EU-Abgeordnete Evelyn Regner konnte als Verhandlungsführerin einen Durchbruch für Steuertransparenz in Europa erzielen. Nach jahrelangem Tauziehen um die Richtlinie über öffentliche Konzernberichtspflichten erreichte sie nun eine Einigung. Große multinationale Unternehmen müssen in Zukunft offenlegen, wo sie Gewinne machen und ihre Steuern zahlen.
KOMPETENZ: Worum genau geht es in der Richtlinie über die öffentliche länderspezifische Berichterstattung und warum ist sie so wichtig?
Evelyn Regner: Wenn wir die großen Unternehmen in Europa endlich fair besteuern wollen, brauchen wir als erstes Transparenz, das ist die Voraussetzung für eine grundlegende Reform des europäischen Steuersystems. Die Richtlinie zur öffentlichen länderweisen Berichterstattung – auch oft public Country-by-Country Reporting oder kurz pCBCR genannt – soll diese Transparenz herbeiführen. In der EU tätige Unternehmen mit einem weltweiten Jahresumsatz von mehr als 750 Millionen Euro werden darin dazu verpflichtet, länderweise ihre Steuerinformationen zu veröffentlichen. Dazu gehören die Nettoumsätze und die Nettogewinne, aber auch die Anzahl der MitarbeiterInnen, die gezahlten Einkommenssteuern und nicht ausgeschüttete Gewinne. Diese Offenlegungspflicht gilt auch für Steueroasen.
„In der EU tätige Unternehmen mit einem weltweiten Jahresumsatz von mehr als 750 Millionen Euro werden darin dazu verpflichtet, länderweise ihre Steuerinformationen zu veröffentlichen.“
Evelyn Regner
Alle Mitgliedstaaten der EU benötigen dringend Geld für Investitionen, und zwar für Schulen, für Krankenhäuser, für öffentliches Eigentum, usw. Europaweit sind in den letzten dreißig Jahren die Unternehmenssteuern gesunken, von durchschnittlich über 40 Prozent auf rund 20 Prozent. Diese Steuerausfälle müssen nun einerseits die Klein- Und Mittelbetriebe stemmen, andererseits die ArbeitnehmerInnen. Zugleich machen internationale Multis Riesengewinne, die sie aber in Steueroasen verschieben. Es werden enorme Summen abgesaugt und den Mitgliedstaaten gehen Einnahmen in Milliardenhöhe verloren. Dazu kommt, dass in Folge der Pandemie die Staaten Schulden aufnehmen mussten um Geld in die Wirtschaft zu pumpen. Umso mehr brauchen wir daher jetzt höhere Steuereinnahmen!
KOMPETENZ: Was bringt diese Richtlinie den ArbeitnehmerInnen?
Evelyn Regner: Als Gewerkschafterin sage ich: Es kann nicht so weitergehen, dass wir als ArbeitnehmerInnen immer mehr Steuern zahlen, während Unternehmen nichts beitragen. Die Proportionen von Einkommenssteuern und Gewinnsteuern haben sich stark zu Ungunsten der ArbeitnehmerInnen verändert, und hier müssen wir wieder Gerechtigkeit herstellen. Dazu gehören natürlich auch höhere Vermögenssteuern! Was wir fordern ist eine Offenlegung und Besteuerung der Gewinne. Die neue Richtlinie ist dazu der erste Schritt. Auch höhere Steuern auf große Vermögen werden wir durchsetzen müssen.
Gegen diese Steuern wehren sich nicht nur die börsennotierten Multis, sondern auch die zahlreichen sog. ‚Familienunternehmen’. Viele große Konzerne in der EU sind nach wie vor in den Händen von Privaten, von reichen Clans, in denen der Reichtum seit Generationen vererbt wird. Ich denke da v.a. an Unternehmen wie BMW oder Volkswagen in Deutschland, oder an italienische Unternehmen, die Familien gehören, deren Reichtum bis ins 15. Jhd. zurückreicht. Sie wähnen sich oft über dem Gesetz und versuchen auch, Betriebsräte und Gewerkschaften zu verhindern. Entsprechend wollte Deutschland auch nie Körperschaftssteuern unterstützen, denn diese Familienunternehmen haben dort enormen politischen Einfluss.
„Es kann nicht so weitergehen, dass wir als ArbeitnehmerInnen immer mehr Steuern zahlen, während Unternehmen nichts beitragen.“
Evelyn Regner
KOMPETENZ: Wie genau sieht diese Richtlinie nun aus? Was sind die Kernpunkte der Einigung?
Evelyn Regner: Das wichtigste ist aus meiner Sicht, dass wir überhaupt eine Einigung geschafft haben! Das ist ein Riesenerfolg des Parlaments, und das war Knochenarbeit. Unser Standpunkt – als EU-Parlament – war von Anfang an: Da gibt es nicht nur ein paar schwarze Schafe, die ihre Steuern nicht abführen wollen, das ist in Wahrheit ein System. Wir brauchen Transparenzvorschriften, damit man sehen kann, in welchem Land was und wie viel erwirtschaftet wird. Es muss öffentlich sein, wie viele Beschäftigte ein Unternehmen hat, wieviel Umsatz es macht, und wie viel Gewinn.
Was wir durchsetzen konnten: Unternehmen müssen nun, Land für Land, ihre Daten öffentlich machen. Und zwar nicht nur ihre Daten in Europa, sondern auch für die Länder, die auf der schwarzen und grauen Steuersünder-Liste der EU stehen. Das ist enorm wichtig, denn genau das haben die Panama-Papers gezeigt: Wenn es nicht weltweit überprüfbar ist, dann verschwinden die Gelder der Multis wie Amazon oder Ikea in den Steuersümpfen. Der europäische Rat wollte nämlich für sein Papier ursprünglich nur eine Offenlegungspflicht für Europa, und das hätte nicht ausgereicht.
Was außerdem für uns als GewerkschafterInnen ganz wesentlich ist: Unternehmen müssen auch bekannt geben, wie viele MitarbeiterInnen sie beschäftigen, im Mutterkonzern und in den Töchterkonzernen. Diese Daten sind relevant um sehen zu können, wo prekäre Arbeitsverhältnisse versteckt sind.
KOMPETENZ: Wie verliefen die Verhandlungen?
Evelyn Regner: Äußerst schwierig, denn die Kommission hat uns leider nicht unterstützt. Als der Skandal mit den Panama Papers hohe Wellen schlug, hat das im Parlament aber dann doch sogar etliche EVP-Abgeordnete überzeugt, denn alle waren geschockt, und auch Juncker stand mit dem Rücken zur Wand. Daher hat die Kommission schließlich nachgegeben und einen Auftrag für einen Vorschlag für eine Richtlinie erteilt – hinter dem sie aber selbst nicht stand.
„Was wir durchsetzen konnten: Unternehmen müssen nun, Land für Land, ihre Daten öffentlich machen. Und zwar nicht nur ihre Daten in Europa, sondern auch für die Länder, die auf der schwarzen und grauen Steuersünder-Liste der EU stehen.“
Evelyn Regner
Was unter anderem daran lag, dass die zuständige Kommissarin für Finanzdienstleistungen und Kapitalmärkte, Mairead McGuinness, Irin ist und auf der Bremse stand. Irland ist eine der wichtigsten europäischen Steueroasen und sperrt sich mit allen Mitteln gegen höhere Unternehmenssteuern. Denn natürlich haben viele Mitgliedsstaaten versucht, eine neue Richtlinie zu verhindern. Sehr große Unterstützung habe ich dagegen von vielen NGO’s und auch von den Grünen erhalten, die gemeinsam mit den SozialdemokratInnen für die Richtlinie gekämpft haben.
Das Dossier war seit 2016 blockiert. Wie gesagt, es haben nicht nur etliche Länder zu bremsen versucht, sondern natürlich auch große Multis wie Airbus, VW oder BMW. Auch die deutsche Ratspräsidentschaft 2020 hat eine Einigung verhindert.
KOMPETENZ: Welche Position nahm die österreichische Bundesregierung gegenüber der Richtlinie ein?
Evelyn Regner: Wir SozialdemokratInnen konnten nach Ibiza das Zeitfenster während der ExpertInnenregierung nutzen und im Parlament eine Abstimmung herbeiführen, die zu unseren Gunsten ausfiel. Gegen die Stimmen von ÖVP und Neos waren SPÖ, Grüne und auch FPÖ dafür, dass Österreich seine Position im europäischen Rat ändern und für den Vorschlag zur öffentlichen Konzernsteuererklärung stimmen müsse.
Danach lag das Dossier wieder auf Eis, bis nun wegen der Pandemie-Krise die Staaten dringend mehr Steuereinnahmen benötigten. Die Portugiesische Präsidentschaft war bereit, unser Anliegen zu unterstützen und voranzubringen.
Österreich unter türkis-grün versuchte auszuscheren, trotz des parlamentarischen Beschlusses während der ExpertInnenregierung. Aber das haben wir verhindern können. Finanzminister Blümel musste schließlich einlenken und für die Richtlinie stimmen. Auch Slowenien und Kroatien haben ihre Positionen geändert, daher hatten wir schließlich eine knappe Mehrheit.
KOMPETENZ: Es gab auch kritische Stimmen, dass diese Einigung nicht weit genug geht.
Evelyn Regner: Diese Richtlinie ist – wie jede Einigung – ein Kompromiss, aber ein sehr guter Kompromiss! Wir konnten, wie gesagt, die globale Berichtspflicht durchsetzen, und nicht nur die europaweite. Wir konnten ein gefährliches Transparenz-Schlupfloch schließen, das der Rat unterzubringen versuchte. Die Richtlinie muss bis Ende 2023 umgesetzt werden, und wir haben außerdem eine Überprüfungsklausel drin, die schon in vier Jahren schlagend wird. Damit haben wir die Möglichkeit, die Richtlinie zu prüfen und zu verbessern. So können wir z.B. versuchen, bei der Überarbeitung auch kleinere Unternehmen in die öffentliche Berichterstattung mit hineinzunehmen.
Als Gewerkschafterin sehe ich das so: Wir haben auch seinerzeit den 8-Stundentag oder die sechs Wochen Jahresurlaub nicht auf einmal durchsetzen können, das waren jahrzehntelange und mühsame Verhandlungen, die Verbesserungen kamen in mehreren Etappen. Solche großen Veränderungen brauchen einen langen Atem, und wir sind noch lange nicht am Ende, im Gegenteil! In diesem Sinne ist diese Richtlinie durchaus ein Meilenstein auf dem Weg zu mehr Steuergerechtigkeit.
„Dazu kommt noch eine weitere wichtige Neuerung, nämlich die neu geschaffene europäische Staatsanwaltschaft. Sie kann überprüfen, was mit den staatlichen Corona-Beihilfen passiert, welche Unternehmen betrügen.“
Evelyn Regner
Dazu kommt noch eine weitere wichtige Neuerung, nämlich die neu geschaffene europäische Staatsanwaltschaft. Sie kann überprüfen, was mit den staatlichen Corona-Beihilfen passiert, welche Unternehmen betrügen. Es ist enorm wichtig, dass hier Transparenz herrscht und die europäische Staatsanwaltschaft als Kontrollinstanz fungiert, die den Umgang der Unternehmen mit öffentlichen Geldern genau beobachten kann.
KOMPETENZ: Die Einigung war großer Erfolg, und wie geht es nun weiter?
Evelyn Regner: In vielen Ländern, ganz besonders außerhalb Europas, ist die Armut durch Corona stark gestiegen. Zugleich hat die Pandemie die Reichen reicher gemacht. Eine stärkere Besteuerung der Unternehmensgewinne ist daher weltweit dringend notwendig. Joe Biden als neuer US-Präsident will eine wirtschaftliche Neuausrichtung. Auch die G7 haben mit der globalen Mindeststeuer eine grundlegende Entscheidung in die richtige Richtung getroffen. Ich freue mich, dass hier endlich Bewegung in die Sache gekommen ist! Als nächstes müssen endlich auch die großen Vermögen höher besteuert werden.
Mein Dank gilt dem großen Einsatz der Portugiesen, ihre konstruktive Unterstützung machte die Verhandlungen erst möglich. Hätten wir weiter zugewartet, so hätten wir auf die französische Ratspräsidentschaft 2022 warten müssen. Denn im Herbst ist Slowenien an der Reihe, ein Land, das wenig Interesse an dem Thema hat. Und Frankreich ist leider ein unsicherer Bündnispartner, da Macron, wenn es um Transparenz geht, nach außen hin zwar immer wieder Lippenbekenntnisse ablegt, in Wahrheit aber die Position der Arbeitgeber vertritt. Und die wollen transparente Steuerdaten um jeden Preis verhindern.
Man kann also sagen, diese portugiesische Präsidentschaft war ein ‚window of opportunity’, ein Zeitfenster, das wir genutzt haben. Ich würde mir öfter solche Ratspräsidentschaften wünschen, die vermitteln, die helfen, blockierte oder langwierige Verhandlungen zu einem Abschluss zu bringen. Und was mich wirklich stolz macht und persönlich freut: Zum ersten Mal, seit viel zu langer Zeit, schreiben wir als GesetzgeberInnen den großen Konzernen wieder die Regeln vor und nicht umgekehrt. Es ist der Eindruck entstanden, große Unternehmen können sich ihre Regeln aussuchen und bei der Politik bestellen. Public Country-by-Country Reporting ist erst der Anfang!