Die Finanzkrise hat gezeigt, dass die Entscheidungsmechanismen der EU nicht ausreichen, wenn es darum geht, schnelle und gute Lösungen herbeizuführen. EU-Abgeordnete Evelyn Regner über Finanzkrise und Demokratie.
KOMPETENZ: Das griechische Defizit beläuft sich auf zwei Prozent des europäischen Bruttosozialprodukts. Warum kann das auf europäischer Ebene nicht bewältigt werden?
Evelyn Regner: Das Defizit Griechenlands war bedenklich, explodiert ist es allerdings erst nach Ausbruch der Finanzkrise, die durch die Verantwortungslosigkeit und Gier von Banken, Dachfonds und deren Manager ausgelöst worden war. Die „griechische Tragödie“ ist darauf zurückzuführen, dass die europäischen Regierungen zu spät und zu zögerlich gehandelt haben. Als die Finanzschwierigkeiten von Griechenland bekannt wurden, hat der Europäische Rat nicht entschlossen genug reagiert. Die Gründe dafür sind bekannt: Innenpolitischer Druck auf die Regierungschefs machte es schwer, konsequente Entscheidungen zu treffen. Darüber hinaus kam Griechenland durch den Druck der Finanzmärkte, konkret den Spekulationen auf eine Staatspleite, stark unter Druck.
KOMPETENZ: Was fordert das Europäische Parlament?
Evelyn Regner: Auch bei den Regelungen für die Finanzmärkte verwässern nationale Egoismen die notwendige strenge Regulierung, wie wir sie im Europäischen Parlament so oft vorschlagen. Nun sind durch die Gelder der Europäischen Union die griechischen Banken gerettet worden, die Bevölkerung hat wenig von den Hilfestellungen mitbekommen. Es ist daher nur gut, recht und billig jetzt auch Instrumente zu schaffen, die den Griechinnen und Griechen direkt zu Gute kommen. Ein eigener finanziell gut ausgestatteter Sozialfonds muss nun zum Einsatz kommen. Denn wenn der Staat seinen Aufgaben nicht mehr nachkommen kann, dann besteht die Gefahr, dass die Menschen den Extremisten in die Arme getrieben werden. In Griechenland erleben rechtsextreme Parteien wie etwa die ‚Goldene Morgenröte’ eine Renaissance. Es muss also in unser aller Interesse sein, dass den Menschen geholfen wird und sie sich nicht enttäuscht von Europa abwenden. Darüber hinaus muss man den Griechen auch ausreichend Zeit geben, die notwendigen Reformen umzusetzen.
KOMPETENZ: Braucht Europa mehr supranationale Demokratie?
Evelyn Regner: Ja, denn das ist auch zum Nutzen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Nehmen wir als Beispiel die jüngst von der Kommission vorgestellte europäische Bankenaufsicht. Die großen, systemrelevanten österreichischen Banken agieren grenzüberschreitend. Es ist gut, dass sie von österreichischer Seite kontrolliert werden, dennoch ist das nicht mehr ausreichend und entspricht nicht mehr den Anforderungen unserer Zeit. Kommt eine dieser großen Banken ins Trudeln, weil ein Auslandszweig Schwierigkeiten verursacht, dann hat dies massive Auswirkungen auf die österreichische wirtschaftliche Situation und somit auch auf die Arbeitsplätze. Wir brauchen daher grenzüberschreitende Mechanismen, um rechtzeitig eingreifen zu können. Ähnliches gilt für den Bereich des Lohndumpings. Erst wenn wir gemeinsame Mindeststandards haben, können wir verhindern, dass wir uns gegenseitig unterbieten. Österreich hat bereits ein Lohn- und Sozialdumpinggesetz, aber wir müssen Regelungen etablieren, die für alle in Europa gleichermaßen gelten. Wir müssen verhindern, dass die Staaten in Europa sich bei Sozialstandards unterbieten.
KOMPETENZ: Wie steht es um das Kräfteverhältnis von Parlament, Rat und Kommission: Das Parlament ist die einzig direkt gewählte Institution. Hat es ausreichend Machtbefugnisse?
Evelyn Regner: Das EU-Parlament hat seit dem Vertrag von Lissabon mehr Rechte bekommen, wir können jetzt als Ko-Gesetzgeber bezeichnet werden. In den vergangenen Jahren hat das Parlament auch einiges bewirkt. So wurde beispielsweise die erste Version von SWIFT (Bankdatenaustausch mit den USA) auf Grund datenschutzrechtlicher Bedenken zurückgewiesen und auch, dass das Antipiraterie-Abkommen ACTA nicht in Kraft treten kann, ist auf das EU-Parlament zurückzuführen. Auch in der Debatte um die Finanztransaktionssteuer haben wir Abgeordnete in den vergangenen Jahren Druck aufgebaut und sie immer wieder eingefordert. Der Ball liegt nun bei den Regierungen, das Parlament ist in dieser Frage klar positioniert.
Andererseits aber versucht der Rat oftmals, das Europäische Parlament zu umgehen. Deutlich gezeigt hat sich dies am Europäischen Stabilitäts-Mechanismus (ESM). Hier wurde ein völkerrechtlicher Vertrag von den Regierungschefs der Eurozone geschlossen, der EU-Agenden unmittelbar betrifft, aber nicht dem normalen Gesetzgebungsprozess innerhalb der Europäischen Union unterliegt. Wir Abgeordnete wurden also vor vollendete Tatsachen gestellt und hatten kein Mitspracherecht. Das zu Stande kommen des ESM zeigt auch ein demokratiepolitisches Defizit auf. Wir sind von der Bevölkerung direkt gewählt, können aber bei solchen wichtigen Entscheidungen nicht mitreden.
Was ebenso fehlt, ist ein echtes Initiativrecht des Europäischen Parlaments, wie es auch die nationalen Parlamente haben. Wie bereits beschrieben, haben der Rat und die Regierungen bei der Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise kläglich versagt. Der Grund dafür liegt auch darin, dass der Rahmen der Europäischen Union zu wenig zu Entscheidungen zwingt. Hier brauchen wir ein neues Regelwerk, das dazu führt, dass schnell, effizient und unter Wahrung der Demokratie entschieden werden kann.
KOMPETENZ: Stichwort Gewerkschafts- und Arbeitnehmerrechte: Sind die Gewerkschaften auf gesamteuropäischer Ebene stark genug?
Evelyn Regner: Natürlich stehen die Gewerkschaften einer überwältigenden Masse an InteressensvertreterInnen von der „anderen Seite“ gegenüber, die viel mehr Geld und Kapazitäten haben. Wichtig ist jedoch die Qualität und das Engagement bei der Vertretung der Interessen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und hier leisten die Gewerkschaften ausgezeichnete Arbeit. Was ich kritisiere ist, dass die EU-Kommission in ExpertInnengruppen und Arbeitsgruppen zu viele „Technokraten“ einladen und zu wenig ExpertInnen mit intelligenter politischer Zielsetzung, zu wenig Leute aus den Gewerkschaften, Personen, die realen Probleme sehen und nicht irgendwelche technischen Probleme aufbauschen.