoffe, Halbfertig- und Fertigprodukte werden weltweit importiert. Dabei wissen wir aber, dass in vielen ärmeren Ländern weder grundlegende Rechte der ArbeitnehmerInnen, noch Umweltstandards respektiert werden.
Ausbeutung der TextilarbeiterInnen in Bangladesch, Kinderarbeit auf Kakaoplantagen in Westafrika, Umweltzerstörung durch Bergbau in Brasilien, Gefängnisarbeit in China – die Liste ist lang. Wie es am anderen Ende unserer Lieferkette aussieht, davon wollen die wenigsten wissen. Manche Unternehmen engagieren sich zwar schon jetzt für die Menschenrechte und den Umweltschutz, es werden Siegel vergeben für Umweltschutz oder Fair Trade.
Doch die Mehrzahl der europäischen Unternehmen begnügen sich mit freiwilliger Selbstverpflichtung oder schieben die Verantwortung den Subunternehmen zu. Nun liegt in Brüssel ein Vorschlag des Rechtsausschusses des Europaparlaments auf dem Tisch, der diesen üblen Praktiken Einhalt gebieten könnte. Auch die EU-Kommission hat angekündigt, noch im ersten Halbjahr einen Rechtsvorschlag vorzulegen.
„Die EU muss ihren Einfluss nutzen, um ehrgeizige Standards zu setzen, wenn es darum geht, Unternehmen z.B. für die Missachtung von Arbeitsschutzbestimmungen, Zwangsarbeit, Kinderarbeit oder Umweltschäden zur Rechenschaft zu ziehen“, sagt Sophia Reisecker, Internationale Sekretärin in der GPA. Und fügt hinzu: „Wir brauchen unbedingt verbindliche Gesetze, die von den Betroffenen auch eingeklagt werden können.“
Unfälle, Ausbeutung, Umweltschäden
Traurige Bekanntheit in Europa erreichten vor allem Unfälle in Textilfabriken: In Pakistan kamen 2012 bei einem Brand 258 Menschen ums Leben, weil grundlegende Sicherheitskonzepte wie Notausgänge oder Feuerlöscher missachtet worden waren. In Bangladesch kostete der Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza 2013 gar mehr als tausend Menschen das Leben.
Ein anderes unrühmliches Beispiel: Nutella. Mit der bei Kindern beliebten Haselnusscreme ist die Firma Ferrero reich geworden. Auf Kosten all jener, die die Zutaten herstellen – und das sind ebenfalls Kinder, die – oft zusammen mit ihren Eltern – auf den Plantagen arbeiten. In jedem Glas Nutella steckt die Kinderarbeit beim Anbau der Haselnüsse in der Türkei, beim Palmöl in Südostasien und beim Kakaoanbau in Afrika. Dazu kommen gigantische Umweltschäden durch Monokulturen und Regenwaldabholzung.
Konkret kann ein Unternehmen seinen Zulieferern vorschreiben, wie die Beschaffenheit oder der Herstellungsprozess des Produktes auszusehen hat – warum also nicht auch Sicherheitsvorkehrungen in der Fabrik oder das Verbot von Kinderarbeit in der Landwirtschaft? „Es muss möglich sein, Firmen zur Verantwortung zu ziehen für das, was sie den Menschen und der Umwelt antun. Es geht um eine grundsätzliche Haltung, um die sogenannte menschenrechtliche Sorgfaltspflicht“, sagt Alice Wagner vom AK Europa-Büro in Brüssel.
„Die Corona-Krise hat gezeigt“, führt Wagner aus, „wie stark Europa einerseits von seinen Zulieferbetrieben weltweit abhängig ist. Aber zugleich auch, wie verwundbar andererseits der globale Süden durch unsere Aufträge ist.“ Beim Ausbruch der Krise wurden beispielsweise im Textilsektor zahllose Aufträge storniert, was dazu führte, dass Fabriken ihre Beschäftigten kündigten. Die Folge: „Tausende TextilarbeiterInnen haben ihren Job und ihr Einkommen verloren, die Krise trifft sie mit voller Härte“, sagt Wagner.
Europäisches Lieferkettengesetz
Wagner betreut für die Arbeiterkammer federführend von Brüssel aus die europäische Kampagne „Unternehmen zur Verantwortung ziehen“ („Hold Business Accountable“), um Druck für eine starke EU-Rechtsvorschrift zu machen. Die Kampagne führen AK EUROPA und das ÖGB Europabüro gemeinsam mit anderen Organisationen und NGOs. Eine Unterschriftenaktion an die EU-Kommission brachte über 145.000 Unterschriften.
Ende Jänner dieses Jahres hat der Rechtsausschuss des EU-Parlaments für ein europäisches Lieferkettengesetz gestimmt. „Es liegt damit ein konkreter und ambitionierter Vorschlag für die Regulierung von Lieferketten auf EU-Ebene auf dem Tisch, ein klares Signal an die EU-Kommission“, sagt Wagner. Die Entscheidung des Ausschusses, die fast einstimmig fiel (21 Stimmen dafür, eine dagegen und eine Enthaltung), muss im März noch vom Plenum des Europaparlaments bestätigt werden.
Es handelt sich bei dem Vorschlag um einen ‚legislativen Initiativbericht’, daher muss die EU-Kommission reagieren. Das EU-Parlament hat die Möglichkeit, der Kommission Vorschläge zu unterbreiten, die diese dann berücksichtigen muss. Das wurde von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zu Beginn ihrer Amtszeit bestätigt. Von diesem Recht hat der Rechtsausschuss des Parlaments nun Gebrauch gemacht.
Der Vorschlag sieht vor, dass Unternehmen nicht nur zum Schutz der Menschenrechte verpflichtet werden sollen, sondern auch Umweltbelange beachten und Korruption vermeiden müssen. Es sollen nicht nur große Unternehmen, sondern auch kleinere Unternehmen erfasst werden, und zwar solche, die börsennotiert sind oder deren Tätigkeit mit besonderen Risiken für die Menschenrechte verbunden ist. Vorgesehen ist außerdem, dass Unternehmen unter bestimmten Umständen auch zivilrechtlich haften sollen. „Damit könnten Betroffene von Menschenrechtsverletzungen entlang der Lieferkette eine Chance auf Entschädigung bekommen“, sagt Wagner.
Das würde bedeuten, dass ein Unternehmen, das die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht missachtet, in Zukunft nicht mehr so leicht davonkommt. Wie beispielsweise der Textildiskonter Kik bei einer Klage der Angehörigen von ArbeiterInnen, die 2013 bei dem oben erwähnten Brand in der Zuliefererfabrik in Pakistan ums Leben gekommen waren. Als der Fall 2019 endlich nach vielen Mühen vor einem deutschen Gericht landete, war er verjährt.
Nationale Initiativen
In einigen europäischen Ländern werden schon länger Debatten über nationale Lieferkettengesetze geführt. Frankreich ist in dieser Hinsicht ein Vorreiter und hat ein solches Gesetz, das Sorgfaltsgesetz (‚Loi de la Vigilance’), bereits 2017 erlassen. Die Niederlande haben 2019 ebenfalls ein Gesetz über eine Sorgfaltspflicht zur Vermeidung von Kinderarbeit (‚Wet Zorgplicht Kinderarbeid’) verabschiedet, um zu verhindern, dass Produkte auf den Markt kommen, die mit Hilfe von Kinderarbeit zustande gekommen sind.
Deutschland bekommt nun ebenfalls ein eigenes Lieferkettengesetz: Die Einigung am 12. Februar wurde von Gewerkschaften und NGOs begrüßt, nachdem der jahrelange Druck mittels der „Initiative Lieferkettengesetz“ zum Erfolg geführt hatte. Allerdings wird das vereinbarte Lieferkettengesetz erst ab 2023 wirken, und dann auch erst mal nur für etwas mehr als 600 in Deutschland ansässige Unternehmen mit jeweils über 3.000 Beschäftigten. Ab 2024 wird das Gesetz ausgeweitet auf Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten.
In der sonst wirtschaftsliberalen Schweiz kämpften im vergangenen Herbst Gewerkschaften und Zivilgesellschaft für ein Gesetz, um international tätige Unternehmen zu mehr Verantwortung zu verpflichten. Die Abstimmung darüber verfehlte leider um ganz wenig die Mehrheit. Die nur knappe Niederlage zeigt aber, wie groß die Zustimmung der Bevölkerung bei solchen Themen bereits ist. Zugleich wird deutlich, wie schwierig es für die Unternehmen geworden ist, hier Gegenargumente zu bringen, ohne sich moralisch völlig die Blöße zu geben.
In Österreich wurde 2018 und nochmals 2020 ein Entwurf für ein Sozialverantwortungsgesetz zur Bekämpfung von Kinder- und Zwangsarbeit vorgelegt. Doch der Entwurf „schlummert“ derzeit im Sozialausschuss des Nationalrats. „Auch hier fordern wir als Arbeiterkammer gemeinsam mit den Gewerkschaften die Bundesregierung zum Handeln auf,“ erklärt Wagner. AK und ÖGB unterstützen die Initiative „Menschenrechte brauchen Gesetze. Damit Lieferketten nicht verletzen“.
Gründung von Gewerkschaften
Weltweit gibt es bislang kaum verbindliche Regeln für Wirtschaft und Menschenrechte. In den letzten Jahren wurden einige Initiativen gesetzt: 2011 hat der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen „Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte“ erlassen. Diese sind jedoch ebenso wie die bereits 1976 verabschiedeten „OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen“ rechtlich nicht bindend. „Die Erfahrung zeigt: Freiwillige Maßnahmen reichen einfach nicht aus, um menschenwürdige Arbeitsbedingungen und eine intakte Umwelt zu schaffen“, sagt Sophia Reisecker. „Es braucht endlich verbindliche Gesetze, die auch Sanktionen beinhalten. Unternehmen, die Schäden an Mensch und Umwelt verursachen, müssen dafür haften.“
Damit das europäische Gesetz funktioniert, muss es Menschenrechte, ökologische und soziale Auswirkungen über die gesamte Lieferkette hinweg abdecken. Opfern von unternehmerischem Missbrauch, Gewerkschaften und Zivilgesellschaft muss außerdem der Zugang zu Gerechtigkeit vor den EU-Gerichten erleichtert werden. „Mit einem zahnlosen Gesetz wäre niemandem geholfen,“ betont Reisecker, „daher müssen Unternehmen bei Regelverstößen mit harten Strafen rechnen und für schlechte Praktiken im In- und Ausland haftbar gemacht werden können. Wichtig dabei ist, dass Gerichtsprozesse in Europa geführt werden, statt nur in den Ländern, in denen die Verstöße geschehen. Das schafft eine ganz andere Öffentlichkeit und ermöglicht auch KonsumentInnen, mehr über das Agieren der Konzerne zu erfahren.“
Eine ganz wesentliche Forderung an das neue Gesetz sollte hier nochmals hervorgehoben werden: ArbeitnehmerInnen müssen sich auch organisieren und Verhandlungen führen dürfen, sagt Reisecker: „Als Gewerkschafterin ist es mir natürlich ein ganz zentrales Anliegen, dass Gewerkschaften Kollektivvertragsverhandlungen führen können und ArbeitnehmerInnen und ihre Vertretungen bei jedem Schritt des Sorgfaltspflichten-Prozesses einbezogen werden.“