Die Arbeitszeit muss neu verteilt werden. GPA-djp-Vorsitzender Wolfgang Katzian fordert eine Reduktion von Überstunden, die Verlängerung des Urlaubs und eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 35 Stunden.
KOMPETENZ: Die Wirtschaft fordert, dass die Menschen länger arbeiten, später in Pension gehen und immer flexibler werden. Wie passt das zusammen mit der Realität, die so aussieht, dass immer mehr Menschen durch ihre Arbeit krank werden, lange bevor sie das Pensionsalter erreichen?
Wolfgang Katzian: Wenn wir wollen, dass die Menschen in Zukunft länger berufstätig und dabei gesund, leistungsfähig, motiviert und kreativ bleiben, dann müssen die Erwerbsbiografien in Zukunft anders aussehen. Dann brauchen wir neue Arbeitszeitmodelle, die den ArbeitnehmerInnen mehr Zeit zum Leben lassen, Zeit für Familienleben, Regeneration, Sport oder Weiterbildung sowie Teilhabe am politischen und kulturellen Leben. Männer wie Frauen brauchen mehr Zeit, wenn sie kleine Kinder zu Hause haben oder eine/n Angehörige/n pflegen, ebenso wollen sie vielleicht gegen Ende des Berufslebens langsam weniger arbeiten. Dazwischen kann es Phasen geben, wo Beruf und Karriere wichtig sind und sie gerne viel arbeiten. Ausmaß und Lage der Arbeitszeit entsprechend der jeweiligen Lebensphase selbst bestimmen zu können, kann enorm viel Druck wegnehmen und ganz wesentlich zur psychischen und physischen Gesundheit beitragen. Wenn man davon ausgeht, dass das faktische Pensionsalter in den nächsten Jahren deutlich ansteigen wird, dann kann man von den Menschen nicht mehr erwarten, dass sie alles, was sie noch vorhaben, auf die Pension verschieben. Die Möglichkeit, längere zusammenhängende Auszeiten in Anspruch zu nehmen, wird daher ebenfalls immer wichtiger. Also mehr Flexibilität ja, aber im Sinne der Arbeitnehmerinnen.
KOMPETENZ: Wie kann man in Zeiten mit stagnierendem Wirtschaftswachstum und hoher Arbeitslosigkeit sinnvolle Arbeitszeitpolitik machen?
Wolfgang Katzian: Gerade in Zeiten von wirtschaftlicher Flaute und Rekordarbeitslosigkeit liegt es auf der Hand, dass wir den derzeitigen Weg nicht weitergehen können. Einige leisten Überstunden ohne Ende, arbeiten sich krank und andere haben gar keine Jobs, und das Patentrezept der Arbeitgeber dazu lautet: Mehr derselben wirkungslosen Medizin – also noch mehr arbeiten, am besten jederzeit auf Abruf zur Verfügung stehen. Mit immer weniger Personal soll ein immer größeres Arbeitsvolumen bewältigt werden. Und die ArbeitnehmerInnen, die all das aus Angst vor dem Jobverlust schlucken und oft schuften bis zum Umfallen, sollen dann auch noch später in Pension gehen. Dass diese Rechnung so nicht aufgeht, kann jedes Volksschulkind nachrechnen. Daher muss Arbeitszeit neu und fair unter den ArbeitnehmerInnen verteilt werden. Dazu gehört eine Reduktion von Überstunden genauso wie die Verlängerung des Urlaubs und eine generelle Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 35 Stunden. Auf Sabbaticals und Auszeiten muss ein Rechtsanspruch bestehen. Und wir sagen All-in-Verträgen den Kampf an.
KOMPETENZ: Warum sollten die Arbeitgeber für solche Ideen offen sein?
Wolfgang Katzian: Weniger arbeiten und mehr Zeit zum Leben zu haben, liegt nicht nur im Interesse der Einzelnen. Auch die Unternehmen profitieren davon, wenn die Beschäftigten nicht ausschließlich am Limit arbeiten, sondern ausgeruht zur Arbeit kommen. Permanenter Leistungsdruck und Stress verhindern Kreativität und zerstören Motivation. Wer sich jemals im Morgengrauen Richtung Arbeit geschleppt hat, spät nachts immer noch kein Ende vor Augen hatte und dazwischen ständig wachsenden Zielvorgaben hinterhergehechelt ist, weiß, dass in einer solchen Arbeitssituation die Arbeitsleistung zwangsläufig leidet und man sich früher oder später krankarbeitet. Ein solches Arbeitsumfeld schadet auch den Unternehmen massiv und verursacht Folgekosten, die oft im kurzfristigen Profitdenken nicht mitberücksichtigt werden. Ich bin aber auch Realist genug, dass ich weiß, dass man Arbeitgeber, die ausschließlich betriebswirtschaftlich denken, manchmal zu ihrem Glück zwingen muss.
KOMPETENZ: Welche Maßnahmen sind da zielführend?
Wolfgang Katzian: Unternehmer kann man mit dem Kostenargument am besten überzeugen. Überstunden müssen daher finanziell weniger lukrativ gemacht werden, zum Beispiel durch den sog. Überstundeneuro, der pro geleisteter Überstunde vom Arbeitgeber bezahlt werden muss. Auch All-in-Verträge könnten damit weniger attraktiv gemacht werden, wenn ein entsprechender Pauschalbetrag entrichtet werden muss. Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz müssen schärfer kontrolliert und sanktioniert werden. Vor allem Einkommensdiebstahl – denn nichts anderes ist das Vorenthalten von Mehr bzw. Überstundenabgeltung – muss streng geahndet werden. Werden Entgeltansprüche auf Mehr- bzw. Überstundenabgeltung wiederholt ungebührlich geschmälert, könnte man z. B. die Ansprüche der ArbeitnehmerInnen verdoppeln.
KOMPETENZ: Für all diese Maßnahmen braucht man gesetzliche Regelungen. Wo liegen die Optionen der GPA-djp?
Wolfgang Katzian: Unsere Handlungsmöglichkeiten liegen vor allem in der Kollektivvertragspolitik. Wenn es um Konzepte geht, die gewährleisten, dass individuelle und lebensphasenspezifische Zeitbedürfnisse berücksichtigt werden, kann der Kollektivvertrag eine Vorreiterrolle einnehmen. Das Gestaltungsinstrument der „Freizeitoption“, das 2013 im Kollektivvertrag für die Elektro- und Elektronikindustrie und in weiterer Folge im KV für Bergbau und Stahlindustrie erstmals eingesetzt wurde, stellt in Richtung mehr Zeitautonomie für ArbeitnehmerInnen einen Meilenstein dar. Auch was die Möglichkeit von Sabbaticals betrifft, ist auf Ebene der Kollektivverträge sicher noch einiges machbar. Und wenn es eine breite Umsetzung im Kollektivvertrag gibt, ist es naheliegend, dass dann auch der Gesetzgeber nachzieht, z. B. bei der Wochenarbeitszeit.
Kürzer arbeiten – leichter leben: Unsere Forderungen
• 35-Stunden-Woche
• 6 Wochen Urlaub für alle
• Auszahlung der Überstunden- u. Mehrarbeitszuschläge