Tom Schmid und Nikolaus Dimmel wollen mit ihrem Buch den Anstoß zu einem Diskurs geben, der das Gefühl der Machtlosigkeit gegenüber gesellschaftspolitischen Veränderungen verdrängt und im Gegenteil die kritische Öffentlichkeit in die Lage versetzen soll, Türkis-Blau „zu Ende zu denken“.
Gemeint sind alle Auswirkungen der programmatischen Absichtserklärungen und der laufenden Umgestaltungen der Regierung, die massiv in die Zivilgesellschaft und in die Grundfesten unserer Republik eingreifen: die Landschaft der Institutionen wird verändert, die Arbeitnehmervertretungen strukturell geschwächt, verfassungsgesetzlich verankerten Grund- und Menschenrechte abgeschafft.
Um die Tragweite und Tief dieses Umbaus für eine breite Öffentlichkeit greifbar zu machen, wurden namhafte Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Kunst und Kultur um eine Einschätzung der gesellschaftlichen, politischen und ökologischen Konsequenzen gebeten um Handlungsspielräumen für die Gesellschaft aufzuzeigen.
Das Ergebnis sind Augen öffnende Erkenntnisse, die in Worte fassen, was viele Menschen derzeit angesichts der massiven Maßnahmen zum Umbau des Sozialstaates und dem gleichzeitigen Schüren von Ängsten parallel zum Aufbau einer Neidkultur empfinden. „Abwehrmechanismen wie Ignorieren und Schönreden gehören in schwierigen Situationen zum Standardrepertoire der Herrschaft“, erklärt beispielsweise der Schriftsteller Nicolaas de Jongh in seinem Beitrag „Homo Deppus“. Die Assoziation zu salonfähig gewordenen Kommunikationsstrategien drängt sich auf: „Unter Druck verdichtet sich das trügerische Weltbild der Mächtigen sogar dermaßen, dass sich eine absolute Immunität gegenüber Tatsachen herausbildet.“
Die konzeptuelle Klammer aller Beiträge ist die Erkenntnis, dass unsere Demokratie letztlich auf sozialer Inklusion beruht und jede soziale Spaltung den gesellschaftlichen Zusammenhalt – zum Nachteil aller – bedroht. Dazu muss man auch erkennen, dass gegenwärtig viele Kräfte und Bewegungen, die am sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft arbeiten, systematisch ausgehungert und geschwächt werden.
Suchende werden in diesem Buch fündig: Die Spielregeln der aktuellen Politkommunikation, die Gefährdungslagen und Notstände suggeriert um die Basis für weitere sicherheitspolitische Verschärfungen zu legen und den Zugriff des Staates auf die Sphäre des Einzelnen weiter zu verdichten, werden beleuchtet. Die Hintergründe vieler Autoritätsargumente werden ebenso aufgezeigt wie die Motivationen für aktuelle Umverteilungen von unten nach oben und die Schwächung der Arbeitnehmervertretungen.
Die Autoren wollen durch die faktenbasierte kritische Auseinandersetzung mit aktuellen Machtzuständen all jene, die gegen aktuelle Politiktendenzen auftreten wollen, ermutigen in der zunehmenden Diffusion der Analyse nicht zu ermüden sondern neue Kraft zum politischen Widerstand zu schöpfen: Dissens hat im Rahmen einer kritischen Öffentlichkeit eine wichtige Funktion! Für alle, die sich auf dieses Gedankenexperiment einlassen und in den historischen Bezügen teils erschreckende autoritäre Parallelen zur Jetztzeit erkennen, könnte dieses Buch die Sicht auf die Welt verändern.
Zu Ende gedacht.
Österreich nach Türkis-Blau
Nikolaus Dimmel und Tom Schmid (HG.)
Mandelbaum Verlag, Edition kritik & utopie, Wien/Berlin 2018, 20 €
ISBN: 978385476-681-0