„Das ist kein Sprint, sondern ein Marathon!“

Foto: Nurith Wagner-Strauss

Die Angestellten bei Amazon Österreich haben seit Mai erstmals eine Belegschaftsvertretung. Betriebsratsvorsitzender Sebastian Nestorov berichtet vom Weg zu den Wahlen und von den Zielen des frisch gewählten Betriebsratsteams.

Sebastian Nestorov (30) ist Area Manager im Amazon-Logistikzentrum in Wien Simmering. Er arbeitet tagsüber und auch nachts. Seine Schicht beginnt z.B. um 1:30 Uhr und endet um 9 Uhr vormittags. Sein Aufgabengebiet entspricht dem eines Bereichsleiters. Während der Schicht liefern LKWs Pakete von anderen Standorten, die abgeladen werden, aufs Förderband kommen und schließlich in die jeweiligen adressierten Taschen sortiert werden. Diese Verteilzentren sind Teil der sogenannten „letzten Meile“ der Lieferkette, ehe die Zustellung an die Kund:innen erfolgt. 

Der Großkonzern Amazon beschäftigt in Österreich knapp 150 Angestellte sowie rund 600 Arbeiter:innen. Zu den Angestellten zählen Supervisor:innen, Schichtleiter:innen und Bereichsleiter:innen. Sie betreuen jene Mitarbeiter:innen, die in der Halle arbeiten und erledigen auch Aufgaben im Büro. Das Logistiknetzwerk in Österreich umfasst fünf Standorte, davon zwei in Wien, sowie je eins in Großebersdorf (NÖ), Klagenfurt und seit diesem Jahr auch in Premstätten südlich von Graz. 

Nestorov wurde im Mai zum Vorsitzenden des Angestellten-Betriebsrats gewählt. Das engagierte Team aus fünf Betriebsrät:innen hat sich ein klares Ziel gesetzt: „Wir wollen Österreich zu einem besseren und attraktiveren Standort für Amazon machen“, erklärt Nestorov. Aktuell ist die Fluktuation unter den Mitarbeiter:innen hoch. „Deshalb möchten wir uns dafür einsetzen, dass die Kolleg:innen länger bleiben und das Unternehmen als guten Arbeitsplatz betrachten, an dem sie ihre Karriere planen können.“

Planung der BR-Wahl

Es war Nestorovs Idee und Initiative, die Betriebsratswahl in die Wege zu leiten und ein erstes Team zusammenzustellen. „Zu Beginn war es schwierig, an allen Standorten Gleichgesinnte und Unterstützer zu finden“, erzählt er. Aufgrund der hohen Fluktuation unter den Beschäftigten dauerte es eine Weile, bis sich genügend Kandidat:innen für eine Liste zur Betriebsratswahl gefunden hatten. Es war wichtig, einander zu vertrauen und gemeinsam als Team die Wahlen auf die Beine zu stellen. „Du brauchst eine stabile Basis, anders gelingt so ein Plan nicht.“

Betriebsrat Sebastian Nestorov möchte sich dafür einsetzen, dass die Beschäftigten am Arbeitsplatz eine Perspektive erhalten und dann auch länger im Unternehmen bleiben.
Fotos: Nurith Wagner-Strauss

Bereits im Vorjahr gab es erste Kontakte zur Gewerkschaft GPA, die sich in den Monaten unmittelbar vor der Wahl intensivierten. „Unser betreuender Sekretär Werner Rochlitz hat uns beraten und uns während der Wahlvorbereitungen engmaschig begleitet. Es galt, Fristen zu beachten und den korrekten Verlauf einzuhalten. Ohne die Unterstützung der GPA hätten wir diese Wahl wahrscheinlich nicht geschafft.“

Was leistet ein Betriebsrat?

Einen Betriebsrat von Grund auf neu aufzubauen braucht Zeit. Nestorovs Mantra lautet daher: „Das ist kein Sprint, sondern ein Marathon!“ Für alle Beteiligten ist es eine neue Situation, die vor allem umfassende Informationen für die Kolleg:innen im Betrieb erfordert: Was macht ein Betriebsrat und was kann er leisten? „Wir haben Betriebsversammlungen abgehalten, um alle gut zu informieren. Das braucht einige Zeit und Geduld“, sagt Nestorov.

Wonach fragen die Kolleg:innen? Viele wollen, dass die KV-Einstufungen überprüft werden, ebenso die Arbeitszeiterfassungen und die Auszahlungen der Gehälter, berichtet Nestorov. Daher ist einer der Schwerpunkte die Einstufungen entsprechend dem Spedition- und Logistik-Kollektivvertrag. Auch die Gesundheit ist Thema, denn das Arbeitspensum ist hoch. Hoch ist auch, wie oben bereits erwähnt, die Fluktuation, selbst auf der Management-Ebene. „Die meisten bleiben drei Jahre, wenn ihnen dann keine Perspektive zum Aufstieg oder zur Weiterentwicklung geboten wird, wechseln die Kolleg:innen in ein anderes Unternehmen. Wodurch natürlich viel Know-how verloren geht.“

„Amazon ist sehr um seine Kund:innen bemüht und hat einen ausgezeichneten Service. Wir würden uns wünschen, dass auch die Belegschaft ähnlich viel Aufmerksamkeit erfährt! Zufriedene Mitarbeiter:innen sind letztlich auch produktiver und bleiben länger im Betrieb. Das wäre eine Win-win Situation für alle“, gibt Nestorov zu bedenken.

Aufbruchsstimmung

Auch in den USA, dem Mutterland des Amazon-Konzerns, wurde 2022 von einer Gruppe junger, engagierter Beschäftigter erstmals erfolgreich eine Betriebsgewerkschaft in einem Amazon-Logistikzentrum gegründet: Die Amazon Labour Union (ALU). Chris Smalls, Gründer und Präsident der ALU, lernte Nestorov während seiner Europareise in Wien kennen. 

Betriebsratsgründung

Du denkst auch darüber nach, in deinem Betrieb oder in deiner Filiale einen Betriebsrat zu gründen? Ab fünf dauernd beschäftigten Mitarbeiter:innen habt ihr das Recht, eine Belegschaftsvertretung zu wählen! Deine Gewerkschaft GPA unterstützt dich dabei! Alle Infos zur Wahl und Unterstützung (auch nach der Gründung) erhältst du in deiner Regionalgeschäftsstelle. Für Nicht-Mitglieder ist eine Erstberatung kostenlos!

Mehr zur Betriebsratswahl findest du hier.

Aktuell gibt es viel Austausch mit den Arbeiter:innen im Betrieb, die ebenfalls demnächst ihre Belegschaftsvertretung wählen werden. Nestorov und sein Team freuen sich auf die  Verstärkung. Von den Arbeiter:innen sind rund zwei Drittel direkt bei Amazon angestellt, das verbleibende Drittel sind Leiharbeiter:innen. Die Zustellung an die Kund:innen per Boten ist an Subunternehmen ausgelagert.

Die ersten Monate seit Mai sind für Nestorov jedenfalls positiv verlaufen. „Wir haben uns im Team organisiert“, erzählt er, „Es gab auch bereits die ersten Gespräche mit der Geschäftsführung.“ Auch die Gewerkschaft stand mit Rat und Tat zur Seite. Die Betriebsrät:innen selbst nehmen an Schulungen der Gewerkschaft teil, um sich das notwendige Know-how, insbesondere im Arbeitsrecht, anzueignen.

In einem großen Konzern, der in einer vergleichsweise kleinen Region wie Österreich tätig ist, kann es allerdings eine Herausforderung sein, die richtigen Ansprechpartner:innen zu finden. Oft braucht es viel Zeit, um für Fragen und Anliegen die richtigen Entscheidungsträger:innen zu identifizieren, denn nicht alles wird direkt in Österreich entschieden.  „Aber wir finden unseren Weg und bleiben dran!“, zeigt sich der BR-Vorsitzende zuversichtlich.

Zur Person

Privat ist Sebastian Nestorov ein Familienmensch. Er kommt aus einer großen Familie mit acht Geschwistern, was zu seiner „Leidenschaft, mit vielen Menschen zusammenzuarbeiten und sich gegenseitig zu unterstützen“ beiträgt, wie er sagt. Außerdem ist er selbst Vater einer kleinen Tochter. Seine Freizeit verbringt er am liebsten draußen in der Natur. Er reist gerne um neue Orte zu entdecken. Besonders im Sommer zieht es ihn zum Radfahren, Schwimmen oder zum Wandern in die Berge.

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