In einem Amazon-Logistikzentrum im Bundesstaat Alabama hat die Gewerkschaft endlich eine reale Chance, eine Belegschaftsvertretung durchsetzen zu können. Der Konzern will das um jeden Preis verhindern. Ein Erfolg der Gewerkschaft könnte der Auftakt zu einer landesweiten Organizing-Bewegung sein.
In Bessemer, einem Vorort von Birmingham, Alabama, droht Amazon der erste gewerkschaftlich organisierte Betrieb in den USA. Das Logistikzentrum wurde erst im März vergangenen Jahres neu eröffnet, und nun laufen dort Wahlen zur Belegschaftsvertretung. Denn während des Booms, den die Pandemie brachte, wurde vielen Beschäftigten klar, dass die Arbeitsbedingungen bei Amazon dringend verbessert werden müssen, nicht zuletzt wegen der Mängel bei Sicherheit und Hygiene.
Der Konzern hat in Bessemer bereits eine erste große Niederlage einstecken müssen: Die Wahlen zur Belegschaftsvertretung dürfen stattfinden. Die Gewerkschaft konnte ausreichend viele Unterstützungserklärungen organisieren, und die Abstimmung wird pandemiebedingt als Briefwahl abgehalten. Sie läuft 7 Wochen lang, von 8. Februar bis 29. März. Stimmberechtigt sind die 5.800 MitarbeiterInnen des Logistikzentrums.
Im Gegensatz zur Gewerkschaftsgründung bei Google, wo es sich um eine Minderheitsgewerkschaft handelt, geht es bei Amazon in Bessemer um ein reales Mandat und um Verhandlungen für bessere Löhne, Arbeitsbedingungen, Sozialleistungen und Verträge.
Es ist dies die erste Belegschaftswahl bei Amazon seit 2014. Damals sprachen sich die Beschäftigten in einem Betrieb in Delaware in Folge des massiven Drucks des Konzerns gegen eine gewerkschaftliche Vertretung aus.
Gewerkschaftswahlen in den USA
Wer in den USA offen die Gewerkschaft unterstützt, riskiert seinen Arbeitsplatz. Denn obwohl es illegal ist, jemanden wegen gewerkschaftlicher Betätigung zu entlassen, ist es völlig legal, ihn oder sie einfach ohne Begründung zu feuern. Ein Beschäftigungsverhältnis kann – von beiden Seiten – jederzeit beendet werden. Die Vorbereitungen zur Wahl einer Belegschaftsvertretung laufen daher zu Beginn meist im Geheimen ab, da ArbeitnehmerInnen sonst riskieren, entlassen zu werden, noch ehe es überhaupt zu einer ersten Abstimmung kommen kann.
Es braucht die Unterstützung von mindestens 30 Prozent der Belegschaft eines Betriebes, um Gewerkschaftswahlen einleiten zu können. Bei der Wahl selbst, und um Vertretungsrechte für Verhandlungen zu bekommen, sind 50 Prozent plus eine Stimme notwendig. Insgesamt ein riskantes Unterfangen: Denn der Arbeitgeber macht meist enormen Druck und daher springen viele oft wieder ab. Um also am Ende erfolgreich zu sein, baucht es von Anfang an eine sehr breite Basis.
Geheime Vorbereitungen
In Bessemer wandten sich MitarbeiterInnen von Amazon letzten Sommer an die Handelsgewerkschaft „Retail, Wholesale and Department Store Union“ (RWDSU). Seit dem ersten geheimen Treffen hat die Gewerkschaftskampagne schnellere und größere Fortschritte gemacht als erwartet. Bis Ende Dezember leisteten die notwendigen 30 Prozent der Beschäftigten die Unterschrift um die Belegschaftswahl zu unterstützen, die eigentlichen Wahlen konnten eingeleitet werden.
Diese Wahlen sollten pandemiebedingt per Briefwahl abgehalten werden. Das versuchte der Konzern per Gerichtsbeschluss zu verhindern und bestand auf einer Abstimmung im Wahllokal, was de facto eine Verschiebung bedeutet hätte. Damit wollte der Konzern nicht nur Zeit gewinnen, sondern es wäre bei einer Abstimmung vor Ort für Amazon auch leichter gewesen wäre, die Wahlen zu kontrollieren und zu beeinflussen, indem man z.B. die Beschäftigten einschüchtert. Doch die zuständige Behörde gab dem Antrag des Konzerns nicht statt und die Briefwahl startete wie geplant am 8. Februar.
Union Busters und Anti-Kampagne
Der Konzern engagierte so genannte Union-Busters, spezielle Beraterfirmen, die den Arbeitgebern dabei helfen, gewerkschaftliche Organisation im Betrieb zu unterbinden.
Vor Beginn der Wahlen wurden „Informationsveranstaltungen“ im Betrieb abgehalten, wo man Anti-Gewerkschaftspropaganda verbreitete. Den MitarbeiterInnen wurde ausführlich erläutert, welche Nachteile Gewerkschaften mit sich bringen. Es gab auch versteckte Einschüchterungen, sobald jemand zu viele Fragen stellte oder Kritik übte.
Die Beschäftigten erhielten überdies täglich mehrere Textnachrichten, Manager besuchten die Lagerhallen, verteilten Goodies und machten Versprechungen. Zuletzt kursierten außerdem Antigewerkschafts-Plakate und Flyer, die selbst in den Toiletten angebracht wurden. Sogar eine eigene Webseite ließ der Konzern erstellen: Dort sieht man glückliche MitarbeiterInnen, die Thumbs-up zeigen und erklären, warum Amazon der beste Arbeitgeber von allen sei. Auch auf der Webseite werden die Nachteile der Mitgliedschaft bei der Gewerkschaft ausführlich erklärt, im Mittelpunkt steht die Kritik an den Mitgliedsbeiträgen.
Enormer Arbeitsdruck
Aber wie gut oder schlecht ist Amazon in den USA als Arbeitgeber eigentlich? Während der Pandemie geriet der Multi immer wieder wegen mangelnder Hygiene und Schutzvorkehrungen in die Kritik und auch in die Medien. Der Konzern konnte zwar durch Corona enormen Profit einstreifen, sowohl im Online-Handel als auch im Video- und Musikstreaming, doch reich wurde davon in erster Linie Jeff Bezos, bis vor kurzem der CEO des Multis.
Amazon ist in den USA der zweitgrößte Arbeitgeber, nur die Supermarktkette Wal Mart hat noch mehr Beschäftigte. Der Konzern zahlt seinen MitarbeiterInnen einen Stundenlohn von 15,30 US-Dollar und damit mehr als das Doppelte des Mindestlohns von 7,25 Dollar. Während der Pandemie wurden schließlich auch für einige Monate zwei Dollar Zulage ausbezahlt.
Es geht aber in diesem Arbeitskampf um mehr als nur um Löhne. Vor allem die Arbeitsbedingungen werden bei Amazon – ebenso wie in Europa – zurecht seit langem schon stark kritisiert. In den Lagerhallen von Bessemer müssen die MitarbeiterInnen bei hohen Raumtemperaturen stundenlang weite Wege zu Fuß zurücklegen. Pausen und insbesondere Toilettenpausen werden penibel registriert, die Beschäftigten stehen permanent unter Beobachtung und vor allem unter massivem Druck zu noch mehr Leistung.
Black Lives Matter
Alabama gehört zu den konservativen Südstaaten der USA. Die Stadt Birmingham war in den den 50er- und 60er-Jahren eins der Zentren der Rassenkonflikte und der Civil Rights Bewegung. Die Handelsgewerkschaft hat sich schon früher stark auf Fragen der Rassengleichheit und -ermächtigung konzentriert. Das Team der RWDSU baut seine Kampagne entsprechend auch auf die Themen der Black Lives Matter-Bewegung auf, denn viele MitarbeiterInnen im Amazon-Lager sind Schwarze, ebenso wie viele GewerkschafterInnen im Organisationsteam.
Im vergangenem Jahr kam während der Pandemie Bewegung in die gewerkschaftliche Organisierung der ArbeiterInnenschaft, insbesondere in den Fleischverpackungsbetrieben und im Lebensmittelhandel, wo die Beschäftigten über den Mangel an Schutzausrüstung und die unzureichende Bezahlung klagten. Die erfolgreiche Unterstützung der Gewerkschaft bei diesen Arbeitskämpfen macht sich nun positiv bei Amazon bemerkbar: „Die Pandemie hat die Einstellung vieler Menschen zu ihren Arbeitgebern verändert“, sagt Stuart Appelbaum, der langjährige Präsident der RWDSU, „Viele Beschäftigte sehen nun den Vorteil, eine gemeinsame Stimme zu haben.“
Auftakt zu einer Organizing-Bewegung?
Der Kampf um die Betriebsratswahl in Bessemer bekommt in den USA viel mediale Aufmerksamkeit sowie auch Solidarität: Die Gewerkschaft der Footballliga NFL erklärte sich solidarisch, und Senator Bernie Sanders schickte einen Stapel Pizzas und twitterte seine Unterstützung für die GewerkschafterInnen: „Sie nehmen es mit mächtigen gewerkschaftsfeindlichen Kräften in einem gewerkschaftsfeindlichen Staat auf, doch ihr Sieg wird jedem/r ArbeiterIn in Amerika zugute kommen. Ich bin stolz darauf auf ihrer Seite zu stehen“, verlautbarte Sanders.
Sogar Präsident Joe Biden erklärte auf Twitter, dass seine Regierung ausdrücklich gewerkschaftliche Organisation sowie freie und faire Wahlen unterstütze. Auch wenn er dabei die Abstimmung bei Amazon nicht ausdrücklich erwähnte, ist das für die Gewerkschaften ein wichtiger Rückhalt, der aufhorchen ließ. Denn seit Roosevelt haben amerikanische Präsidenten die Gewerkschaften nicht mehr explizit ihrer Unterstützung versichert.
Die Gewerkschaftskampagne formiert sich zu einem Zeitpunkt, wo Amazon aufgrund der starken Nachfrage während der Pandemie massiv zusätzliche Jobs geschaffen hat. Der Konzern beschäftigt nun weltweit 1,2 Millionen Menschen, das sind 50 Prozent mehr als noch vor einem Jahr. Bleibt es bei einem solchen Wachstum, so wird Amazon Wal Mart als größten Arbeitgeber in den USA bald überholt haben. Zugleich bedeutet das aber auch verstärkten Druck von unten, sowohl durch die Masse der ArbeitnehmerInnen in Niedriglohnjobs, die auf bessere Arbeitsbedingungen drängen, als auch von Seiten der besser qualifizierten MitarbeiterInnen, denen Themen wie Klimawandel und Umweltschutz ein Anliegen sind. Eine erfolgreiche gewerkschaftliche Kampagne in Alabama könnte bei den Beschäftigten des derzeit boomenden E-Commerce auf große Zustimmung stoßen und so etwas wie eine landesweite Bewegung initiieren, noch dazu in Verbindung mit der aktuellen Anti-Diskriminierungsbewegung der Schwarzen. Für Amazon als Arbeitgeber steht somit viel auf dem Spiel – aber mehr noch für die Beschäftigten: Für sie könnte es in Bessemer ein historischer Sieg werden.