Was ist notwendig, um betriebliche Mitbestimmung auch in Zukunft in einer Arbeitswelt, die sich radikal verändert, sicherzustellen? Mit welchen Trends sind wir konfrontiert? Welche rechtlichen Anpassungen sind nötig? Dazu fand am 15. November eine Betriebsrätekonferenz statt, an der über 250 BetriebsrätInnen vor Ort und via Livestream dabei waren.
Nach Impulsreferaten von ExpertInnen wurde die Konferenz mit einer hochkarätigen Podiumsdiskussion mit RegierungsvertreterInnen und Sozialpartnern abgerundet.
Reform in Deutschland
Kerstin Jerchel von der deutschen Dienstleistungsgewerkschaft ver.di berichtete von Entwicklungen in Deutschland, wo es ein Betriebsrätemodernisierungsgesetz gab, das in ihren Augen aber eher ein „Reförmchen“ als eine echte Reform sei. Das Gesetz nimmt Bezug auf Veränderungen durch die Digitalisierung, etwa was die Erleichterung von Betriebsratswahlen betrifft. Eine der Neuerungen ist die Einrichtung eines Sachverständigen für KI (Künstliche Intelligenz) bei Einführung von neuen Systemen, wobei eine genauere Definition für KI fehlt. Jerchel verwies auf einen ausgearbeiteten Reformentwurf des DGB (Deutscher Gewerkschaftsbund), den man nur umsetzen müsste.
Ist Arbeitsverfassung zukunftsfit?
Susanne Auer-Mayer, Vorständin des Instituts für Österreichisches und Europäisches Arbeitsrecht und Sozialrecht an der WU Wien ging der Frage nach, ob das aus dem Jahr 1974 stammende österreichische ArbVG (Arbeitsverfassungsgesetz) Reformbedarf habe. Sie meinte, dass virtuelle Betriebsversammlungen auch unter den jetzigen Rahmenbedingungen zulässig seien. Grundsätzlich sieht sie das ArbVG nicht „digitalisierungsunfit“, es brauche aber einige Klarstellungen. Generell müsse das Betriebsratswahlverfahren vereinfacht werden. Handlungsbedarf gebe es auch bei den Regelungen zum Homeoffice, bei denen viele Bereiche ausgespart blieben, etwa das Recht auf Nichterreichbarkeit.
Grenzüberschreitende Mitbestimmung
Ralf Götz von der IG Metall beleuchtete den Aspekt der internationalen Betriebsratsarbeit in Zeiten großer globaler Veränderungen. Demokratische Mitbestimmung ist ein Erfolgsmodell für Transformation, denn es lässt sich klar nachweisen: In Unternehmen, in denen Beschäftigte im Aufsichtsrat vertreten sind, gibt es bessere Arbeitsbedingungen und bei zentralen betriebswirtschaftlichen Kennzahlen bessere Ergebnisse. Dennoch entwickeln Unternehmen ständig Strategien, durch veränderte Konzernstrukturen Mitbestimmungsmöglichkeiten zu schwächen.
Grenzüberschreitende Möglichkeiten der Mitbestimmung, etwa über europäische Betriebsräte, würden oft umgangen BetriebsrätInnen könnten ihre Informations- und Kontrollrechte nicht ausüben. Bei Verstößen gegen Regelungen seien in vielen Ländern nicht einmal Sanktionen vorgesehen, meinte Götz: Um Druck auszuüben, müsse man kreativ sein. Manchmal helfe auch nur der Gang vor Gericht. Generell reiche es nicht, sich auf die Gesetzesebene zurückzuziehen. „Wir müssen auch neben den Unternehmen Netzwerke schaffen, um gemeinsam international gewerkschaftlich vorzugehen“ appellierte Götz.
Überwachungssysteme brauchen Mitbestimmung und Schulung
Der Datenschutzexperte Wolfie Christl zeigte Beispiele unfassbarer Möglichkeiten der Überwachung von Beschäftigten (z.B. bei amazon) auf, die entlassen werden, wenn bestimmte, von einem Überwachungssystem aufgezeichnete Leistungsdaten nicht erfüllt werden. Solche extremen Ausformungen seien in Österreich nicht Realität. Dennoch kämen breitflächig Systeme zum Einsatz, die Leistungs- und Produktivitätsdaten sammeln. Betriebe könnten die Daten dazu nutzen, um den Druck auf die ArbeitnehmerInnen zu erhöhen, damit diese ihre Arbeit beschleunigen und um einzelne Gruppen herauszugreifen. „Beschäftigte verlieren zunehmend an Autonomie und werden stark überwacht“, sagte Christl, der im vergangenen Jahr eine umfangreiche Studie dazu veröffentlichte.
Die Möglichkeiten der Betroffenen, den Einsatz solcher Systeme über Betriebsvereinbarungen zu begrenzen, scheitern häufig an fehlenden Ressourcen und am fehlenden Fachwissen über die Programme. Zweifellos seien IT und Datenverarbeitung ein Beitrag zur Erleichterung von Arbeit. Doch wer gestaltet deren Einsatz? Wer profitiert und wer zahlt dafür? Wichtig seien umfassende Informationen über die Systeme. Gut geschulte BetriebsrätInnen sind dabei ein zentraler Faktor.
Breite Zustimmung zu Notwendigkeit betrieblicher Mitbestimmung
Bei einer hochkarätigen Podiumsdiskussion mit GPA-Vorsitzender Barbara Teiber, Arbeiterkammer-Präsidentin Renate Anderl, Arbeitsminister Martin Kocher, Wirtschaftskammer-Generalsekretär und Karlheinz Kopf und der grünen Klubobfrau Sigrid Maurer wurde ein möglicher Änderungsbedarf des Arbeitsverfassungsgesetzes diskutiert. Seitens der VertreterInnen der Regierungsparteien gab es breite Zustimmung zur Notwendigkeit betrieblicher Mitbestimmung, Änderungsbedarf sieht man bei Themen wie Klimawandel und Plattformarbeit. Bei den konkreten Erfahrungen bezüglich Homeoffice wurde auf eine Evaluierung bis zum ersten Quartal 2023 verwiesen. Insgesamt sei die Kooperation mit den Sozialpartnern in dieser Frage sehr positiv gelaufen.
Es darf aber nicht bei Bekenntnissen bleiben, man braucht konkrete Schritte. Die Gewerkschaft GPA forderte daher bessere Bedingungen für Betriebsratsgründungen sowie eine Ausweitung der Anzahl von Betriebsratsmandaten. Barbara Teiber: „Es besteht große Einigkeit, dass die Digitalisierung die Aufgaben von Betriebsräten vielfältiger und schwieriger macht. Daher braucht es auch mehr Betriebsrätinnen und Betriebsräte, um eine möglichst weitgehende betriebliche Mitbestimmung aufrecht zu erhalten.“ Renate Anderl fordert, dass die Verhinderung von Betriebsratswahlen zu einem Offizialdelikt wird.
Mitbestimmung ist Demokratie in der Arbeitswelt
„Sämtlich Befragungen ergeben auch bei jungen Menschen das Bedürfnis nach Mitbestimmung auf Augenhöhe. Wenn Sozialpartnerschaft ernst genommen und geschätzt wird, dann muss sie auch auf der betrieblichen Ebene gut geschützt sein“, so Teiber. „Wir haben noch immer namhafte große Betriebe, die keinen Betriebsrat haben. Auch bei den aktuellen KV-Verhandlungen geht es um Augenhöhe und Respekt. Sozialpartnerschaft darf nicht nur ein Schlagwort sein, wo man klatscht und einander gratuliert. Wir brauchen da auch Unterstützung beim Schließen von gesetzlichen Lücken und Perspektiven“, fasst Teiber zusammen.