Bundesgeschäftsführer Karl Dürtscher zieht ein positives Resümee über die Kurzarbeit und erklärt, warum dieses Modell Vorteile für alle Beteiligten bringt und wie die Sozialpartnerschaft durch die rasche Lösungsfindung in der Krise neu belebt wurde. Ewig könne das Modell allerdings nicht funktionieren.
KOMPETENZ: Wie sieht Ihre Bilanz nach 10 Wochen Kurzarbeit aus?
DÜRTSCHER: Die Kurzarbeit hat den Betrieben eine sinnvolle Perspektive zum Weiterbestand gegeben, viele haben mit Mitte Juni die Chance, wieder mit der Startbelegschaft hochzufahren.
Viele Unternehmer haben ihre soziale Verantwortung gegenüber der Belegschaft wahrgenommen. Sie haben die Menschen nicht dem Arbeitsmarkt überlassen, sondern sie versuchen, mit der Kurzarbeit durch die Krise zu kommen.
KOMPETENZ: Wie funktioniert das?
DÜRTSCHER: In der Kurzarbeit bleiben die betrieblichen Strukturen erhalten, auch das menschliche Know-How und damit die Qualifikationen wandern nicht ab und das hilft dabei, Kündigungen und Personalabbau zu verhindern.
KOMPETENZ: Warum ist die Kurzarbeit als Instrument so erfolgreich?
„Das Modell der Kurzarbeit lohnt sich nicht nur für den einzelnen, sondern auch für die Betriebe und die gesamte Volkswirtschaft.“
Karl Dürtscher
DÜRTSCHER: Wir haben in Österreich eine lange Historie dieses besonderen Arbeitszeitmodells. Bereits während der Wirtschaftskrise 2009/10 hatten wir eine längere Phase der Kurzarbeit, die den Weiterbestand vieler Unternehmen gesichert hat. Damals waren 35.000 Beschäftigte in Kurzarbeit, derzeit sind es rund 1,2 Millionen in 120.000 Betrieben.
Das Modell der Kurzarbeit lohnt sich nicht nur für den einzelnen, sondern auch für die Betriebe und die gesamte Volkswirtschaft. 75 Prozent der aufgewendeten Kurzarbeitsmittel fließen wieder in den Steuer- und Abgabenkreislauf zurück. Ebenso Ziel ist es, die Betriebe in ihrer menschlichen und strukturellen Substanz zu erhalten.
KOMPETENZ: Nutzen alle Unternehmen den maximalen dreimonatigen Rahmen für die Kurzarbeit bis Mitte Juni aus?
DÜRTSCHER: Nein, dort wo die Auftragslage gut ist, gehen manche Betriebe schon jetzt wieder aus dem Modell heraus. Wenn die Betriebsstrukturen erhalten und die Belegschaften großteils gehalten wurden, schafft diese wirtschaftliche Stabilität die Möglichkeit, dass die Betriebe wieder problemlos hochfahren können.
Viele Betriebe bleiben aber die vollen drei Monate in Kurzarbeit, das Geld dafür ist seitens des AMS auch reserviert.
KOMPETENZ: Wie hoch sind die Einkommensverluste für die Menschen?
DÜRTSCHER: Die meisten Beschäftigten bekommen 80 Prozent ihres letzten Nettoentgeltes. Diesen Einkommensverlust kann der Großteil für einige Wochen oder Monate überbrücken, als Dauerzustand wäre es angesichts der steigenden Lebenshaltungskosten aber schwierig.
„Die Nettoersatzrate für die ArbeitnehmerInnen liegt zwischen 80 und 90 Prozent – beim Arbeitslosengeld bei 55 Prozent.“
Karl Dürtscher
KOMPETENZ: Wie sind die Verhandlungen zur Kurzarbeit abgelaufen?
DÜRTSCHER: Wir hatten anfangs eine verzwickte Situation, den Sozialpartnern ist es aber gelungen, sich in einigen produktiven Verhandlungsrunden auf ein taugliches Modell zu einigen. Die Nettoersatzrate für die ArbeitnehmerInnen liegt zwischen 80 und 90 Prozent – beim Arbeitslosengeld bei 55 Prozent. Die Corona-Kurzarbeit ist auch für die Betriebe attraktiver als Modelle in der Vergangenheit: Es gibt höhere Ersatzraten für die Unternehmen, auch ein Teil der Sozialversicherungsbeiträge wird refundiert. Wir haben eine gute, situationsangepasste Überbrückung für die schwierige wirtschaftliche Lage geschaffen.
KOMPETENZ: Klingt, als ob alles rund gelaufen ist. Gab es auch „schwarze Schafe“?
DÜRTSCHER: Die gibt es in jeder Herde. Viele Betriebe haben zu Beginn der Krise die Arbeitsverhältnisse mit der Belegschaft „einvernehmlich“ beendet und eine Wiedereinstellung zugesagt. Aus gewerkschaftlicher Sicht ist das keine gewünschte Form der Krisenbewältigung, das passiert auf dem Rücken der ArbeitnehmerInnen. Zusätzlich stehen wir derzeit vor der großen Herausforderung, all jene, mit denen sogenannte „Aussetzverträge“ gemacht wurden, wieder in den Arbeitsprozess zu integrieren, da die gemachten Zusagen nicht halten.
KOMPETENZ: Was ist das Besondere an dem derzeitigen Modell?
DÜRTSCHER: Die Corona Kurzarbeit gilt drei Monate lang, es gibt eine Verlängerungsoption um weitere drei Monate. Die „normale“ Kurzarbeit geht über sechs Monate, maximal sind 24 Monate möglich. Während dieser Zeiten muss der Beschäftigtenstand im Betrieb aufrechterhalten bleiben, im Anschluss an die Kurzarbeit gibt es eine einmonatige Behaltepflicht.
„Uns war wichtig, möglichst wenige Menschen in die Arbeitslosigkeit abgleiten zu lassen.“
Karl Dürtscher
KOMPETENZ: Sind die Sozialpartner durch die Coronakrise wieder enger zusammengerückt?
DÜRTSCHER: Ich sehe die Zusammenarbeit insgesamt sehr positiv. Wir haben der Regierung gute Vorschläge gemacht und dafür gesorgt, dass eine rasche Lösung zustande gekommen ist. Uns war wichtig, möglichst wenige Menschen in die Arbeitslosigkeit abgleiten zu lassen. Sie müssten dann mit unvergleichlich höherem Aufwand wieder in den Arbeitsprozess integriert werden.
KOMPETENZ: Spüren Sie Rückenwind für die Sozialpartnerschaft?
DÜRTSCHER: Ich habe eine neue Qualität der Zusammenarbeit gespürt. Die Sozialpartner haben gezeigt, dass sie in der Lage sind, innerhalb kurzer Zeit eine passende Antwort auf eine schwierige Situation zu finden. Wir registrieren auch, dass die Zustimmung zu Kammern und Gewerkschaften insgesamt steigt. Viele Menschen haben wahrgenommen, dass wir ein Angebot entwickelt haben, das Ängste nimmt anstatt sie zu schüren und eine Perspektive für die Zukunft schafft. Auch freie Dienstnehmer wurden in die Kurzarbeitsunterstützung mit aufgenommen. Das war für uns ein wichtiges Signal, dass wir diese Menschen gewerkschaftlich unterstützen.
KOMPETENZ: Ist Kurzarbeit das Allheilmittel für Zeiten einer Wirtschaftsflaute?
DÜRTSCHER: Nein, das hält man nicht ewig durch. Kurzarbeit ist gut und geeignet, um eine kurz andauernde Krise zu überwinden. Bei einer längeren Rezession wäre sie kein taugliches Instrument, weil sehr große Aufwendungen anfallen.
KOMPETENZ: Wo gab es Probleme oder Missbrauch?
„Gerade in Homeoffice-Arbeitsverhältnissen wird uns oft berichtet, dass den ArbeitnehmerInnen mehr Stunden abverlangt werden, als eigentlich durch die Kurzarbeit gerechtfertigt wären.“
Karl Dürtscher
DÜRTSCHER: Das ist ein latentes Problem, und leider nicht immer gleich auf den ersten Blick erkennbar. Weil in der Kurzarbeit ein dreimonatiger Durchrechnungszeitraum für die Arbeitszeit gilt, werden wir erst nach drei Monaten verlässlich feststellen können, ob Ausfallsstunden zu Unrecht an das AMS gemeldet wurden. Gerade in Homeoffice-Arbeitsverhältnissen wird uns oft berichtet, dass den ArbeitnehmerInnen mehr Stunden abverlangt werden, als eigentlich durch die Kurzarbeit gerechtfertigt wären.
KOMPETENZ: Welche Branchen sind Ihre Sorgenkinder?
DÜRTSCHER: Im Bereich der Arbeitskräfteüberlassung, im Tourismus und bei den Veranstaltungsbetrieben ist oftmals nur die engste Stammbelegschaft in Kurzarbeit – alle anderen Beschäftigten wurden abgebaut. Das sind unerfreuliche Bedingungen, so was lehnen wir ab.
KOMPETENZ: Sind Wirtschaftskammer und Gewerkschaft in der Krise näher zusammengerückt?
DÜRTSCHER: Die Gewerkschaften sind mit den ArbeitnehmerInnen und den Betrieben näher zusammengerückt. Alleine in der GPA-djp haben die RegionalsekretärInnen und viele andere MitarbeiterInnen seit Mitte März tausende Unternehmen beraten, die sich an die Gewerkschaft gewandt haben, weil die Wirtschaftkammer ihre Beratungskompetenzen offenbar nicht im entsprechenden Ausmaß erfüllen konnte. Auch das AMS war mit der Fülle an Anfragen heillos überfordert. Wir haben überwältigend viele positive und wertschätzende Rückmeldungen bekommen.
KOMPETENZ: Welche Rolle haben die Betriebsräte gespielt?
DÜRTSCHER: Die Betriebsräte haben in der Krise eine wichtige Rolle gespielt, sie haben dabei geholfen, die Kurzarbeitsvereinbarungen an die Erfordernisse des Betriebes anzupassen und die notwendigen Veränderungen mit der Geschäftsführung abzustimmen. Durch die Unterstützung unserer Betriebsräte wurde die Kurzarbeit größtenteils als geordneter Prozess umgesetzt.
KOMPETENZ: Was bleibt von der Krise positiv zurück?
DÜRTSCHER: Ich habe eine Fülle an sozialer Verantwortung erlebt. Vor allem viele Familienbetriebe haben eine sehr positive soziale Kultur gelebt. Zum Beispiel hat sich ein Vorarlberger Beschlägehersteller verpflichtet, trotz Kurzarbeit die Beschäftigten in dieser Zeit weiter mit 100 Prozent zu entlohnen. Ich denke, dass auch die MitarbeiterInnen dieser Betriebe genau wissen, was sie an so einem Arbeitgeber haben, der die Belegschaft nicht gleich bei erstbester Gelegenheit abbaut, sondern mithilft, die Last gemeinsam zu tragen.
Zur Person:
Karl Dürtscher (59) ist seit Juni 2018 Bundesgeschäftsführer der GPA-djp und Chefverhandler für den Metaller-KV und Elektro/Elektronikindustrie KV.