Karin Samer, Betriebsratsvorsitzende der Wiener Kinderfreunde, erklärt, warum die Elementarpädagogik mehr Geld braucht, woran die Kinder erkennen, dass sie in der Gruppe zu Besuch ist und wie man bei Demonstrationen Kraft tanken kann.
Karin Samer vertritt mit großer Standfestigkeit und Überzeugung die Interessen von insgesamt 1200 KindergartenpädagogInnen in 160 Dienststellen in ganz Wien. Seit April 2010 ist sie als Vorsitzende des Betriebsrates der Kinderfreunde tätig. Ihre erste berufliche Station führte sie bereits zu ihrem jetzigen Dienstgeber. Nach der Ausbildung zur diplomierten Kinder- und Hortpädagogin in der Bildungsanstalt Ettenreichgasse fing sie 1987 als Pädagogin bei den Kinderfreunden an. 1996 schloss sie die Leiterausbildung erfolgreich ab. Der Drang zum Gestalten war von Beginn an da. „Nach Abschluss der Ausbildung habe ich zwei große Häuser im 20. Bezirk aufgebaut und geführt.“
Um das Jahr 2000 herum kam Samer mit der Berufsgruppe für Kindergarten- und HortpädagogInnen in Wien näher in Verbindung. „Es hat mich von Anfang an interessiert, mich bildungspolitisch zu engagieren“, meint sie rückblickend. Im Unternehmen selbst war Samer rasch Teil einer Gruppe aus Leiterinnen, die etwas verändern wollten. „Wir haben erkannt, dass wir uns mehr engagieren müssen, um etwas zu erreichen. 2010 habe ich mich daher der Wahl als Betriebsrätin gestellt“, erzählt Samer. Mit der Liste F.U.G.E., was soviel bedeutet wie „für uns gemeinsam engagiert“, gewann sie mit ihrem Team dermaßen hoch, dass gleich zwei Kolleginnen freigestellt wurden.
„Wir haben gerade bei BerufsanfängerInnen hohe Drop-Out Raten nach einigen Jahren. Die Jungen gehen mit viel Euphorie in den Beruf. Sie wollen etwas bewegen und den Kindern viel mitgeben. Viele scheitern dann an den Bedingungen, die sie vorfinden.“
Karin Samer
Von einem Tag auf den anderen hatte Samer fortan betriebsrätliche Arbeit auf dem Tisch. Um sich arbeitsrechtlich weiterzubilden, besuchte sie die Betriebsrätliche Akademie der Arbeiterkammer und schloss die Ausbildung 2011 ab. „Von da an hat alles seinen Lauf genommen“, erklärt Samer, die im Interesse der ArbeitnehmerInnen auch als Kammerrätin tätig ist. Ihren Zielen ist die patente Frau dabei immer treu geblieben: „Ich möchte die Bedingungen im bildungspolitischen Gefüge so verbessern, dass es für die KollegInnen im elementaren Bildungsbereich Vorteile bringt. Dazu muss man auch bereit sein, sich selbst in Positionen zu bringen, in denen man etwas verändern kann.“
In den Köpfen hat sich etwas getan
Dass man mit Engagement und entschiedenem Auftreten etwas erreichen kann, nahm Samer auch aus den bildungspolitischen Demonstrationen 2008 und 2012 mit: „Das war ein Meilenstein, weil alle großen Teilgewerkschaften gemeinsam zum Protest aufgerufen haben. Wir haben damals eine Veränderung in den Köpfen der Menschen erreicht. Von da an wurde die Elementarpädagogik sowohl bei den Menschen als auch bei vielen Funktionären als erste Bildungsinstanz gesehen.“
Wichtig sei dafür auch eine gute und praxisorientierte Ausbildung. Zwar habe sich das Bildungsniveau grundsätzlich verbessert, die jungen KollegInnen bräuchten aber viel mehr Praxiserfahrung. „Wir haben gerade bei BerufsanfängerInnen hohe Drop-Out Raten nach einigen Jahren. Die Jungen gehen mit viel Euphorie in den Beruf. Sie wollen etwas bewegen und den Kindern viel mitgeben. Viele scheitern dann an den Bedingungen, die sie vorfinden.“
Länger zusammenhängende Praxisblöcke wären eine bessere Vorbereitung auf die Realität im Kindergarten. Auch die beste Ausbildungsstätte kann die Herausforderungen und Hürden des Arbeitsalltages nicht so gut darstellen, wie die praktische Erfahrung“, erklärt Samer. BerufsanfängerInnen länger im Job zu halten, sieht die Gewerkschafterin als eine der großen Herausforderungen der Zukunft.
Mehr Personal
Der zentrale Angelpunkt für Verbesserungen im elementaren Bildungsbereich ist für Samer jedoch eine bessere personelle Ausstattung. „ Es braucht ganz dringend eine Aufstockung des Finanzrahmens, für alle Betreiber. Die KollegInnen brauchen mehr Personal und mehr zeitliche Ressourcen. Da gibt es keine Lücken mehr.“ Im derzeit gültigen Betreuungsschlüssel ist eine Vollzeit ElementarpädagogIn für 25 Kinder zuständig. Dazu kommt eine Assistentin für 20 Stunden. „Die Assistenz ist aber eigentlich nicht in der Gruppe, sie ist für die Reinigung, die Zubereitung des Essens und das Geschirr zuständig.“ Einen höheren Schlüssel gibt es bei 1-3jährigen Kindern. In diesem Setting stehen eine pädagogische Fachkraft und eine Assistentin für 40 Stunden zur Verfügung.
Von einem guten Schlüssel sei man derzeit weit entfernt. Samer sieht Nachteile für die betreuten Kinder: „Es bräuchte mehr Personal, damit die PädagogInnen all das, was Sie wissen, den Kindern angedeihen lassen können.“
Viele KollegInnen versuchten über 100 Prozent zu geben: „Sie wissen, was das Wichtigste ist, nämlich die Kinder gut zu begleiten und ihnen einen guten Nährboden zu geben. Das lässt viele PädagogInnen ausbrennen.“ Aufgrund der hohen Krankenstandszahlen würden viele Überstunden anfallen. „Die fehlende Dienstpostenstabilität zermürbt auf Dauer und laugt energetisch aus“, erklärt Samer.
Vernetzung
„Sie wissen, was das Wichtigste ist, nämlich die Kinder gut zu begleiten und ihnen einen guten Nährboden zu geben. Das lässt viele PädagogInnen ausbrennen.“
Karin Samer
Samer ist beruflich sehr kontaktfreudig und ist auch mit den BetriebsrätInnen anderer Bildungsstätten eng vernetzt: „Wir tauschen uns regelmäßig aus und vernetzen uns mit den GeschäftsführerInnen anderer Organisationen. Wir gehen auch gemeinsam zu den Bildungsstadträten um bessere Finanzmittel zu kriegen.“
Die Verantwortung im elementaren Bildungsbereich sei in den letzten Jahren rasant gewachsen: „Die PädagogInnen bilden die Kinder sprachlich, fördern und begleiten sie. Auch für eine gute und nachvollziehbare Dokumentation braucht man Zeitressourcen.“ Einen eigenen Kollektivvertrag für die PädagogInnen, die derzeit nicht der Vereinbarung für die Sozialwirtschaft angehören, beurteilt Samer als grundsätzlich gut, aber nicht prioritär. „Die Regelung der Vorbereitungszeiten wäre bei so manchem privatem Träger einfacher.“
Kraft tanken
Karin Samer war in all ihren beruflichen Stationen zufrieden und ausgefüllt von Ihrer Aufgabe: „Ich setze mich gerne für Menschen ein, sei es bei Problemen privater Natur oder in arbeitsrechtlichen Fachfragen. Ich versuche Lösungen zu finden.“ Auch etwaige Auseinandersetzungen mit dem Dienstgeber schrecken sie nicht: „Ich habe keine Berührungsängste und es liegt an mir, innerhalb des Betriebes niemals leise zu sein.“ Insgesamt wünscht sich Samer mehr Selbstbewusstsein in der Sozialwirtschaft: „Unsere Arbeit kann nicht ins billigere Ausland ausgelagert werden, wir arbeiten mit Menschen und das passiert vor Ort. Wenn die zehntausenden Beschäftigten in den Bereichen Gesundheit, Pflege und Bildung die Arbeit niederlegen, dann steht Österreich still. Dieses Bewusstsein kann ein wichtiger Machtfaktor in jeglichen Verhandlungssituationen sein.“
Kraft tankt sie auch bei Kollektivvertragsverhandlungen oder Betriebsversammlungen: „Die Euphorie und Motivation von Frauen und Männern, die für bessere Arbeitsbedingungen einstehen, bereichert ungemein. Die Menschen geben mir mit Begeisterung zurück, was ich investiere – das befruchtet und macht mich ruhig.“
Ein wenig geht Samer der direkte Kontakt zu den Kleinen schon ab: „Wenn ich mit Kindern zu tun habe, kann ich mich darin verlieren.“ Am liebsten läuft sie barfuss durch die Gruppen. So manches Kind hat an den herumstehenden Schuhen schon erkannt, dass „die Karin wieder bei uns zu Besuch ist.“
Zur Person:
Karin Samer ist 51 Jahre alt und lebt in einer Partnerschaft in Wien. Sie hat zwei erwachsene Kinder sowie eine 14 Monate alte Enkeltochter.
1987 fing sie als Pädagogin bei den Wiener Kinderfreunden an. Seit April 2010 ist sie als Vorsitzende des Betriebsrates der Kinderfreunde tätig. Sie vertritt 1200 Beschäftigte in 160 Dienststellen in ganz Wien.