„Die Lasten der Covid-Krise sind ungleich verteilt“

Foto: Daniel Shaked

Der Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit ist für Markus Marterbauer, Chefökonom der Arbeiterkammer, die zentrale Herausforderung bei der Bewältigung der sozialen Folgen der Pandemie. Es gehe darum, Armut zu verhindern und Ungleichheit zu verringern.

KOMPETENZ: Ich möchte zu Beginn Teile eines Tweets zitieren, den Sie kürzlich veröffentlicht haben. Darin heißt es: „Wir brauchen gezielte Maßnahmen: Erhöhung des Arbeitslosengeldes gegen Armut, Ausbildungsplätze, gemeinnützige Jobs für Langzeitarbeitslose, innovative Arbeitszeitverkürzung…“ Sie haben damit auf notwendige wirtschaftspolitische Initiativen gegen die Folgen der Corona-Krise hingewiesen. Sind diese Ansätze auch ein probates Mittel für mehr Verteilungsgerechtigkeit in der Bevölkerung?

Marterbauer: Grundsätzlich ja. Es geht in diesem Eintrag natürlich sehr stark um den Arbeitsmarkt. Aber es gibt eben eine enorme Ungleichheit in der Verteilung der Lasten durch die Covid-Krise – und die mehr als 500.000 Arbeitslosen sind sicher die Hauptbetroffenen. Insofern würde alles, was die Arbeitsmarktsituation verbessert und die Menschen in Beschäftigung oder zumindest in Qualifizierung bringt, auch die Ungleichheiten wieder reduzieren.

KOMPETENZ: Bleiben wir gleich beim Arbeitslosengeld. Eine Erhöhung hätte einen unmittelbaren Verteilungseffekt. Welches Modell schlagen Sie vor?

„Wir wissen, dass bei mehr als der Hälfte jener, die länger als zwölf Monate ohne Beschäftigung sind, eine Armutsgefährdung besteht.“

Markus Marterbauer

Marterbauer: Tatsache ist, dass die arbeitslosen Menschen massive Einkommensausfälle haben und es in der gegenwärtigen Wirtschaftskrise sehr schwer ist, rasch wieder einen Job zu finden. Wenn man das Arbeitslosengeld in einer solchen Situation deutlich anhebt, würde das unmittelbar helfen, diese Einkommensausfälle abzumildern. Außerdem würde die große Gefahr eines Anstiegs von Armut und Armutsgefährdung gebannt. Wir wissen, dass bei mehr als der Hälfte jener, die länger als zwölf Monate ohne Beschäftigung sind, eine Armutsgefährdung besteht.

KOMPETENZ: Auf welches Niveau sollte das Arbeitslosengeld angehoben werden?

Marterbauer: Da gibt es einen gut überlegten Wert, den die Gewerkschaften fordern: 70 Prozent des letzten Nettogehalts. Das würde den Menschen deutlich helfen – und trotzdem wären Anreize gegeben, offene Jobs anzunehmen. Denn das Ziel muss es sein, die Leute in gute Beschäftigung zu bringen und nicht Arbeitslosigkeit zu finanzieren.

KOMPETENZ: Das bringt mich zur nächsten Frage: Für Langzeitarbeitslose ist es mitunter besonders schwierig, am Arbeitsmarkt wieder Fuß zu fassen. Welche Möglichkeiten gibt es vor dem Hintergrund der Covid-Krise?

Marterbauer: Menschen, die länger als zwölf Monate arbeitslos sind, haben es besonders schwer. Deshalb sollte man diesen Leuten gemeinnützige Jobs anbieten. Da geht es einfach darum, einen Einstieg zu schaffen, sinnvolle Tätigkeiten zu übernehmen und in der Folge vielleicht auch wieder am regulären Arbeitsmarkt unterzukommen. Es geht dabei um gute gemeinnützige Jobs, die kollektivvertraglich abgesichert sind. Im Wesentlichen gibt es zwei Schienen: Die Gemeinden könnten Leute für ein, zwei Jahre anstellen, um etwa in Alten- und Pflegeheimen mitzuhelfen. Außerdem haben wir gemeinnützige Vereine, denen vielfach die personellen Ressourcen fehlen. Die Personalkosten würden von der öffentlichen Hand übernommen.

KOMPETENZ: Ein anderer, wesentlicher Ansatz aktiver Arbeitsmarktpolitik ist die Qualifizierung. Für welche Gruppen wäre das in Zeiten mangelnder Arbeitsplätze besonders sinnvoll?

Marterbauer: Da möchte ich zwei Gruppen erwähnen: Zum einen die Jugendlichen, die jetzt zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt erstmals versuchen, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Es kann nicht sein, dass sie aufgrund der Covid-Krise auf der Straße stehen. In diesen Fällen wäre es sinnvoll keine Jobgarantie, sondern eine Ausbildungsgarantie zu geben. Die Palette reicht von der überbetrieblichen Lehrwerkstätte über die weiterführende Schule bis hin zur Fachhochschule. Die öffentliche Hand hat es im wahrsten Sinne des Wortes in der Hand, hier zusätzliche Plätze zu schaffen. Zum anderen gibt es eine zweite große Gruppe von Leuten, die in der Covid-Krise in Branchen arbeitslos geworden sind, wo die Jobaussichten mittelfristig schlecht bleiben. Ich greife jetzt exemplarisch den Tourismus heraus. Niemand erwartet, dass wir hier auf Sicht das Beschäftigungsniveau aus dem Jahr 2019 erreichen. Es ist also notwendig, diese Menschen in Zukunftsbranchen zu qualifizieren – Bereiche wie Pflege, Gesundheit, Bildung, klimarelevante und digitale Berufe. 

KOMPETENZ: Die aktive Arbeitsmarktpolitik ist ein Instrument hin zu mehr Verteilungsgerechtigkeit. Welche Akzente bräuchte es in der Steuerpolitik – Stichwort: Vermögenssteuern?

Marterbauer: Für uns spielen Vermögenssteuern eine sehr große Rolle – aus zwei Gründen: Erstens, weil sie den Ausbau des Sozialstaates in Richtung Pflege, bessere Bildung, Gesundheit etc langfristig finanzieren können. Zweitens sind Vermögenssteuern das mächtigste Instrument, um ein Hauptproblem der Ungleichheit in Österreich zu bekämpfen: die Vermögenskonzentration mit ihren gefährlichen Auswirkungen auf Demokratie und gesellschaftliche Stabilität.

„Also mir ist es völlig unerklärlich, warum es in Österreich keine Erbschaftssteuer gibt. Dafür gibt es kein sachliches Argument.“

Markus Marterbauer

KOMPETENZ: Was wäre ihre Lieblingssteuer?

Marterbauer: Also mir ist es völlig unerklärlich, warum es in Österreich keine Erbschaftssteuer gibt. Dafür gibt es kein sachliches Argument. Wobei das nicht ausreichen würde. Wir bräuchten auch klassische Vermögenssteuern, um dem Problem der Vermögenskonzentration zu begegnen.

KOMPETENZ: Bei der Erbschaftssteuer war die Akzeptanz in der Bevölkerung bislang enden wollend…

Marterbauer: Es ist tatsächlich so, dass Erbschaftssteuern laut Umfragen weniger beliebt sind, als Vermögensbestandssteuern. Ich denke, das hat auch damit zu tun, dass bei Erbschaften Dinge wie der Tod eines Angehörigen und entsprechend familiäre Bindungen mitschwingen. Das macht das ganze Thema emotional schwieriger. Kleine und mittlere Erbschaften kann man leicht durch Freibeträge von der Besteuerung ausnehmen. Es geht um die Vererbung großer Vermögen. Was die Vermögenssteuer angeht, so brauchen wir ein progressives Modell. Der Vorschlag der Arbeiterkammer sieht einen Freibetrag für die erste Million vor – egal wie hoch das Vermögen ist. Dann kommt ein Stufenaufbau bis hin zu vier Prozent Steuer ab einer Milliarde. Das können sich jetzt wahrscheinlich ohnehin nur die wenigsten vorstellen. Aber wir haben rund 40 Milliardäre in Österreich. Und da das Vermögen so stark beim obersten Prozent konzentriert ist, bringen auch solche Modelle zwischen sieben und neun Milliarden pro Jahr. 

KOMPETENZ: Vor dem Hintergrund der Corona-Krisen-Bewältigung kann man den Eindruck bekommen, dass wir vor einer großen Auseinandersetzung stehen, wie die Gesellschaft danach ausgerichtet werden soll. Da geht es um die hohe Staatsschuld und erste Rufe nach dem Sparstift genauso wie eben um das Thema Verteilungsgerechtigkeit. Wie ist dieser Spagat zu schaffen?

Marterbauer: Neoliberale machen die angeblich untragbar hohe Covid-Staatsschuld zum Thema. Das dient aber nur dazu, die Krise zu nutzen, um  Kürzungen im Sozialstaat zu erreichen. Das hat einen politischen Hintergrund, keinen sachlichen. Um die Krise zu bewältigen, muss nicht gespart, sondern vor allem investiert werden – etwa im Klimabereich oder in die Pflege. Und es wird darum gehen, die Massenarbeitslosigkeit zu bekämpfen. Wenn das nicht gelingt, haben wir ein riesen Armutsproblem und dramatisch zunehmende Ungleichheit in der Gesellschaft. Mittlerweile kennt jeder und jede jemanden, der von der Covid-Krise betroffen ist, aber eben nicht nur gesundheitlich. Die gesellschaftlichen Probleme werden wie durch ein Brennglas sichtbar. Ich bin optimistisch, dass die Verteilungsauseinandersetzungen gut ausgehen: Armut kann verhindert, Ungleichheit verringert werden.

Zur Person

Markus Marterbauer, geb. 1965 in Schweden, ist Ökonom. Er forschte zunächst am Institut für Volkswirtschaftstheorie und -politik der Wirtschaftsuniversität Wien und war dann als Konjunkturreferent am  Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) tätig. Seit 2011 leitet er die Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik der Arbeiterkammer Wien. Marterbauer arbeitet vor allem zur Budgetentwicklung und Fiskalpolitik Österreichs sowie zu Fragen der Einkommenspolitik und Umverteilung.

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