Senad Lacevic, Betriebsratsvorsitzender der Volkshochschulen Wien, erklärt, warum eine Arbeitszeitverkürzung für die Beschäftigten dringlich ist und warum es für MitarbeiterInnen meist ungünstig ist, den Arbeitgeber zu wechseln.
In die aktuellen Verhandlungen zum Kollektivvertrag Erwachsenenbildung ist er mit Ruhe und Übersicht gestartet und will trotz unterschiedlicher Interessenslagen der Angestellten ein gutes Ergebnis für alle erreichen.
Senad Lacevic hat sein Interesse an sozialen Themen schon früh gespürt. Nach der Matura war er zunächst zwar etwas planlos, wusste aber mit Sicherheit, dass er gerne mit Menschen arbeiten möchte. So entschied er sich für ein Studium an der Akademie für Sozialarbeit im zehnten Bezirk in Wien, rückblickend eine goldrichtige Entscheidung: „Viele Fähigkeiten, die ich in der Sozialen Arbeit gelernt habe, helfen mir in meiner Arbeit als Betriebsrat weiter.“ Das Zuhören-Können ist eine wichtige Parallele zwischen den beiden Bereichen: „Viele Probleme, die an mich als Betriebsrat herangetragen werden, erfordern nicht immer sofortiges Agieren. Oft muss man nur richtig zuhören um Probleme zu erkennen, die hinter der Fassade versteckt sind oder um das zentrale Hindernis herausfiltern und benennen zu können.“
Lacevic begann als Sozialarbeiter an der Volkshochschule Ottakring. Gewappnet mit seinen sozialarbeiterischen und menschlichen Erfahrungen begann er dort im Bereich Pflichtschulabschluss für Jugendliche und engagierte sich ab 2005 im Betriebsrat. Neben der Arbeit mit den KundInnen engagierte sich Lacevic immer stärker für die Interessen der Beschäftigten im Betrieb.
Basisfertigkeiten sind für Jugendliche wichtig
Für Lacevic hat der Bildungsabschluss junger Leute eine hohe Bedeutung: „Jugendliche ab 16 Jahren, die aus dem Schulsystem gefallen sind oder den üblichen Abschluss aufgrund eines anderen Hindernisses nicht bewältigen konnten, können bei uns den wichtigen Pflichtschulabschluss absolvieren.“ Auch viele QuereinsteigerInnen und Menschen, die erst im jungen Erwachsenenalter nach Österreich gekommen sind können den Pflichtschulabschluss und vorgelagerte Basisbildungs-Lehrgänge an den Volkshochschulen nachholen.
Lacevic sieht seine Organisation hier als wichtigen Partner in der Initiative Erwachsenenbildung: „Viele SchülerInnen lernen bei uns erst so richtig zu Lernen und haben es dann leichter, sich weitere Fähigkeiten anzueignen.“ Wichtig sind die vorgelagerten Maßnahmen, um die jungen Leute auf das notwendige Niveau für den ersehnten Abschluss zu bringen: „Viele waren nur wenig in der Schule.“
2013 wechselte der junge Sozialarbeiter in die Volkshochschule in den 20. Bezirk um dort die Basisbildung und den Pflichtschulabschluss für junge Menschen aufzubauen. Die Kurse sind ein Erfolgsprogramm und mittlerweile an sieben Volkshochschul-Standorten in der Stadt besuchbar.
Im Jahr 2015 wurde der Hobbyfußballer Betriebsratsvorsitzender der Volkshochschulen Wien, bis zur Nachbesetzung seiner Stelle erledigte er drei Monate lang beide Aufgaben parallel: „Das war sehr stressig. Ich war froh, als ich freigestellt wurde und mich voll auf meine Aufgaben als Vorsitzender konzentrieren konnte.“ Als oberster Vertreter des Angestellten Betriebsrates der Volkshochschulen Wiens vertritt Lacevic aktuell die Interessen von insgesamt 750 MitarbeiterInnen.
Arbeitszeitverkürzung ist das Gebot der Stunde
In dieser Rolle sitzt er derzeit im Verhandlungsteam für den Erwachsenenbildungs-Kollektivvertrag und hat im Namen der rund 10.000 Beschäftigten zwei zentrale Forderungen im Gepäck: eine Arbeitszeitverkürzung und eine spürbare Gehaltserhöhung. Trotzdem diese Anliegen aufgrund der aktuellen, krisenbedingt angespannten Lage am Arbeitsmarkt kühn klingen, kann Lacevic die Dringlichkeit schlüssig argumentieren: „Wir haben in der Erwachsenenbildung eine extrem hohe Teilzeitquote. Eine Verkürzung der Arbeitszeiten würde für die meisten Beschäftigten mehr Geld bedeuten.“
„KollegInnen die mehr arbeiten möchten, haben es schwer, passende Stellen zu finden. Die Arbeitszeitverkürzung passiert daher de facto in vielen Fällen zu Lasten der Beschäftigten, weil sie unfreiwillig weniger arbeiten müssen.“
Senad Lacevic
Über die Einführung der 35 Stunden Woche werde bereits seit längerem verhandelt, eine Realisierung würde laut dem Gewerkschafter die Realität der Arbeitsverhältnisse widerspiegeln: „Die Arbeitszeit in unserer Branche ist aufgrund der vielen Teilzeitstellen verkürzt – die Leistung muss daher höher bewertet werden.“ Es sei nicht immer möglich auf Wunsch Vollzeit zu arbeiten: „KollegInnen die mehr arbeiten möchten, haben es schwer, passende Stellen zu finden. Die Arbeitszeitverkürzung passiert daher de facto in vielen Fällen zu Lasten der Beschäftigten, weil sie unfreiwillig weniger arbeiten müssen.“ Auch bei Projektkürzungen werde die Arbeitszeit durch Arbeitslosigkeit unfreiwillig und auf Kosten der Beschäftigten minimiert: „Dafür braucht es einen fairen Ausgleich.“
Eine verkürzte Arbeitszeit in der Branche hätte laut Lacevic auch den Vorteil, dass neue Arbeitsplätze geschaffen würden. Realistisch bleibt der Gewerkschafter, was die rasche Umsetzung dieser Verkürzung angeht, die einer 8,4-prozentigen Einkommenserhöhung gleichkommen würde: „Wir werden das nicht morgen umsetzen können. Ich wünsche mir aber ein starkes Signal für die sozialen und lehrenden Berufe, die in der aktuellen Krisensituation stark zur Stabilität der Gesellschaft beitragen indem sie Beziehungsarbeit leisten und so für sehr verwundbare Bevölkerungsschichten Konstanz anbieten.“
Auftragslage in der Branche sehr unterschiedlich
Eine Schwierigkeit bei den Verhandlungen sei die derzeit sehr unterschiedliche Situation innerhalb der Branche. „Während es für die Volkshochschulen aktuell sehr schwierig ist, ihr Kursangebot am freien Markt anzubieten, weil Kochen, Bewegung oder Sprachkurse derzeit nicht erlaubt sind, boomen durch Drittmittel finanzierte Kurse im Auftrag des AMS, der Stadt Wien oder anderer Fördergeber.“ So sind auf der einen Seite 450 von 1000 Angestellten der VHS in Kurzarbeit, in anderen Unternehmen werden dringend neue MitarbeiterInnen gesucht.
Diesen Trend wollen die Volkshochschulen nicht mitmachen: „Oftmals gehen die Beschäftigten in der Erwachsenenbildung mit den Projekt-Aufträgen mit und wechseln den Dienstgeber. Das Problem dabei ist, dass selten alle Vordienstzeiten angerechnet werden und die Leute daher nicht über eine gewisse Lohnsumme hinauskommen. Wir sind stolz darauf, dass wir eine hohe Behaltezeit haben. Die Beschäftigten bleiben gerne und sehr lange bei uns.“
Trotzdem die KV-Verhandlungen heuer schwierig sein werden, will Lacevic versuchen, ein gutes Ergebnis für alle Beteiligten herauszuholen: „Dieses Jahr wird alles ein wenig anders sein. Bisher waren die Interessen innerhalb der Branche sehr einheitlich, aktuell geht es den Unternehmen sehr unterschiedlich.“ Der Gewerkschafter blickt den Verhandlungen nüchtern entgegen: „Ich bin ein ruhiger Mensch – auszucken tue ich selten. Wir werden sehen, was in dieser gespaltenen Situation realistisch möglich ist.“
Kursgelder und Mieten brechen weg
Die Volkshochschulen tun sich aktuell sehr schwer, Kurse, in denen Freizeitinteressen bedient werden, via Internet abzuhalten: „Da spielen unsere TeilnehmerInnen nicht immer mit. Jemand der aus reinem Interesse beispielsweise eine Sprache lernt, braucht die Präsenz und bleibt beim Online-Kurs selten dabei.“ Die Volkshochschulen in Wien sind sehr darauf bedacht, Kurse für einen breiten Querschnitt der Bevölkerung anzubieten, bei der Umstellung zu den Online-Kursen ging leider ein Teil der TeilnehmerInnen verloren: „Obwohl es Leih-Laptops und Modems zum Selbstkostenpreis auszuborgen gibt, ist ein beträchtlicher Teil unserer TeilnehmerInnen und damit auch der Kurs-Einnahmen weggebrochen.“
Auch der Veranstaltungsbereich leidet unter den Pandemie-bedingten Einschränkungen, für die Volkshochschulen eine große finanzielle Belastung: „Unsere Häuser der Begegnung stehen vielfach leer obwohl wir uns bemühen, Angebote zu machen, die Covid-19 konform sind. „So kommen hin und wieder Tanzpaare zum Üben, auch SchülerInnen, die es zuhause sehr eng haben, können kostenlos die Räumlichkeiten fürs Lernen mieten.“
Zur Person
Senad Lacevic ist 42 Jahre alt, wurde in Wien geboren und hat an der Akademie für Sozialarbeit studiert. Seine Freizeit verbringt der verheiratete Vater zweier Kinder gerne mit der Familie: bei Ausflügen an der frischen Luft oder zuhause. Außerdem spielt er gerne Fußball. Einen großen Teil seiner arbeitsfreien Zeit investiert Lacevic in seine politische Tätigkeit als SPÖ Bezirksrat in Wien Neubau.