Diskussion: Warum durch die Teuerung politische Auseinandersetzungen intensiver werden und wie unsere Gesellschaft dennoch besser werden kann.
Gestiegene Lebensmittelpreise, hohe Mieten und Extremteuerung bei den Energiepreisen – die Menschen leiden unter der massiven Inflation. Im Zuge einer Online-Diskussion der GPA diskutierten ExpertInnen, wie den sozioökonomischen Verwerfungen unserer Zeit begegnet werden kann und was konkret gemacht werden muss, um den Teuerungsschock abzubremsen.
„Ich mache mir ganz große Sorgen“ eröffnete Helene Schuberth, Leiterin der Volkswirtschaftlichen Abteilung im ÖGB, die Debatte. Heute seien die Folgen der monatelangen Untätigkeit von Regierung und EU trotz des „sich abzeichnenden Gaslieferstopps von Russland“ bereits deutlich zu spüren. Es sei zu lange auf Einmal-Maßnahmen gesetzt worden, die noch dazu viel zu spät gekommen seien. „Das rächt sich jetzt.“
Auch Markus Marterbauer, Leiter der Abteilung Wirtschaftswissenschaften in der Arbeiterkammer Wien, bedrückt die weitere Entwicklung von Gesellschaft und Wirtschaft: „Ungleichheit und politische Radikalisierung werden steigen,“ warnt er. Nicht aber ohne auch die Chancen der Situation zu betonen. Doch alles der Reihe nach.
Einkommensverlust “unausweichlich“
Was ist die Ausgangslage? Im September sind wir in Österreich mit einer zweistelligen Inflationsrate konfrontiert, im Jahresdurchschnitt rechnet man mit etwa 8,4 Prozentpunkten – ein Anstieg, den es zuletzt 1975 gab. Zwar seien die Ursachen vielfältig, Marterbauer zufolge aber sei die Hälfte davon auf die hohen Energiepreise zurückzuführen, die unmittelbar mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu tun haben. Zusätzlich sei zu beobachten, dass Unternehmen Kosten über ihre eigenen Zusatzaufwendungen hinaus an KonsumentInnen weitergegeben würden, eine „Gewinnpreisspirale“ so Schuberth. Preisregulierende Maßnahmen hätten die Inflation dagegen abfedern können. Weil diese aber kaum eingesetzt wurden sei ein Einkommensverlust in Österreich “unausweichlich“ – die zentrale Frage sei letztlich, wie dieser verteilt werde.
Die Teuerungen treffe die gesamte Bevölkerung, jedoch nicht in gleichem Maße. Das obere Drittel sei zwar durch hohe Spritpreise betroffen. Man könne vielleicht weniger Geld sparen, müsse aber den Konsum nicht einschränken. Für das untere Einkommensdrittel werde es hingegen existenzbedrohend, hier ringt man damit sich Lebenserhaltungkosten wie Miete oder Heizen leisten zu können.
Österreich solle kein „Almosenstaat“ sein, der gelegentlich Pauschalen verteilt. In drei großen Krisen sei es nicht gelungen das Land langfristig krisensicher zu machen und notwendige Einnahmen für einen starken Sozialstaat zu generieren. Noch heute fließen Übergewinne direkt in die Kassen von Chefs der Energiekonzerne.
Armutsfester Sozialstaat
„Daher müssen wir jetzt ganz klar die Verteilungsfrage stellen“, findet Schuberth. „Ein armutsfester Sozialstaat ist wichtig.“ Aber wie ist der zu erreichen?
Zum ersten mit einer offensiven Lohnpolitik. Sie ist kein Preistreiber, sondern ein Problemlöser, erklärt Markus Marterbauer. Durch höhere Löhne werde die Inflation nicht angetrieben, wie es manche ÖkonomInnen darstellen würden. „Wer von einer Lohnpreisspirale spricht hat keine Ahnung vom österreichischen Lohnverhandlungssystem.“ Ganz im Gegenteil, „Lohnpolitik ist der letzte Bereich wo Sozialpolitik noch funktioniert,“ fügt er hinzu. Das Ziel jeder emanzipatorischen Politik müsse es sein den Armen und Beschäftigten Ängste zu nehmen: Angst nichts zu essen zu haben, im Winter zu frieren…
„Wer von einer Lohnpreisspirale spricht hat keine Ahnung vom österreichischen Lohnverhandlungssystem.“
Markus Marterbauer
Am besten aber seien preissenkende Maßnahmen um die Teuerung abzufangen, erklärt die Ökonomin Helene Schuberth. Allein schon das Aussetzen der Merit Order kann eine Energie-Preissenkung auf ein Drittel schaffen. Die Verordnung bestimme die Einsatzreihenfolgen von Stromproduktionsstätten und den davon abhängigen Strompreis. Durch die Merit Order wird dieser oft vom Gaspreis diktiert, der ungleich höher ist als Strom aus erneuerbaren Energieträgern.
Darüber hinaus wären Steuern, wie die Vermögens- und Erbschaftssteuern zu erhören. „Wir brauchen das Geld für den Sozialstaat,“ sind sich die beiden WirtschaftswissenschafterInnen einig. Zentral sei es aber in der jetzigen Situation die Übergewinne zu besteuern, erklärt Helene Schuberth: Jedes Energieunternehmen, das mehr als 110 Prozent des Gewinnsteigerung erreicht, müsse mit 60 Prozent, ab 130 Prozent mit 90 Prozent besteuert werden. So der Vorschlag von Arbeiterkammer und ÖGB. Das würde 1,5-2,2 Milliarden jährliches Aufkommen für die Allgemeinheit bereit stellen, wie Schuberth vorrechnet. Um die Steuer gleichzeitig klimafreundlich zu gestalten sei ein Abzugsbetrag von bis zu 1,3 Milliarden Euros Investitionen in Erneuerbare Energien einkalkuliert.
Markus Marterbauer hält die Chance auf Verwirklichung der Übergewinnsteuer für „relativ groß. Tatsächlich gibt es kein gutes Argumente dagegen,“ gibt er sich zuversichtlich.
Positive Zukunft
Überhaupt zeichnet der Ak-Ökonom ein optimistisches Zukunftsbild. Das baut auf zwei Faktoren der Machtverschiebung auf: Einerseits drehen sich die Machtverhältnisse am Arbeitsmarkt. Statt eines Mangels an Arbeitsplätzen herrscht aktuell ein Mangel an ArbeitnehmerInnen. Das sei die Chance Standards zu setzen, dass Arbeitslose vom AMS nur mehr an zumutbare und gute Jobs vermittelt werden würden.
Andererseits freut sich Marterbauer die öffentliche Diskussion über OligarchInnen. Die Debatte über zu reiche Menschen in verschiedensten Ländern, die den Gang der Demokratie und Gesellschaft bestimmen könnten sei dringend nötig. Eine solche Diskussione könne den Boden für ein marktwirtschaftliches System bereiten, dem ökologische und ökonomische Grenzen gesetzt werden. „Das kann unsere Gesellschaft besser machen!“