Zwischen arbeitnehmerInnenfeindlicher Politik und einem unerwarteten Linksruck in der Labour Party haben die Gewerkschaften in Großbritannien alle Hände voll zu tun.
Großbritannien ist seit der Regierung Thatcher in den Achtzigerjahren ein schwieriger Boden für gewerkschaftliche Organisierung und arbeitnehmerInnenfreundliche Politik geworden. In den vergangenen Monaten haben sich die Ereignisse nun überschlagen. Nach dem Wahlsieg der konservativen Tories-Partei unter David Cameron im Mai dieses Jahres wurde die sogenannte Trade Union Bill zur Diskussion gestellt. Das von den Tories geplante neue Gewerkschaftsgesetz ist der massivste Eingriff in Gewerkschaftsrechte seit der Thatcher-Regierung. Der Angriff der Regierung zielt auf die Schwächung der Gewerkschaften ab. Zahlreiche Maßnahmen sollen Streiks erschweren und die politische Arbeit der Gewerkschaften behindern.
In Großbritannien stimmen die Belegschaften über Streiks ab. Bisher war es so, dass bei Abstimmungen eine Mehrheit der abgegebenen Stimmen genügte. In der Gesetzesvorlage ist vorgesehen, dass dies nur bei einer Abstimmungsbeteiligung von 50 Prozent der ArbeiterInnen und Angestellten (40 Prozent im öffentlichen Dienst) möglich sein soll. Das würde Streiks massiv blockieren, da aufgrund von Schichtarbeit und verschiedenen Dienstorten diese Quote kaum jemals erreicht werden kann. Auf den Vorschlag der Gewerkschaften, auch Online-Abstimmungen zu ermöglichen, um die Beteiligung zu erhöhen, wurde bisher nicht eingegangen.
Das Gesetz soll auch ermöglichen, dass Streikende durch LeiharbeiterInnen ersetzt werden. Es sieht also de facto die Aussperrung von ArbeiterInnen vor und nimmt jedem Streik die Effektivität. Gleichzeitig sollen StreikbrecherInnen geschützt und die „Einschüchterung“ durch Streikende verhindert werden. Als ob es nicht genug wäre, muss jeder Streik mindestens zwei Wochen vorher angekündigt werden.
Weiters zielen die Maßnahmen der Tories auch auf die generelle politische Schwächung der Gewerkschaften ab. Diese haben in Großbritannien politische Töpfe, mit denen sie einerseits Parteien – meistens die Labour Party – unterstützen und politische Kampagnen durchführen. Diese Töpfe werden alle zehn Jahre in einer Abstimmung genehmigt. Die neue Gesetzgebung will nun einen immens hohen bürokratischen Aufwand einführen, um die direkte Demokratie bei der Verwendung dieser Töpfe deutlich zu erschweren. Dies wäre eine massive Einschränkung der gewerkschaftlichen Handlungsmacht und Flexibilität.
Null-Stunden-Verträge
Mehr und mehr kommt es auch zu einer verstärkten Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen. Neben der Zunahme von Leiharbeit sind es vor allem die Null-Stunden-Verträge, die im Moment überhand nehmen. Diese sind zwar schon lange möglich und gang und gäbe, in den vergangenen Jahren nehmen diese Verhältnisse aber in vielen Branchen sprunghaft zu. Insgesamt sind derzeit beinahe 750.000 Menschen in Großbritannien mit Null-Stunden-Verträgen beschäftigt, allein im vorigen Jahr ein Anstieg um 19 Prozent!
Ein Null-Stunden- Vertrag bedeutet, dass es von der Willkür des Arbeitgebers abhängt, ob Stunden geleistet und somit bezahlt werden. ArbeitnehmerInnen stehen auf Abruf bereit und werden bei geänderter Geschäftslage wieder nach Hause geschickt. Bezahlten Urlaub und Krankenstand gibt es in diesem System natürlich nicht.
UNITE the Union, die größte britische Gewerkschaft, kampagnisiert im Moment gegen diese Null-Stunden- Arbeitsverträge am Beispiel von Arbeitsverhältnissen bei Sports Direct, dem großen Sporthändler, der 2013 mit der Übernahme von Intersport Eybl auch in den österreichischen Markt einstieg.
Sports Direct
Bei Sports Direct in Großbritannien arbeiten über 80 Prozent der in den Filialen beschäftigten MitarbeiterInnen mit Null-Stunden- Verträgen: schlecht bezahlt, ohne soziale Absicherung und auf Abruf. Diese Praktiken sind ein zusätzliches Instrument, um gewerkschaftliche Organisierung zu erschweren. Nur wer genehm ist, bekommt auch Arbeit zugeteilt. Im Lager von Sports Direct sind die ArbeiterInnen über Leiharbeitsfirmen angestellt. Bei Krankheit, Gesprächen bei der Arbeit und zu langen Toilettenpausen sammeln sie Minuspunkte, die zur Entlassung führen.
Die Null-Stunden-Verträge waren auch ein zentrales Thema während des Wahlkampfes im Frühjahr, die neue konservative Regierung wird daran aber nichts verändern.
Linkswende in der Labour
Die Labour Party hat unter Tony Blair in den Neunzigerjahren den Kurs der marktliberalen Sozialdemokratien des 3. Weges vorgegeben und sich seitdem nicht davon erholt. Auch unter der letzten Parteiführung unter Ed Miliband, der zumindest ein linkeres Image hatte, gab es kaum Abweichungen von den zentralen Projekten des dritten Weges.
Eine Reform des internen Wahlsystems in der Labour Party entmachtete zunächst die Gewerkschaften, aber auch die Mitglieder der parlamentarischen Fraktion. Im neuen System zählt nun jedes Mitglied gleich viel, die Parlamentarier verloren ihren unfairen Vorteil. Jeremy Corbyn startete als Außenseiterkandidat in das Rennen um den Parteivorsitz. Seine Kandidatur wurde von vielen Abgeordneten der Parteirechten gestützt, um die Debatte zu verbreitern. Der linke anti-militaristische, anti-monarchistische Abgeordnete ist ein scharfer Gegner der Austeritätspolitik und steht auch für Re-Verstaatlichungen. Durch zahlreiche Neueintritte in die Partei und die Unterstützung der Gewerkschaften konnte er das Rennen im September mit 59,5 Prozent gegen die anderen drei KandidatInnen entscheiden. Für die europäische Gewerkschaftsbewegung ist der Sieg von Corbyn in der Labour Party jedenfalls ein wesentlicher Schritt, um den Widerstand gegen die neoliberale Sparpolitik und die Umsetzung einer gerechten europäischen Steuerpolitik voranzutreiben.
Sports Direct: GewerkschafterInnen vernetzen sich
Im September vernetzten sich GewerkschafterInnen und BetriebsrätInnen bei einem Treffen in Derby, Großbritannien, um die Arbeitsbedingungen und gewerkschaftliche Strategien im Konzern Sports Direct zu diskutieren. Neben GewerkschafterInnen aus Belgien und Großbritannien nahmen auch KollegInnen der GPA-djp teil.