Die Arbeit in Österreich ist ungleich verteilt: Während die einen Überstunden machen, steigen die Arbeitslosenzahlen und die Teilzeitquote. Eine gerechtere Verteilung der Arbeitszeit könnte allen was bringen.
Die durchschnittliche Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten liegt bei 42 Stunden pro Woche. Arbeiten die ÖsterreicherInnen zu viel? Im EU-Vergleich sind wir Spitzenreiter mit der zweitlängsten Wochenarbeitszeit. Laut Arbeitsklimaindex der AK Oberösterreich arbeiteten 2014 bereits 34 Prozent der Beschäftigten in ihrer Freizeit, 17 Prozent im Urlaub und 14 Prozent sogar im Krankenstand. Allein im Vorjahr wurden außerdem 270 Millionen Überstunden geleistet. Zugleich erreicht die Arbeitslosigkeit Rekordhöhen. Während immer mehr Menschen gar keine Arbeit haben oder unfreiwillig Teilzeit arbeiten und von ihrem Einkommen nicht leben können, arbeiten andere so viel, dass sie davon krank werden. Denn die arbeitsbedingten Erkrankungen nehmen zu je länger die Arbeitszeit ist.
Die Arbeit ist in Österreich ungleich verteilt. „Die einen häufen Überstunden an und schuften bis zum Umfallen, die anderen sind aus dem Arbeitsprozess ausgeschlossen. Das ist eine absurde Situation, die deutlich macht: Arbeit muss neu und fair verteilt werden“, fordert David Mum, Leiter der Grundlagenabteilung in der GPA-djp. Ein wichtiger Schritt wäre die Reduktion von Überstunden.
Nicht jede Überstunde ist durch neue Arbeitsplätze ersetzbar. „Aber wenn es gelingen würde, ein Drittel der Überstunden – nämlich jene, die regelmäßig anfallen – in mehr Arbeitsplätze umzuwandeln, wären das über 50.000 Vollzeitarbeitsplätze“, rechnet Mum vor.
Überstunden
Als konkrete Maßnahmen gegen den Überstundenwildwuchs schlägt Mum eine Verteuerung vor: „Wir denken, dass Unternehmen, in denen besonders viele Überstunden geleistet werden, dafür einen höheren Beitrag zur Arbeitslosenversicherung leisten sollten, unser Vorschlag wäre ein Euro pro geleisteter Mehr- oder Überstunde.“
Knapp ein Fünftel aller Beschäftigten leisten Überstunden, und zwar durchschnittlich 7,5 Stunden pro Woche. Nicht alle geleisteten Überstunden werden allerdings bezahlt oder durch einen entsprechenden Zeitausgleich mit Zuschlägen abgegolten. Jede fünfte Überstunde bleibt unbezahlt! Der Anteil unbezahlt geleisteter Überstunden liegt übrigens bei Frauen mit 27 Prozent deutlich höher als bei Männern mit 17 Prozent. „Auch wenn Mehrarbeit nicht korrekt abgegolten wird, müsste das konkrete Sanktionen zur Folge haben“, fordert der stv. Bundesgeschäftsführer der GPA-djp, Karl Proyer.
Neue Arbeitszeiten
Faire, moderne Arbeitszeiten haben viele Ansatzpunkte. Je nach Lebensphase und individueller Situation haben ArbeitnehmerInnen ganz unterschiedliche Bedürfnisse. Neben einer Reduktion der wöchentlichen Arbeitszeit sind auch die Ausweitung des Jahresurlaubs – Stichwort: sechste Urlaubswoche – und die Schaffung eines Rechtsanspruchs auf persönlich gestaltbare Auszeiten, z.B. Sabbaticals, ein wichtiges Instrument der Arbeitszeitgestaltung. „In diesem Zusammenhang können die Kollektivverträge eine Vorreiterrolle einnehmen“, fordert Karl Proyer.
Um grundlegende Änderungen herbeizuführen, bräuchte es mehr als nur kleine Schritte. Der große Wurf wäre eine generelle Arbeitszeitverkürzung. „Kurze Vollzeit“, also eine wöchentliche Arbeitszeit von 35 Stunden bzw. der 7-Stunden-Tag, könnte bestehende Arbeitsplätze sichern und neue schaffen. GPA-djp-Vorsitzender Wolfgang Katzian sieht hier großes Potenzial für den Arbeitsmarkt: „Eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 35 Stunden, also um 10 Prozent, würde ein Beschäftigungswachstum von rund 100.000 neuen Jobs bringen.“ Auch der Soziologe Jörg Flecker, der über Trends in der Arbeitswelt forscht, sieht hier den Schlüssel für Lösungen für die Zukunft. Damit könnte man sowohl stressbedingte Erkrankungen deutlich reduzieren als auch die Überstunden und die Teilzeitproblematik in den Griff kriegen.
Unbezahlte Arbeit
Denn es geht nicht nur um die faire Verteilung bezahlter Arbeit, auch die unbezahlte Arbeit (Haushalt und Familie) muss in die Debatte mit einbezogen werden: Frauen leisten rund zwei Drittel der unbezahlten Arbeit und nur knapp 40 Prozent der bezahlten Arbeit – während die Männer nur ein Drittel der unbezahlten, aber dafür zwei Drittel der bezahlten Arbeit leisten. Dieses krasse Missverhältnis rührt daher, dass Paare, sobald sie Kinder haben, die Arbeit anders aufteilen: Sie bleibt ganz oder teilweise zu Hause bei den Kindern, er arbeitet Vollzeit und macht oft noch zusätzlich Überstunden, um ihren Gehaltsausfall zu kompensieren. Und dabei bleibt es dann oft für viele Jahre. Frauen mit Kindern sind zwar häufiger in Beschäftigung als noch vor zwanzig Jahren – aber sehr oft eben nur in Teilzeit. „Österreich ist nicht nur bei den Überstunden Spitzenreiter, auch bei der Teilzeitarbeit sind wir EU weit an zweiter Stelle“, kritisiert David Mum, „das ist praktisch die andere Seite der gleichen Medaille.“
„Um die Arbeitszeitunterschiede zwischen Männern und Frauen überwinden zu können, bräuchte es nicht nur verbesserte Rahmenbedingungen bei der Kinderbetreuung“, sagt Wolfgang Katzian, „Arbeitszeiten sollten auch in bestimmten Lebensphasen den Bedürfnissen angepasst werden, also das, was wir lebensphasengerechte Arbeitszeiten nennen.“ Damit ist gemeint, dass die Arbeitszeit den Bedürfnissen des jeweiligen Lebensabschnitts angepasst werden kann. „Wer Kinder hat oder pflegebedürftige Angehörige, wer sich weiterbilden will oder wer eine längere Auszeit braucht, soll dazu ein Angebot finden“, so Katzian.
Zu viel Arbeit – zu viel Stress
Neben der ungleichen Verteilung der Arbeit müssen auch gesundheitlicher Folgeschäden mit bedacht werden: Mit der Zahl der Arbeitsstunden nehmen die körperlichen wie auch psycho vegetativen Auswirkungen auf die Beschäftigten zu. Besonders drastisch die Auswirkungen langer Arbeitszeiten auf das Unfallrisiko. Häufig treten Schlafstörungen, Rückenschmerzen und Herz-Kreislaufbeschwerden infolge langer Arbeitszeiten auf. In Kombination mit zu kurzen Erholungszeiten sind arbeitsbedingte Erkrankungen vorprogrammiert. „Die Menschen wünschen sich mehr Zeitsouveränität, eine bessere Work-Life-Balance und ausreichend Freiraum für Regeneration und Ausgleich“, ist Vorsitzender Katzian überzeugt. Es geht bei der Verkürzung und Umverteilung von Arbeitszeit nicht nur darum, eine kürzere Normalarbeitszeit für alle durchzusetzen, sondern auch lebensphasengerechte Arbeitszeiten zu ermöglichen. Und schließlich hält Katzian auch an der Forderung der GPA-djp für eine sechste Urlaubswoche fest: „Die derzeitige Regelung, wo die Beschäftigten erst mit einer Betriebszugehörigkeit von 25 Jahren in den Genuss einer sechsten Urlaubswoche kommen, bestraft jene, die öfter den Arbeitsplatz wechseln. Es ist daher allerhöchste Zeit für eine Reform des Urlaubsrechts!“