Jessica Lutz ist seit vielen Jahren im Einkauf tätig, zunächst beim Textilhersteller Wolford, wo sie auch die Lehre zur Bürokauffrau absolvierte, seit 2006 bei Blum, wo Metallbeschläge für die Möbelindustrie hergestellt werden. Da wie dort war und ist sie auch gewerkschaftlich aktiv.
Im Familienbetrieb Blum mit 6.500 MitarbeiterInnen in Vorarlberg und 8.000 weltweit ist sie stellvertretende Vorsitzende im Betriebsrat. Die bessere Vereinbarung von Beruf und Familie und eine gute Work-Life-Balance sind ihr dabei besondere Anliegen.
Jessica Lutz hat sich als Jugendvertrauensrätin, Betriebsratsmitglied und Gewerkschafterin schon für viele Dinge eingesetzt: sieht man sich diese näher an, hat es oft damit zu tun, dass sich Menschen ihre Arbeit besser einteilen und damit ein selbstbestimmteres Leben gestalten können. Als Jugendvertrauensrätin bei Wolford machte sie sich neben der Erhöhung Lehrlingsentschädigung vor allem für flexiblere Arbeitszeitgestaltung ein. „Da ging es zum Beispiel darum, dass auf Bus- und Bahnfahrpläne Rücksicht genommen wurde. Es ist schwer, pünktlich um sieben Uhr zu arbeiten zu beginnen, wenn der Zug um 6.55 Uhr am Bahnhof eintrifft und man noch zehn Minuten zum Arbeitsplatz geht.“
Zeit oder Geld
Bei Blum wiederum wurden für die Angestellten im Verwaltungsbereich die Kernzeit aufgehoben. Zuvor mussten alle zu bestimmten Zeiten am Vor- und Nachmittag anwesend sein. Ältere ArbeitnehmerInnen freuen sich, dass sie anlässlich eines Dienstjubiläums inzwischen wählen können, ob ihre langjährige Betriebszugehörigkeit mit Geld oder Zeit gewürdigt wird. „Die meisten sind sehr froh, dass sie nun auch Zeit bekommen können.“
Aber auch im Produktionsbereich, wo sowohl ArbeiterInnen als auch Angestellte tätig sind, sind die Schichtmodelle nicht mehr so starr wie einst. Es gebe zwar weiterhin drei Acht-Stunden-Schichten, doch bemühe sich das Unternehmen um eine bessere Abstimmung und Koordinierung, sodass die MitarbeiterInnen mehr Möglichkeiten haben, flexibel zu sein und ihr Leben außerhalb der Arbeit besser zu gestalten. ArbeitnehmerInnen werde dadurch ermöglicht, sich neben der Schicht beispielsweise auch bei der Kindererziehung einzubringen oder sich in einem Verein zu enagagieren. „Da haben wir in den letzten zehn Jahren einen großen Schritt vorwärts gemacht.“
Stark verbessert habe sich in diesem Zeitraum auch die Möglichkeiten für Frauen, nach der Babykarenz wieder ins Unternehmen zurückzukehren. „Vor mehr als zehn Jahren war dieses Thema noch eine Katastrophe. Heute läuft das tadellos.“ Jene, die wieder in den Beruf einsteigen möchten, erhalten eine vergleichbare Tätigkeit. „In 99 Prozent können sie sogar in dieselbe Abteilung zurückkehren.“ Letzteres klappe nur in jenen Fällen nicht, wo der Posten mit einer Vollzeit-Kraft besetzt werden muss.
„Arbeitszeitmodelle sollen so gestaltet werden, dass der Alltag nicht leidet.“
Jessica Lutz
In der GPA, wo sie in Vorarlberg Frauenvorsitzende ist, setzt sich Lutz vor allem für eine gelungene Work-Life-Balance ein. „Arbeitszeitmodelle sollen so gestaltet werden, dass der Alltag nicht leidet.“ So müsse es etwa möglich sein, Stunden nachzuholen, wenn man in der eigentlichen Arbeitszeit einmal für die Kinder da sein müsse. „Bei uns bei Blum ist es zum Beispiel so, dass am Freitag in der Verwaltung größtenteils um 12 Uhr Schluss ist. Dann darf es kein Problem sein, wenn die Mutter dennoch am Nachmittag im Home Office weiterarbeitet und sich in dieser Zeit vielleicht der Vater um die Kinder kümmert.“ So könnten dann auch Frauen auf mehr Stunden Wochenarbeitszeit kommen und ihre Arbeit erledigen. Stichwort Home Office: dazu sei bei Blum vom Betriebsrat schon vor der Coronazeit eine Betriebsvereinbarung erreicht worden.
„Bei uns bei Blum ist es zum Beispiel so, dass am Freitag in der Verwaltung größtenteils um 12 Uhr Schluss ist. Dann darf es kein Problem sein, wenn die Mutter dennoch am Nachmittag im Home Office weiterarbeitet und sich in dieser Zeit vielleicht der Vater um die Kinder kümmert.“
Jessica Lutz
Die Pandemiesituation begann zwar mit einem Schreckmoment, erzählt Lutz. Der chinesische Markt ist als erstes weggebrochen, überall wurden immer mehr Möbelhäuser geschlossen: da gab es keinen Bedarf an Beschlägen oder Führungen für Küchenladen und die Auftragsbücher waren leer. Die MitarbeiterInnen wurden in einen zweiwöchigen vorgezogenen analogen Betriebsurlaub geschickt, dieser wurde dann um eine weitere Woche verlängert. „Wir wussten nicht, wie es danach weitergehen sollte.“ Doch dann kamen wieder Aufträge und nach und nach stellte sich heraus, dass die Baubranche stark blieb. „Und wo viel gebaut wird, da werden auch Küchen und Möbel gebraucht. Ich bin sehr froh, dass sich das zu unseren Gunsten gewendet hat.“ So gab es bei Blum schließlich keine Kündigungen.
Für mehr Frauen in der Technik
Die MitarbeiterInnenstruktur bei Blum ist übrigens männlich dominiert: von den 6.500 Beschäftigten in Österreich, die in acht Werken arbeiten, welche sich in einem Umkreis von nur zwölf Kilometern in Vorarlberg befinden, sind nur zwölf Prozent Frauen. Und sie arbeiten weniger in der Produktion, sondern vor allem im kaufmännischen Bereich, wie auch Lutz selbst. Sie ist für die Beschaffung von Materialien für das Marketing zuständig – also Drucksorten aller Art von Flyern bis zu umfangreichen Broschüren.
„Natürlich ist es mir ein Anliegen, dass mehr junge Frauen auch in technischen Bereichen tätig werden – wir haben im Metallbereich den stärksten Kollektivvertrag!“, sagt sie. Es gebe bei Blum auch ein tolles Lehrlingsmarketing, „aber wenn sich die jungen Frauen schlussendlich nicht für die Technik interessieren, kann man sie auch nicht herzaubern“. Woran das liege? „Es muss das Interesse an der Technik einfach da sein, sonst ist es schwierig. Ich selbst habe mich damals für eine kaufmännische Lehre entschieden und bereue das bis heute nicht. Wenn es um das Finanzielle geht, kann ich jeder jungen Frau eine technische Ausbildung empfehlen, aber man man muss sich auch für diese Ausbildung interessieren.“
„Wenn ich Frauen in der Führungsebene habe, würde sich auch viel im Bereich Work-Life-Balance ändern. Wenn das aber starr bleibt, weil alle Führungskräfte 100 Prozent arbeiten, wird sich da wenig ändern.“
Jessica Lutz
Die Lehrlingsausbildung bei Blum ist stark nachgefragt und fast schon als Firma in der Firma organisiert. Beinahe 1.000 Jugendliche kommen hier Jahr für Jahr zum Schnuppern, rund 100 Lehrlinge beginnen hier jedes Jahr eine von neun angebotenen Lehrberufen. Derzeit werden insgesamt 360 Lehrlinge beschäftigt, sie lernen in Lehrwerkstätten, gehen aber auch in die Produktion, um die Abläufe gut kennenzulernen. „Da braucht es also dann auch Ausbildner vor Ort.“ Wie gut das Ausbildungsmodell funktioniere, zeigen die Erfolge, welche die Blum-Lehrlinge immer wieder bei den World Skills, den Berufsweltmeisterschaften, erzielen. Und, da freut sich Lutz dann doch, bei den Lehrlingen betrage der Frauenanteil inzwischen schon über 20 Prozent.
Kampf gegen den Gender Pay Gap
Damit die jungen Frauen es einmal besser haben als ihre älteren KollegInnen, setzt sich Lutz für eine Verringerung des Gender Pay Gap und eine Erhöhung des Frauenanteils in Führungspositionen ein. Sie sieht dadurch auch ein anderes Ziel als besser erreichbar: „Wenn ich Frauen in der Führungsebene habe, würde sich auch viel im Bereich Work-Life-Balance ändern. Wenn das aber starr bleibt, weil alle Führungskräfte 100 Prozent arbeiten, wird sich da wenig ändern.“
„Ich stehe voll hinter der von der GPA geforderten Millionärssteuer“
Jessica Lutz
Änderungen wünscht sich Lutz auch im Steuersystem. Die Coronakrise habe ein großes Loch in den Staatshaushalt gerissen, das könne nun nicht nur von den ArbeitnehmerInnen gestopft werden. Lutz plädiert hier dafür, Vermögende zur Kasse zu bitten. „Ich stehe voll hinter der von der GPA geforderten Millionärssteuer“, sagt sie. Das könnte Einnahmen von fünf Milliarden Euro jährlich bringen.
Sei das aber vereinbar mit der Fraktion, der sie angehört – der Fraktion christlicher GewerkschafterInnen (FCG)? Es gehe ja nicht darum, die Steuern für Unternehmen zu erhöhen, das wäre tatsächlich problematisch, weil diese Arbeitsplätze schaffen und halten. „Aber mit einer Millionärssteuer würden eben nicht die Unternehmen belastet, sondern die Eigentümer mit ihren Privatvermögen. Und damit habe ich als FCG-Vertreterin überhaupt kein Problem.“ Als FCG-Vertreterin trete sie übrigens auch für den arbeitsfreien Sonntag ein. Dieser sei ebenfalls ein wichtiger Baustein für eine ausgewogene Work-Life-Balance.
Zur Person:
Jessica Lutz, geb. 1986 in Bregenz, nach dem Pflichtschulabschluss ab 2001 Bürokauffrau-Lehre beim Textilhersteller Wolford, nach dem Lehrabschluss bis 2006 im Einkauf tätig. Schon in der Lehrzeit Jugendvertrauensrätin. 2006 Wechsel in die Metallindustrie zu Blum, dort bis heute ebenfalls im Einkauf beschäftigt. Zudem stellvertretende Betriebsratsvorsitzende und auch in der GPA aktiv: Lutz ist derzeit Landesfrauenvorsitzende in Vorarlberg, hat einen Sitz im Bundesvorstand und im Bundesfrauenvorstand der GPA und ist im Wirtschaftsbereich zwei von Vorarlberg – das ist die Metallindustrie – die Frauenbeauftragte.