Kapitalerträge wachsen schneller als die Wirtschaft. Die Ungleichverteilung steigt weiter an.
Das Wort Steuern bedeutet nicht nur Abgaben, sondern nicht zufällig auch lenken. Indem der Staat Steuern einhebt und damit staatliche Maßnahmen finanziert, greift er lenkend ein und gestaltet Politik. Der Staat kann das in unserem Sinne tun, indem er durch Steuern umverteilt und soziale Ungleichheit verringert. Oder aber der lenkende Eingriff bewirkt das Gegenteil von dem, was wir uns wünschen und erhöht soziale Ungerechtigkeit.
Der französische Ökonom Thomas Piketty analysiert in seinem im Herbst erscheinenden Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ die weltweite Verteilung von Einkommen und Vermögen über einen langen Zeitraum, und kommt dabei zu interessanten Schlussfolgerungen, die die Bedeutung eines umverteilenden Steuersystems unterstreichen. Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren Einkommen und Vermögen in Europa überaus ungleich verteilt. Das Wirtschaftswachstum war gering. Vereinfacht gesagt, gab es wenige Reiche, die von Kapitaleinkünften lebten und viele Arme ohne Besitz und mit kaum Einkommen. Eine Mittelschicht war de facto nicht vorhanden. Die großen Vermögensungleichheiten wurden zwischen 1914 und 1945, durch Kriege, Inflation und Verstaatlichungen verringert. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden zudem in den meisten Industriestaaten neben wohlfahrtsstaatlichen auch steuerliche Maßnahmen eingeführt, die auf eine faire Verteilung abzielten – unter anderem progressive Einkommenssteuern mit Spitzensteuersätzen bis 90 Prozent. Die Kapitalerträge wuchsen nicht stärker als die Wirtschaftsleistung und die Verteilung blieb bis in die 80er-Jahre relativ konstant. Eine breite Mittelschicht entstand, die auch einen angemessenen Anteil am gesellschaftlichen Wohlstand für sich beanspruchen konnte.
Diese Entwicklung hat sich seit den 80er-Jahren umgekehrt. Kapitalerträge wachsen wesentlich schneller als die Wirtschaftsleistung. Dadurch kommt es zu einer kontinuierlichen Umverteilung von Arbeitseinkommen zu Kapitaleinkommen und einem neuerlichen Anwachsen der Ungleichheit. Piketty kommt zu dem dramatischen Schluss, dass wir im 21. Jahrhundert auf eine Verteilungssituation ähnlich der im 19. Jahrhundert zusteuern, in der auch die „besitzende Mittelschicht“ im Schrumpfen begriffen ist und einige wenige immer reicher werden. Der weltweite Steuersenkungswettbewerb bei Gewinn- und Vermögenssteuern hat diese Entwicklung noch begünstigt.
In dieser Situation sind progressive Steuern auf große Vermögen beinahe die zwingende Konsequenz. Denn, dass einige wenige immer reicher werden, stößt vielen Menschen nicht nur in Österreich übel auf. Dass die Dominanz von ererbtem Vermögen den sozialen Aufstieg durch Arbeit und Leistung immer schwieriger macht, spüren die Menschen am eigenen Leib. Reich wird man durch Erben und nicht durch Arbeit.
In der Bevölkerung ist daher die Idee von Steuern auf große Vermögen überaus beliebt. Daran können auch zweifelhafte Studien über Millionäre, die angeblich zum Mittelstand gehören, nichts ändern. Dessen sollte sich auch die Regierung bewusst sein.