Der Gender Pay Gap – die Einkommensschere zwischen Frauen und Männern – ist ein inzwischen bekanntes Phänomen, auf das die Gewerkschaften kontinuierlich hinweisen. Doch Frauen sind bis heute nicht nur in der Arbeitswelt benachteiligt.
Wie die britische Journalistin und Autorin in ihrem nun auch auf Deutsch erschienenen Buch „Unsichtbare Frauen“ anprangert, gibt es auch einen massiven Gender Data Gap.
Seit Jahrtausenden werde der Mann als Prototyp des Menschen gesehen. Das habe massive Auswirkungen bis heute. Stichwort Medizin: Frauen fehlen nicht nur immer noch in vielen Anatomie-Lehrbüchern, sie fehlen auch in medizinischen Studien. Das hat gravierende Auswirkungen: Manche Erkrankungen kündigen sich bei Frauen und Männern unterschiedlich an – wie etwa der Herzinfarkt. Aber auch viele Medikamente wirken bei Frauen und Männern anders. Beispielsweise wirken bei Frauen (mit männlichen Probanden entwickelte) Blutdrucksenker nicht so gut. Grundsätzlich gibt es für Frauen die Gefahr der Überdosierung – auch Chemotherapeutika arbeiten mit geschlechtsneutralen Dosierungen.
Der Mann als Standard: das zeigt sich bei Produktentwicklungen auch außerhalb der Medizin. Die Tastatur eines Klaviers ist auf die Handgröße und damit auch Fingerspannweite von Männer ausgerichtet. Daher ist es für Frauen auch nahezu unmöglich, in die Liga der Top-Pianist*innen aufzusteigen. Und jene, die es schaffen, sie haben große Hände, wie Criado-Perez recherchierte. Aber auch ein Gegenstand, der aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken ist, orientiert sich an der durchschnittlichen Handgröße von Männern: das Smartphone. Die Bildschirme werden immer größer designt – die Geräte würden dadurch für viele Frauenhände aber zu groß.
Criado-Perez führt in ihrem Buch zudem vor, dass sich mit der zunehmenden Digitalisierung und der immer größer werdenden Wichtigkeit von Daten das Ungleichgewicht noch vergrößere. Algorithmen basieren auf Daten, doch wenn nur Daten von Männern verwendet würden, passe der Algorithmus auf Männer, aber eben nicht auf Frauen. Beispiel Sprachsteuerung: diese funktioniere mit Frauenstimmen schlechter als mit tieferen Männerstimmen. Das führe dazu, dass Spracheingaben von Frauen schlechter erkannt werden als jene von Männern. Doch bei immer mehr Geräten komme Sprachsteuerung zum Einsatz. Passiere das in einem Operationssaal, könne das verheerende Folgen haben.
Manches Mal sind aber auch Studien, die Unterschiede zwischen Männern und Frauen aufzeigen, verzerrt. Ein Beispiel aus der Arbeitswelt: „Moderate Arbeitszeiten“ (41 bis 50 Wochenstunden) sind bei Männern „verbunden mit einem geringeren Risiko für Herzerkrankungen, chronischen Lungenerkrankungen und Depressionen“. Im Gegensatz führen solche Arbeitszeiten bei Frauen jedoch zu einem „alarmierenden Anstieg“ lebensbedrohlicher Krankheiten, darunter Herzerkrankungen und Krebs. Das Risiko von Frauen, diese Krankheiten zu bekommen, steige jenseits einer Arbeitszeit von 40 Stunden pro Woche. Arbeiten sie 30 Jahre lang mehr als 60 Wochenstunden, verdreifache sich dieses Risiko.
Sieht man näher hin, zeigt sich aber: schaut man sich nur die Menschen – Männer und Frauen – ohne Betreuungs- und Versorgungspflichten an, gibt es einen wesentlich geringeren Unterschied zwischen den Geschlechtern. Es ist also nicht die bezahlte Mehrarbeit, die Frauen belastet, sondern die bezahlte Mehrarbeit zusätzlich zur unbezahlten Arbeit. Weltweit werden übrigens 75 Prozent der unbezahlten Arbeit von Frauen verrichtet. Frauen bringen damit zwischen drei und sechs Stunden täglich zu – Männer nur 30 Minuten.
Criado-Perez führt in „Unsichtbare Frauen“ Fakten um Fakten an, die belegen, dass wir immer noch in einer auf Männer ausgerichteten Welt leben. Ein erster Schritt wäre, sich darauf zu besinnen, dass es eben zwei Geschlechter gibt und der Mann nicht der Standard-Mensch ist. Bitter ist, dass die heutige Welt, die vieles auf Grund von Daten steuert und entscheidet, diesen Gender Gap sogar noch vergrößert.
Caroline Criado-Perez:
Unsichtbare Frauen. Wie eine von Daten beherrschte Welt die Hälfte der Bevölkerung ignoriert
London 2019, 2020 in deutscher Übersetzung bei btb/Verlagsgruppe Random House
496 Seiten
Euro 15,50,
ISBN 978-3-442-71887-0