„In Österreich zahlt man zu viele Steuern.“ Das wird von Wirtschaftsliberalen gebetsmühlenartig wiederholt. Doch weniger Steuern bedeutet auch weniger Leistungen durch den Staat.
Der vermeintliche Beweis für die zu hohen Steuern: die hohe Abgabenquote. Diese beträgt in Österreich 43 Prozent. Angeblich wäre es viel besser, wenn sie bei 40 Prozent liegen würde. Die Abgabenquote misst im Wesentlichen das Ausmaß der Steuern und Sozialversicherungsbeiträge als Anteil am volkswirtschaftlichen Gesamteinkommen. Die Abgabenquote liegt in Österreich im oberen Mittelfeld der EU-Staaten. Aber bedeutet das, dass sie auch zu hoch ist? Und welche Auswirkungen hätte eine Senkung der Abgabenquote?
Niemand freut sich über hohe Abgaben. Aber jeder legt Wert auf ein gutes Gesundheitssystem, ein Bildungssystem, das nicht krank gespart wird, und eine funktionierende öffentliche Infrastruktur. All das fällt aber nicht vom Himmel, sondern muss finanziert werden. Wenn nun viele politische Kräfte die Senkung der Abgabenquote auf 40 Prozent fordern, stellt sich die Frage: Was hat es mit dieser magischen Zahl 40 auf sich? Die erzielt man nämlich nur, wenn man die Einnahmen des Staates um 12 bis 14 Milliarden Euro senkt. Und das ginge nicht ohne Kürzungen staatlicher Leistungen.
Vergleich hinkt
Der Vergleich von Abgabenquoten mit anderen Ländern hat wenig Aussagekraft und kann irreführend sein. Länder mit geringeren Abgabenquoten stellen ihrer Bevölkerung auch weniger Leistungen zur Verfügung. So sind etwa die Pensionen in Deutschland halb so hoch wie in Österreich. Ob die niedrigere deutsche Abgabenquote daher erstrebenswert ist, ist sehr fraglich.
Ein Vergleich der Abgabenquoten ohne Vergleich der Leistungen, die öffentlich erbracht werden, ist daher sehr seltsam. Das ist in etwa so aussagekräftig, wie wenn man die Mieten zweier Wohnungen vergleicht, ohne die Wohnungsgröße und Ausstattung zu berücksichtigen. Kostenvergleiche machen nur Sinn, wenn man gleichwertige Leistungen vergleicht. Das passiert aber bei einem Vergleich der Abgabenquote nicht. Die misst nur die Kosten, nicht jedoch den Nutzen.
Den Abgaben steht ein Nutzen gegenüber, von dem wir alle profitieren: Schulen, Kindergärten, das Gesundheitswesen, Unterstützung für Familien, Absicherung bei Krankheit, Arbeitslosigkeit und Alter sowie Infrastruktur wie öffentliche Verkehrsmittel. Das gäbe es nicht ohne öffentliche Finanzierung. Auch die Wirtschaft profitiert von Infrastruktur und dem Bildungssystem.
Wer zahlt den Preis für Kürzungen?
Nicht alle sind auf öffentliche Leistungen angewiesen. Wer sich private Schulen, Kliniken und Fuhrparke leisten kann, hat mit einer Einschränkung öffentlicher Leistungen kein Problem. Daher müsste man vor allem eines wissen, wenn die Abgabenquote gesenkt werden soll: Wem werden Leistungen gekürzt, wer zahlt den Preis und wem werden die Steuern gesenkt, wer profitiert? Hier muss Konkretes genannt werden. Wenn bei der Gesundheitsversorgung, bei den Pensionen oder bei der Bildung gekürzt und zugleich großen Unternehmen die Steuer reduziert wird, ist das ein einseitiges Programm.
Abgabenquote und Wettbewerbsfähigkeit
Eine geringe Abgabenquote bedeutet auch überhaupt nicht, dass die Wirtschaft auf einmal zu florieren beginnt. Die reichen Länder Schweden, Dänemark und Finnland haben höhere Abgabenquoten als Österreich. Bulgarien, Rumänien und Griechenland eine deutlich geringere. Für nachhaltigen wirtschaftlichen Erfolg muss man sich mehr einfallen lassen als Steuersenkungen. Eine niedrige Abgabenquote ist oft sogar schädlich für die Wirtschaft und Wettbewerbsfähigkeit, wenn es an Investitionen in die Bildung und einer strategischen Industriepolitik mangelt. Es zeigt sich, dass es für eine erfolgreiche wirtschaftspolitische Strategie nicht ausreicht, dass sich der Staat zurückzieht und möglichst geringe Steuern einhebt. Der Mangel an öffentlichen Investitionen gefährdet vielmehr die Wettbewerbsfähigkeit.
Abgabenquote und Einkommen
Eine geringere Abgabenquote bedeutet auch nicht automatisch ein höheres verfügbares Einkommen für die Haushalte. Es gibt Länder, in denen die Sozialversicherung nur geringere Basisleistungen bietet und der Gesetzgeber vorschreibt, dass jeder in eine private Versicherung einzahlen muss. Diese Zahlungen scheinen in der Abgabenquote nicht auf, schmälern aber trotzdem das verfügbare Einkommen der Menschen.
Der Vergleich zwischen den EU-Staaten zeigt einen deutlichen Zusammenhang zwischen Abgabenhöhe und einer effektiven sozialen Absicherung gegen Risiken wie Arbeitslosigkeit oder Krankheit, einer gut ausgebauten öffentlichen Infrastruktur, einem hohen Bildungsniveau sowie sozialem Frieden. Ohne hohe Abgabenquote ist all das nicht finanzierbar.
Der Ruf nach Reduktion der Abgabenquote bedeutet daher nichts anderes als einen Rückbau bei Bildung, Pensionen oder Infrastruktur. Für die Mehrheit der Bevölkerung würde das eine Verschlechterung bedeuten. Denn diese staatlichen Leistungen sind es, die die Verteilungsgerechtigkeit in einem Land erhöhen. Privatversicherungen im Gesundheits- und Pensionsbereich sind keine gute Alternative, hohe Verwaltungsausgaben, Kapitalmarktrisiko und Unübersichtlichkeit zeigen, dass diese keine Verbesserung darstellen.
Entscheidend ist außerdem, wie sich die Steuern auf die verschiedenen Gruppen von SteuerzahlerInnen (ArbeitnehmerInnen, Unternehmen und VermögensbesitzerInnen) verteilt. Hier – und nicht bei der Höhe der Abgabenquote besteht Reformbedarf. Arbeit wird in Österreich trotz Steuerreform hoch besteuert, während Erbschaften steuerfrei anfallen und viele Konzerne Gewinne in Steueroasen verstecken.