Gewerkschaftsgründung bei Google: Klassenkampf 2.0

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MitarbeiterInnen bei Google haben zu Jahresbeginn eine gewerkschaftliche Vertretung gegründet. Ein bemerkenswerter Erfolg in einer Branche, wo Gewerkschaften stark unterrepräsentiert sind.

Google, mit Hauptsitz im Silikon Valley, ist einer der größten Arbeitgeber im Technologiebereich. Die Stammbelegschaft ist mittlerweile auf über 100.000 Beschäftigte angewachsen, Schätzungen zufolge arbeiten mindestens nochmal so viele WerkvertragsnehmerInnen und ZeitarbeiterInnen für das Unternehmen.

Die Anfang Jänner neu gegründete Gewerkschaft hat sich den Namen Alphabet Workers Union (AWU) gegeben, nach der Alphabet Holding, der Muttergesellschaft von Google. Sie ist Mitglied der Communication Workers of America, einer Gewerkschaft, die die ArbeitnehmerInnen in Telekommunikation und Medien vertritt. Bei ihrer Gründung hatte die Alphabet Workers Union 226 Mitglieder, und sie ist binnen drei Wochen auf über 700 Mitglieder angewachsen – was auf den ersten Blick natürlich immer noch wenig erscheint. Denn damit ist die AWU eine Minderheitsgewerkschaft, sie hat bei weitem nicht genügend Mitglieder, um nach geltendem Recht Tarifverhandlungen führen zu können. Trotzdem gleicht im Silicon Valley diese Gewerkschaftsgründung fast einer Revolution.

Google ist das Unternehmen, für das alle Tech-Freaks arbeiten wollen: wer einen Job bei Google hat, der hat es geschafft. Entsprechend auch die Selbstdarstellung des Konzerns als hipper Arbeitgeber, der alle Wünsche seiner MitarbeiterInnen erfüllt. Stylische Großraumbüros, kostenlose Verpflegung, jede Menge Services am Arbeitsplatz wie z.B. Sportanlagen oder gratis Massagen. Das alte Motto des Unternehmens war: Don’t be evil! (Sei nicht böse). Doch das coole Image hatte in den letzten Jahren gelitten. Skandale, Intransparenz und fehlende Mitbestimmungsrechte führten zu Protesten und nun zur Gründung einer Belegschaftsvertretung.

Gewerkschaften in den USA

In den USA, einer der liberalsten Volkswirtschaften der Welt, haben es Gewerkschaften nicht leicht. Die Mitgliederzahlen sind niedrig, Mitbestimmung im Betrieb, so wie wir sie in Österreich kennen, ist eine Ausnahme. Im Zuge der Arbeitskämpfe bei Amazon in den vergangenen Jahren haben wir in Europa eine Vorstellung vom problematischen Verhalten der US-Arbeitgeber bei Konflikten bekommen. Verhandlungen mit dem Management gestalten sich extrem schwierig, weil Amazon die Rechte der ArbeitnehmerInnen nicht anerkennen will.

Der Wettbewerb und der freie Markt sind das Credo der amerikanischen Wirtschaft. Dieser Zugang prägt auch die Gewerkschaften. Ein Pendant zur Sozialpartnerschaft, wo sich Arbeitgeber und ArbeitnehmerInnen auf Augenhöhe und institutionalisiert begegnen, existiert nicht. Zwei Seiten stehen sich konfliktbeladen gegenüber. Die Gewerkschaften sehen es als ihre Hauptaufgabe, bessere Löhne und Arbeitsbedingungen zu verhandeln, sie befassen sich nur wenig mit Demokratie im Betrieb oder grundlegender Systemkritik. Entsprechend nannte man das auch lange Zeit den „bread and butter unionism“.

Doch bei Google geht es nicht um die Höhe der Einkommen und die Arbeitsbedingungen – und das ist ein weiterer Grund, warum diese Gewerkschaftsgründung ungewöhnlich ist.

Die ProgrammiererInnen und SoftwaretechnikerInnen des Konzerns sind hoch qualifiziert und hervorragend bezahlt, sie haben daher, was ihr Einkommen angeht, keinen Grund zur Klage. Der Median-Lohn beträgt knapp 260.000 Dollar, das sind rund 215.000 Euro.

Das gilt allerdings nur für die Stammbelegschaft. Es gibt daneben eine Gruppe von ArbeitnehmerInnen „zweiter Klasse“ für weniger nachgefragte Tätigkeiten, die an Subunternehmen ausgelagert sind. Eine Strategie, die im Silicon Valley weit verbreitet ist, normalerweise gibt es rund ein Viertel ausgelagerte Arbeitskräfte. Bei Google arbeiten jedoch mittlerweile ebenso viele ZeitarbeiterInnen und WerkvertragsnehmerInnen wie Festangestellte.

Skandale bei Google

Bei Google drangen in den letzten Jahren einige interne Skandale nach außen, die die Belegschaft gegen das Management aufbrachten: Ein führender Entwickler wurde wegen sexueller Belästigung entlassen. Er wurde, wie sich nachher herausstellte, mit einem Golden Handshake von 90 Millionen Dollar abgefertigt, nicht jedoch für sein Fehlverhalten belangt. Auch andere Fälle von sexueller Belästigung in der Führungsebene wurden bekannt, der Konzern versuchte zu vertuschen.

Dann wurde die AI-Forscherin Timnit Gebru entlassen, weil sie Googles Algorithmen Diskriminierung vorwarf und damit an die Öffentlichkeit ging. Großen Unmut erregten außerdem die Projekte ‚Maven’, bei dem künstliche Intelligenz für militärische Drohnen entwickelt werden sollte, und ‚Dragonfly’, ein Projekt, das eine zensierte Version der Google-Suchmaschine für China bauen sollte.

Bereits 2018 forderten MitarbeiterInnen im Zuge von breiten Protesten mehr Transparenz, erweiterte Mitspracherechte und eine Beteiligung an der Unternehmensführung. Das zeigt, dass die hervorragende Bezahlung für die hoch qualifizierten Arbeitskräfte der Branche längst nicht mehr ausreicht. Ein Klassenkampf in neuer Form?

Während es in der Belegschaft schon länger brodelte, engagierte das Management von Google die Beraterfirma IRI, eine jener berüchtigten, aggressiven „Union Busters“. Solche Firmen unterstützen Arbeitgeber in den USA dabei, Gewerkschaften oder Versuche, eine Belegschaftsvertretung zu gründen, mit oft nicht ganz sauberen Mitteln zu unterbinden. Anstatt also den Beschäftigten während der Proteste die Hand entgegenzustrecken, versuchte die Geschäftsleitung, allen Widerstand zu unterdrücken.

Das erklärt auch, warum die Gründung der Alphabet Workers Union im Geheimen verlief und man erst dann an die Öffentlichkeit ging, als man die Konzernleitung vor vollendete Tatsachen stellen konnte.

Don’t be evil

In einem offenen Brief an die New York Times erklärten die Vorsitzende der AWU, Parul Koul, und ihr Stellvertreter, Chewy Shaw, dass sie mittels dieser Gewerkschaftsgründung ihr Unternehmen von Grund auf verändern wollen. Sie verlangen die Rückkehr zu den Werten, mit denen Google ursprünglich gegründet wurde – Don’t be evil -, denn sie möchten wieder mit gutem Gewissen für ihr Unternehmen arbeiten können.

In dem Brief legen Koul und Shaw dar, warum gute Bezahlung allein längst nicht mehr reicht: Man wolle mit der Technologie, die man entwickelt, auch den eigenen Werten gerecht werden, und nicht Zensur oder militärische Ziele mittragen. Der Geschäftserfolg des Unternehmens müsse außerdem alle Beschäftigten miteinbeziehen, besonders auch jene, die sich aufgrund ihrer Hautfarbe, ihres Geschlechts oder sexueller Präferenz, oder wegen einer Behinderung benachteiligt fühlen.

In ihre Forderungen beziehen sie explizit auch alle „Subcontractors“ mit ein, also jene ArbeitnehmerInnen, die nicht bei Google bzw. Alphabet direkt angestellt sind, sondern über Subunternehmen, Zeitverträge und andere Konstruktionen arbeiten. Sie müssen eine niedrigere Bezahlung, und v.a. auch deutlich schlechtere Rahmenbedingungen bei Krankenversicherung, Karenz, Urlaub, etc. in Kauf nehmen. Für sie ist es nach wie vor notwendig, mittels klassischer Gewerkschaftsarbeit, dem „bread and butter unionism“, Forderungen nach besseren Bedingungen durchzusetzen, mit dem Ziel, sie der Stammbelegschaft gleichzustellen.

Google Schweiz

In Zürich, dem wichtigsten Forschungs- und Entwicklungsstandort von Google außerhalb der USA, wo 4.000 MitarbeiterInnen beschäftigt sind, haben diese bereits im Sommer 2020 einen Betriebsrat gegründet. Dabei wurden sie von der Schweizer Gewerkschaft Syndicom unterstützt.

Auch in der Schweiz stehen Themen wie Transparenz, Mitbestimmung und ethnische Fragen im Vordergrund, auch hier waren umstrittene Projekte wie Maven und Dragonfly der erste Auslöser, der die Beschäftigten in Kontakt mit der Gewerkschaft brachte. Die Beschäftigten fordern mehr Mitbestimmung und eine Demokratisierung der Unternehmenskultur. Ebenso wie in den USA gibt es auch in Europa temporär Beschäftigte in Subunternehmen – doch die arbeiten nicht in der Schweiz, sondern in Ländern wie Polen oder Portugal, wo die Löhne niedriger sind. 

Das Management von Google in der Schweiz hat sich bislang bedeckt gehalten, muss aber zumindest dem schweizerischen Recht gemäß den Betriebsrat als sein Gegenüber akzeptieren.

Solidarische Ziele

Ein wenig anders sieht es da in den USA aus. Die Konzernleitung gibt sich äußerst zurückhaltend. Es ist nicht zu befürchten, dass Google offen gegen die AWU vorgehen wird, da der Image-Schaden zu massiv wäre. Nach der Gründung ließ Google zunächst verlauten, man unterstütze die Rechte der ArbeitnehmerInnen. Aber man werde auch wie bisher direkt mit dem Personal in Kontakt treten. Mit anderen Worten: Der Konzern betrachtet die gewerkschaftliche Vertretung nicht als ihren Gesprächspartner. Vor den neu gewählten BetriebsrätInnen liegt noch ein langer Weg.

Der neue Klassenkampf bei Google wird an seinen Erfolgen gemessen werden: Allein die Gründung der Alphabet Workers Union war ein entscheidender Schritt und als solcher – misst man ihn an den amerikanischen Bedingungen – ein riesiger Erfolg. Den jungen AktivistInnen bei Google muss es gelingen, nicht nur ihre Werte und ethischen Anliegen so weit als möglich durchzusetzen, es müssen auch die ausgelagerten Arbeitskräfte ihren Forderungen Gehör verschaffen können. Das solidarische Ziel muss sein, die vom Konzern etablierte Struktur der Zwei-Klassen-Belegschaft zu überwinden.

Die Macht der MitarbeiterInnen und damit der GewerkschafterInnen bei Google gegenüber dem Management liegt in ihren hervorragenden beruflichen Fähigkeiten. Sie sind schwer zu ersetzen, ein möglicher Verlust dieser hochqualifizierten Arbeitskräfte ist für den Konzern eine echte Bedrohung. Wir werden sehen, was sich mit dieser Verhandlungsmacht erreichen lässt.

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