Erstmals Betriebsrat, und dann gleich Vorsitzender, ein Wechsel in einen anderen Kollektivvertrag und das alles während Corona. Jochen Niederl hat sich der Herausforderung erfolgreich gestellt und sein Engagement keine Sekunde lang bereut.
Jochen Niederl (37) ist seit knapp zwei Jahren Betriebsratsvorsitzender in der ‚Liebherr Österreich Vertriebs- und Service GmbH‘. Die ersten beiden Jahre in seiner neuen Funktion waren für den frisch gewählten Belegschaftsvertreter überaus arbeitsintensiv.
Im Juli 2021 trennte die Firmengruppe Liebherr die Produktion vom Handel und Service. Seither ist der Betrieb mit Sitz in Puch-Urstein bei Salzburg verantwortlich für Vertrieb und Service der Baumaschinen (Erdbewegungsmaschinen, Spezialkrane, Spezialtiefbaumaschinen u.a.m.) in ganz Österreich. Kurz nach der Ausgliederung fanden im Oktober 2021 die ersten Betriebsratswahlen statt. Jochen Niederl, der erstmals kandidierte, wurde zum Vorsitzenden gewählt.
In Folge der Ausgliederung des Handels aus der Produktion kam für die Beschäftigten anstelle des Metall-Kollektivvertrags der Handels-Kollektivvertrag zur Anwendung. Da rund die Hälfte der Belegschaft technische Berufe ausübt, erforderte dieser Übergang einige Angleichungen.
Reisender Betriebsrat
Aktuell beschäftigt das Unternehmen österreichweit 342 Mitarbeiter:innen sowie acht Lehrlinge. Im Betriebsratsteam arbeiten sieben aktive und sieben passive Mitglieder, Niederl selbst ist freigestellt.
„Die Belegschaftsvertretung ist für mich eine echte Herzensangelegenheit, ich gehe in der Betriebsratsarbeit richtig auf!“
Jochen Niederl
„Ich hatte immer schon eine soziale Ader“, erzählt Niederl, „das habe ich von zu Hause mitbekommen.“ Als sich bei Liebherr die Möglichkeit anbot, sich als Betriebsrat zu engagieren, hat er seine Chance ergriffen und dies keine Sekunde lang bereut: „Die Belegschaftsvertretung ist für mich eine echte Herzensangelegenheit, ich gehe in der Betriebsratsarbeit richtig auf!“
Als Vorsitzender arbeitet er an zwei Tagen pro Woche in der Zentrale in Salzburg, die restliche Zeit reist er in die Niederlassungen, je nachdem, wo er gerade gebraucht wird, oder er arbeitet im Homeoffice. „Ich möchte für meine Kolleg:innen verfügbar sein und persönliche Gespräche führen können, das ist mir wichtig“, betont Niederl. In einer Firma mit Niederlassungen im ganzen Bundesgebiet ist das nur als „reisender Betriebsrat“ möglich.
Neuer Kollektivvertrag
Die großen Themen der letzten beiden Jahre waren Corona und der Umstieg vom Metall- auf den Handels-KV. Die BR-Wahl fand nach dem KV-Wechsel statt. Das Betriebsratsteam arbeitete intensiv daran, daraus auftretende Nachteile für Mitarbeiter:innen in technischen Berufe zu kompensieren. Viele von ihnen sind außerdem im Außendienst oder auf Montage tätig, daher ist die Rückerstattung der Reisekosten im Betrieb ein wichtiges Thema. „Da gibt der Handels-KV leider nicht so viel her wie der Metall-KV“, gibt Niederl zu bedenken.
Um den Übergang abzufedern, wurden Bruttogehaltserhöhungen und Funktionszulagen vereinbart. „Unser Ziel war: Es soll fair für alle sein!“ betont Niederl. Trotzdem entstand bei einigen ein Gefühl der Ungerechtigkeit. „Als Betriebsrat finde ich: Gerade in solchen Situationen muss die persönliche Wertschätzung stimmen!“, sagt Niederl. Er sieht sich hier als Mittelsmann zwischen den Kolleg:innen und der Geschäftsführung, mit der er zahlreiche Gespräche geführt hat, um einen Ausgleich für alle zu erreichen.
Benefit-Paket
Stolz ist er auf ein Benefit-Paket, das der Betriebsrat kürzlich mit dem Unternehmen ausgehandelt hat. Zum Paket gehören z.B. kostenloser Kaffee für alle Beschäftigten, eine Bike-Leasing-Initiative sowie vergünstigter Zugang zu Fitnessstudios und Wellness; weiters freiwillige Zahlungen (500 Euro) bei der Geburt eines Kindes und bei der Hochzeit, sowie ein zusätzliches Kindergeld von 100 Euro bis zum 6. Lebensjahr. Lehrlinge essen kostenlos in der Kantine, erhalten 500 Euro für ihren Führerscheinkurs und sie können an einem internationalen Lehrlingsaustausch teilnehmen. „Dieses Paket ist bereits in Kraft“, berichtet Niederl, „Die Kolleg:innen sind sehr zufrieden. Es ist ein großer Erfolg, der wirklich gut ankommt!“
Weitere Benefits will Niederl aus der Betriebsrats-Umlage schaffen. Vergünstigte Arbeitskleidung sowie Arbeitsschuhe mit Sicherheitsstandards werden von der Firma getragen, der Betriebsrat plant, dieses Angebot auszuweiten und zu verbessern.
Eine andere aktuelle „Baustelle“ – im wörtlichen Sinn – entstand aus dem Umzug der Vertriebszentrale von Bischofshofen nach Puch-Urstein, woraus sich ein längerer Arbeitsweg für die rund 140 Beschäftigten ergab. Eine große Baustelle auf der Strecke verlängert den Anfahrtsweg noch zusätzlich. Niederls Vorschlag für eine Verbesserung: Er möchte für die Kolleg:innen eine Sonderregelung erreichen, nämlich ein erweitertes Homeoffice von mehr als zwei Tagen die Woche.
„Es handelt sich um vier Tage zu je zehn Stunden. Und das Wochenende ist dafür dann drei Tage lang.“
Jochen Niederl
Auch die 4-Tage-Woche für jene Mitarbeiter:innen, die Wartungs- und Reparaturarbeiten durchführen, wird gut angenommen. „Es handelt sich um vier Tage zu je zehn Stunden. Und das Wochenende ist dafür dann drei Tage lang.“
Hast du schon einmal überlegt selbst einen Betriebsrat zu gründen?
Wenn es bei dir im Betrieb mindestens 5 Beschäftigte gibt, kann eine Betriebsratswahl stattfinden. Dein Chef/deine Chefin, darf die Wahl nicht behindern. Als Betriebsrätin/Betriebsrat hast du einen besonderen Kündigungsschutz und du kannst einen Teil deiner Arbeitszeit für die Betriebsratstätigkeit verwenden. Wir unterstützen und begleiten dich und deine KollegInnen bei der Durchführung der Betriebsratswahl.
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Niederl betont ausdrücklich die konstruktive Zusammenarbeit mit Geschäftsführung und Personalmanagement: „Besonders bei den Benefits verdanken wir viel dem Engagement der Geschäftsführung, namentlich unserem Personalchef Herrn Alexander Berner und den beiden Geschäftsführern, Herrn Manfred Santner und Herrn Peter Mayr. Ihnen sind die Mitarbeiter:innen ein sehr großes Anliegen und die Zusammenarbeit gestaltet sich überaus positiv.“
Corona und die Folgen
Wenn auch die Corona-Jahre im Betrieb keine wirklich angenehmen Erinnerungen hinterlassen haben, so hatten sie doch auch ihr Gutes, da arbeiten im Homeoffice neu eingeführt wurde. „Davor gab es in unserem Unternehmen kein Homeoffice. Nun ist es ein bewährtes System, mit dem alle zufrieden sind“, sagt Niederl. Normalerweise ist ein Tag Homeoffice möglich, bei einem Anfahrtsweg von mehr als 25 km zwei Tage. „Homeoffice wird in vielen Unternehmen inzwischen wieder in Frage gestellt“, berichtet Niederl. „Ich denke, wenn jemand vor Ort im Betrieb gute Arbeit macht, so wird er auch im Homeoffice seine Leistung bringen. Die Motivation eines Mitarbeiters hängt nicht vom Arbeitsort ab!“
„Ich denke, wenn jemand vor Ort im Betrieb gute Arbeit macht, so wird er auch im Homeoffice seine Leistung bringen. Die Motivation eines Mitarbeiters hängt nicht vom Arbeitsort ab!“
Jochen Niederl
Leider hat Corona auch negative Spuren hinterlassen. Physische und psychische Gesundheitsschäden in Folge von Covid-19 sind immer noch Thema im Unternehmen. Entsprechend kommt es zu Ausfällen und Krankenständen. Dem BR-Vorsitzenden ist es ein großes Anliegen, gemeinsam mit der Unternehmensleitung die Mitarbeiter:innen zu unterstützen. „Wir sind ein Betrieb, wo viele seit 10, 20 oder mehr Jahren bei uns arbeiten. Neue Mitarbeiter:innen am Arbeitsmarkt zu finden ist nicht immer einfach, umso wichtiger ist es, diejenigen gut zu betreuen, die schon seit Jahrzehnten bei uns sind.“
Mehr Selbstbewusstsein im Handels-KV
Für Niederl ist nicht nur die Arbeit als Betriebsrat, sondern Gewerkschaftsarbeit überhaupt eine „Herzensangelegenheit“, wie er selbst sagt. In seinem Heimatbundesland Tirol – Niederl wohnt in Innsbruck – arbeitet er intensiv mit dem GPA-Regionalsekretär Philip Pollak zusammen. Er bringt sich auch aktiv in der Gewerkschaftsarbeit ein, sowohl im Tiroler Landesausschuss, als auch im Bundesausschuss, außerdem ist er bei den KV-Verhandlungen dabei. „Ich möchte aktiv mitgestalten und etwas verändern! Gerade im Handel müssen wir mehr Selbstbewusstsein zeigen, da dürfen wir uns nicht verstecken.“ Der Handel, gibt er zu bedenken, ist der größte Arbeitgeber nach den öffentlichen Bediensteten. Die KV-Verhandlungen im Vorjahr waren ein Schritt in die richtige Richtung: „Der Streikbeschluss im letzten Jahr war eine gute Entscheidung, die alle verstanden haben. Wir waren damit erfolgreich und konnten sogar Mitglieder dazugewinnen“, berichtet Niederl stolz. „Auch diesen Herbst können wir wieder mit Recht mehr einfordern und gemeinsam dafür kämpfen!“
Zur Person
Jochen Niederl ist Vater von Hanna (10) und Noah (7). Er unternimmt in seiner Freizeit viel mit den Kindern. „Ich bin leidenschaftlicher Vater und möchte die Zukunft für meine Kinder positiv mitgestalten! Es geht mir um ein besseres Gleichgewicht und um mehr Fairness im Leben.“ Als Ausgleich zur Arbeit treibt er außerdem Sport, Bouldern und Fitness, und es zieht ihn – als Tiroler – natürlich auch in die Berge zum Wandern.